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LINZ/ Brucknerhaus: „VIER“ – Konzert des Bruckner Orchesters Linz. Markus Poschner; Solisten Thomas Gould, Violine, und Bernhard Schimpelsberger, Perkussion (Strawinsky, Ravel, Berauer)

Linz: „VIER“ – Konzert des Bruckner Orchesters Linz im Brucknerhaus, Großer Saal, 30. 04.2023

Dirigent Markus Poschner; Solisten Thomas Gould, Violine, und Bernhard Schimpelsberger, Perkussion

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Vor Konzertbeginn auf der roten Couch: Markus Poschner, Johannes Berauer, Norbert Trawöger. Foto: Petra und Helmut Huber

Beim vierten Konzert der Saison in der Abonnementreihe des Bruckner Orchesters, ausnahmsweise um 16 Uhr angesetzt, standen zwei Klassiker vom Beginn der Moderne am Programm: „La Valse“ von Maurice Ravel und „Le Sacre du Printemps“ von Igor Strawinsky. Dazu kam eine Uraufführung: das Konzert für Violine, Perkussion und Orchester „NoWhere NowHere“ des 1979 in Wels geborenen Johannes Berauer. Sein internationales Studiencurriculum (New England Conservatory, Berklee College/Boston MA,  Anton Bruckner Priv.-Universität bei Lehrern von Klassik bis Jazz) und Kompositionsaufträge und Zusammenarbeiten von China bis zu den USA zeigen seine Vertrautheit mit einem weiten musikalischen Spektrum. Nicht zuletzt hat er sich mit indischer Musik beschäftigt, die die Basis für das heute uraufgeführte Werk bildet. Dies erklärte er in der Gesprächsrunde „auf der roten Couch“ vor dem Konzert mit dem Dirigenten und dem Orchestervorstand Norbert Trawöger. Insbesondere was die indische Rhythmik anlangt, hat er sich dabei auf die Expertise von Bernhard Schimpelsberger verlassen, der heute nachmittags auch ein großes Instrumentarium an Trommeln, Glöckchen und anderen Rhythmusgeräten bedient, derweil er munter Kaskaden von Konnakol-Silben schnattert. Der eigentliche Anstoß zu dem Werk kam von Thomas Gould.

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Paukenstimmung. Foto: Petra und Helmut Huber

Die Programmabfolge sah ursprünglich zuerst den Ravel, dann die Uraufführung und schließlich „Sacre“ vor, wurde aber bei der Nachbesprechung der Generalprobe umgestoßen. Und so hören wir zuerst das neue Werk. Oft sehr melodiös, mitunter kann man im seidigen Streicherklang (ca. 50 Personen, Streicher und kleiner Bläsersatz, Marimba und Vibraphon) richtig baden. Schönberg hätte getobt, dem Publikum, im gut besetzten Saal gefällt es. Thomas Gould läßt seine Guadagnini (Bj. 1782) singen und jubeln, immer wieder auch in dezidierter Zwiesprache mit dem Perkussionisten. Im ersten Satz („Alap“) wirkt das oft noch ein bißchen aufgesetzt, im zweiten und dritten („Carousel“, „Soul Kitchen“) aber stellt sich eine durchaus symbiotische, ja innige Beziehung zwischen den beiden, und natürlich auch mit dem Orchester ein, das sich vom Dirigenten trittsicher durch die komplexe Rhythmik und Agogik leiten läßt. Eine ausgesprochen erfreuliche neue Bekanntschaft!

Nach aufwendigem Umbau folgte Maurice Ravel’s ursprünglich als Hommage an „Strauss, aber nicht Richard, sondern den anderen“ gedachter, späterer Abgesang auf die Belle Epoque, samt ihren Doppelbödigkeiten und Falschheiten. Der Sinnwandel vollzog sich von den ersten Versionen 1906 bis zur vollen Orchesterfassung 1920, denn dazwischen lag die monströse „Grande Guerre“, mit all ihren gesellschaftlichen und politischen Folgen. Zu dieser Zeitenwende kam auch noch die schroffe Ablehnung des Werkes als Ballettmusik durch Sergej Diagilev. All das steckt in dem Werk drinnen, muß von einer kompetenten Interpretation transportiert werden. Und an diesem hintergründigen Farbenreichtum war wahrlich kein Mangel: Mit aller technischen Brillanz, Opulenz und trotzdem erhaltener Transparenz des Orchesters führte uns der Dirigent auch auf das allzu dünne Eis, auf dem getanzt wird, auf den fragilen Draht, auf dem alle balancieren müssen, und in den trügerischen Rausch, mit dem man sich über das alles drüberzuschwindeln versucht. Erneut großer Applaus. Pause.

 DAS Pariser Skandalstück des Jahres 1913, das heute zum Konzertstandard gehört, bildete den Abschluß. Nun haben wir im Oktober 2019 Dirigent und Orchester mit diesem Werk bereits begeistert erlebt, aber damals als Teil einer im übrigen hochinteressanten Tanztheaterproduktion; diesmal können die 106 Damen und Herren am Podium unsere ungeteilte Aufmerksamkeit genießen. Und die verdienen sie sich wahrlich: beginnend mit dem makellosen hohen Fagottsolo zu Beginn (Clemens Wöss, soweit erkennbar) gerät die Interpretation zum aufwühlenden Genuß, erneut in höchster Präzision, perfekter Transparenz, ohne die immense Dynamik der Komposition zu opfern. Die Generalpause zwischen den beiden Teilen „Adoration“ und „Sacrifice“ wird fast schmerzlich lang, bevor wieder die mystischen Töne der Komposition lavaartig empordrängen. Besonders muß die riesige Bläsersektion für ihre Gestaltung gelobt werden (u. a. acht stets sauber angesetzte Hörner!) und die Präzision, mit der die zwei Paukisten (Leonhard Schmidinger und Vladimir Petrov) zusammenspielten.

Begeisterter Applaus, den der Dirigent auch auf Solistinnen und Solisten und durch das eigenwillig gesetzte Werk besonders geforderte Instrumentengruppen lenkte.

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Johannes Berauer, Bernhard Schimpelsberger, Thomas Gould. Foto: Petra und Helmut Huber

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Foto: Petra und Helmut Huber

 

Das Konzert wird heute, am 1. Mai um 15:30 im Musikvereinssaal in Wien nochmals aufgeführt.

 

Petra und Helmut Huber

 

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