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LINZ: DIE WALKÜRE. Premiere

23.03.2014 | KRITIKEN, Oper

DIE WALKÜRE. Erster Tag des Bühnenfestspiels „Der Ring des Nibelungen“

Musik und Dichtung von Richard Wagner

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Bebilderte „Todesverkündung“: Gerd Grochowski (Wotan) mit den „Wunschesmädchen“. Foto: Monika und Karl Forster für Linzer Landestheater

Wagner in voller Größe, Länge und Breite war ja im alten Landestheater nicht – besten- oder eher schlechtestenfalls in sehr eingeschränkter und ausgedünnter Form – möglich, alleine schon, was dasPlatzangebot des Orchestergrabens anlangt. Nur das Brucknerhaus bot den nötigen Raum für die musikalische Seite– mangels szenischer Möglichkeiten jedoch mußten hier computergenerierte Farben- und Formenspiele, der Stadt der „arselectronica“ entsprechend, den optischen Part geben. Der „Ring“ MUSSTE somit ab 2013, auch hätte es das Wagner-Jubiläum nicht gegeben, im neuen Musiktheater von Linz auf die Bühne.

Wenn man auch davon ausgehen kann, daß sich viele Linzer Opern-, speziell Wagnerfreunde in dieser dürren Zeit vor dem April 2013 ihre Dosis des sächsischen Meisters zwischen Wels und Bayreuth beschafften, so muss doch für diese von vielen als sehr speziell betrachtete Abteilung des Opernwesens mit einem nennenswerten Teil an unerfahrenem Publikum gerechnet werden – und das muss… hm, erzogen werden. Dazu gehören auch Tips für den Wagner-Neuling, wie sie im „Linzer Opernblog“ zu finden sind: von dem, was man vor einer 5-stündigen Opernaufführung essen und trinken solle (und was nicht)bis hin zu make-up-Hinweisen…http://landestheater-linz.blogspot.co.at/2014/03/how-to-wagner-eine-gebrauchsanleitung.html. Der „Online-Merker“ hat diese hilfreichen Zeilen ja schon in seinem Leitartikel vom Premierentag gebührend gewürdigt.

Der erste Akt spielt sozusagen im „Wirtshaus zur alten Esche“, es scheint gerade Sperrtag zu sein, aber in der Umgebung ist einiges los: eine Gruppe von Milizionären (vielleicht im zeitlichen Umkreis des spanischen Bürgerkrieges?) jagt einen Mann – der Gegenseite? Der Kleidung nach, ja, aber natürlich hören wir dann auch die Geschichte mit der vergeblich verteidigten Zwangsverheirateten. Die Regie hat dem Akt zwei weitere Personen spendiert: eine Tochter von Hunding und Sieglinde, und eine Greisin – vielleicht die Mutter Hundings. Sie runden das Bild jedenfalls durchaus logisch ab. Siegmund und Sieglinde sehen sich wirklich so weit ähnlich, dass die entsprechenden Textzeilen völlig logisch wirken; ihre Liebesbeziehung entwickelt sich glaubhaft und verständlich von verwirrt über schüchtern bis leidenschaftlich. Als die Winterstürme demWonnemond weichen, öffnet sich eine Wand des Hauses und gibt den Blick auf den Wald frei, freilich einen eher bleichen und nicht sehr einladenden – aber jedenfalls gibt es mehr Licht und Luft, als sonst im Hause Hundings herrschen. Der Hausherr ist ein „man youlovetohate“, grob, gemein und verächtlich gegenüber Sieglinde, das aber menschlich dicht und packend dargestellt, alles andere als auf einfache Klischees bauend. Im Hintergrund bemerkt man mitunter eine Walküre, also Brünnhilde, die die Szene beobachtet, wohl als „Schutzengel“ von Siegmund.

Schon in diesem Akt zeigt sich, dass die schwierige Frage der Wagner-Sänger, noch dazu an einer kleineren Bühne, für diesen Abend höchst zufriedenstellend beantwortet wurde: Siegmund Michael Bedjai mag nicht der größte Heldentenor sein (oder noch werden), manchmal neigt seine Stimme zu leichter Rauhigkeit (er singt sich im Laufe des Abends jedoch weitestgehend frei), aber er zeigt immer wieder Schmelz, verfügt über sichere Höhen und auch die nötige Lautstärke, um über das in voller Dynamik spielende Orchester drüberzukommen, ohne angestrengt zu wirken (die „Wälse-Rufe“); dazu spielt er auch noch gut. Seine Zwillingsschwester wird vom Linzer Ensemblemitglied Britt-Tone Müllertz mit großer Stimme und großen Emotionen – als „Leibeigene“ Hundings kann sie zu Tränen rühren („… wo Unheil im Hause wohnt“) – gegeben; sie verfügt über ein gewaltiges dramatisches, scheinbar unangestrengtes Stimmvolumen, hat aber in ebensolcher Perfektion die lyrischen und leisen Stellen „drauf“. Und Albert Pesendorfers Hunding ist sowieso und heute erneut bewiesen in allen Aspekten ganz einfach Weltklasse!!

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Albert Pesendorfer als „Hunding“. Foto: Monika und Karl Forster für Linzer Landestheater

Der zweite Akt spielt „draußen“ im Wald, wobei Teile der Handlung in einem militärischen Kommandozelt stattfinden – Wotan ist offensichtlich Befehlshaber in diesem historisch nicht näher definierten Krieg, die „dazu-regierte“ Statisterie sind sein Stab, der aber nur kurz vorhanden ist, denn nun kommt seine Gattin und durchkreuzt Wotans Pläne, und die übrigen Herren ziehen sich zurück. Gerd Grochowski gibt den Wälsen mit großer Stimme, exzellenter Artikulation (wie fast alle Protagonisten) und – insbesondere auch im Hinblick auf seine vielen … äh …. Sinneswandlungen – fein differenziertem Schauspiel, Fricka Karen Robertson setzt ihrem Göttergatten mit mimischem Nachdruck und Metall in der Stimme zu. Nun wird auch Brünnhilde aktiv – Elena Nebera verfügt über gute Höhen, in den tiefen Lagen wird sie allerdings etwas kehlig; jedoch gilt auch für sie, wie für alle Solopartien, dass man ihrer Stimme trotz der gewaltigen Dimensionen und Ansprüchen des Werkes bis zum Ende keine Ermüdung anmerkte. Zwei Regieeinfälle auch im 2. Akt, die dramatisch durchaus Sinn ergeben: als Brünnhilde Siegmund die Verheißungen Wallhalls schildert, sieht man die Walküren als elegant gekleidete, wunderschön und verführerisch präsentierte „Wunschmädchen“ an einer festlich gedeckten Tafel (die Ausstattung dürfte dabei auch die Blumenmädchen aus dem „Parzifal“ gedacht haben); und als Hundings Miliz das fliehende Paar erreicht, wird Sieglinde vergewaltigt.

Der dritte Akt spielt nicht auf einem Felsengebirge, sondern in einer Reithalle – man könnte folgerichtig von einer „Felsenreitschule“ sprechen (die Architektur suggeriert 1920er-Jahre). Die Walküren sind, vor einem projizierten Bild einer durch Kriegsereignisse beschädigten Stadt, damit beschäftigt, die gefallenen Helden nach Wallhall zu tragen, und errichten offensichtlich am Ort der Handlung ein Zwischenlager. Sie legen dabei sowas wie Unbekümmertheit und fröhliche Grausamkeit an den Tag, die freilich im Lichte der kriegerischen Historie der letzten 100 – 150 Jahre nur zu realistisch ist (und man denke an Filme, TV-Spiele bzw. Bücher von „Im Westen nichts Neues“ über Sean O’Casey’s„The SilverTassie/Der Preispokal/Der Pott“ gemäß Tankred Dorst und Peter Zadek, bis „Saving Private Ryan“, aber auch einschlägige Sketches von Monty Python); auf einer Plattform bzw. Katafalk in Bühnenmitte werden die Halbtoten, Toten oder deren abgerissene Körperteile aufgeschichtet. Also: Hier kann man auf die Helden blicken – teils im Ganzen, teils in Stücken.

Eine der Walküren (i. e. S. eine im Programmheft leider ungenannt bleibende Stuntfrau im Walkürenkostüm: Wachsmantel und Lederhaube mit Fliegerbrille) umkreist in dem ganzen Chaos und während des im Orchester tobenden Walkürenrittes diese zentrale Plattform, wirft dabei mit abgetrennten Armen und Beinen um sich. Ein feingliedriges, elegantes braunes Vollblut wurde gut genug an dieses Szenario gewöhnt, dass es dabei mitspielte; der Name des Tieres wurde bei der Premierenfeier mit „Sharkhan“ angegeben (wir hoffen, daß der Name richtig geschrieben ist – wenigsten kann der Betreffende nicht lesen und Protest einlegen…); sozusagen als Repräsentant all der vielen Huftiere, die im Text der Walküren vorkommen.

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Die Walküren. Foto: Monika und Karl Forster für Linzer Landestheater

Anfänglich umringen und bergen die Schwestern Brünnhilde noch, wie eine Wagenburg, aber nach und nach lassen sie sie doch gegenüber dem Zorn (und der Ungerechtigkeit) Wotans alleine. Der komplexe Dialog zwischen dem Göttervater und Brünnhilde gerät trotz seiner Länge spannend bis aufregend – wie es, trotz aller zeitlich gewaltigen Dimensionen, in dieser Aufführung keine Durchhänger und Längen gibt. Schließlich muß Brünnhilde in eine „steinerne Jungfrau“ klettern, worauf sich der feurige Ring um sie schließt; diese Figur erinnert etwas an die Germania am Niederwalddenkmal bei Rüdesheim am Rhein und soll wohl eine Walküre darstellen – und wenn man es recht überlegt, ist das schon wieder ein Schwindel von Wotan, denn: auch wenn außen „Walküre“ draufsteht/abgebildet ist, ist doch im eigentlichen Sinne keine mehr drin…

Eine die realen Flammen erweiternde Projektion verweist auf den Bombenkrieg 1939 – 45, aber schließlich doch auch versöhnlich auf die neonfunkelnden Großstädte der Nachkriegszeit, während die Musik dunkel verglimmt.

Außer für Alfred Pesendorfer war diese Premiere für alle Protagonisten das Rollendebut in einer „vollwertigen“ Walküren-Aufführung (nur Herr Grochowski war an einer konzertanten beteiligt) – und alle haben diese Aufgabe sauber bis hervorragend bewältigt!

Natürlich dürfen wir die darstellerisch wie sängerisch überzeugenden Walküren nicht zu nennen vergessen: Gerhilde Christa Ratzenböck, Helmwige Mari Moriya, Ortlinde GothoGriesmeier, Waltraute Valentina Kutzarowa, Schwertleite  Bernadett Fodor, Sigrune  Kathryn Handsaker, Grimgerde Vaida Ragynské und Roßweiße InnaSawchenko.

Dennis Russell Davies gab als Dirigent perfekte,musikalisch und dramatisch plausible Tempi vor, holte – bei Wahrung hervorragender Transparenz – allen vorstellbaren Dynamikumfang aus der Partitur und sorgte für perfekte Abstimmung zwischen Graben und Bühne. „Sängerschonung“ war nicht angesagt oder zumindest nicht merkbar – die Stimmen kamen mit der gewaltigen Orchesterbesetzung vorzüglich zurecht.

Das Bruckner-Orchester ist, wie gesagt, Wagner-erfahren und spielte seine Musikalität wie seine technische Präzision und Perfektion überzeugend aus.

Inszenierung: der künftige Intendant des hessischen Landestheaters Uwe Eric Laufenberg, die teils sehr aufwendige Bühne gestaltete GisbertJäkel, die reichhaltigen und bestens in die Bilderwelt der Inszenierung integrierten Kostüme: Antje Sternberg, Video: Falko Sternberg, Dramaturgie: Wolfgang Haendeler.

15 min. lautstarker Applaus, nur beim Produktionsteam gabs vereinzelte und eher schüchtere Buhs.

Intendant Dr. Rainer Mennicken konnte bei der Premierenfeier zahlreiche von weit her (u. a. Berlin, München, Köln, Graz, Wien) angereiste Besuchergruppen begrüßen und außerdem stolz verkünden, daß seit Beginn der neuen Spielzeit 16.000 Personen mit einer Anreisestrecke von über 100 km das Neue Musiktheater besucht haben.

H & P Huber

 

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