Linz: „Beethoven & Staud“ – Konzert im Brucknerhaus Linz, Großer Saal, 16. 05.2025
Bruckner Orchester Linz unter Markus Poschner, Schlagwerkssolo Christoph Sietzen
Die „Rote Couch“. Foto: Brucknerhaus
1840 hatte Felix Mendelssohn-Bartholdy für die Gewandhauskonzerte zu Leipzig eine gewagte Idee: alle drei Leonoren- und die endgültige Fidelio-Ouverture an einem Abend? Nun, Robert Schumann war als Berichterstatter davon begeistert – „das schönste Konzert meines bisherigen Lebens“. Siehe dazu auch den aktuellen Presse-Artikel von Wilhelm Sinkovicz. Ob in den 185 Jahren seither diese Kombination erneut so aufgeführt worden ist? Wohl ja, aber dazu ist zumindest im Internet nichts zu finden. Wohl aber gibt es CDs/Schallplatten, die die vier Werke vereinen, z. B. 1996 unter Nikolaus Harnoncourt (mit dem Chamber Orchestra of Europe).
Jedenfalls hatte das dynamische Trio BOL – Norbert Trawöger – Markus Poschner die Idee, genau diese Kombination wieder unter die Leut‘ zu bringen, und für die übliche Konzertlänge mit einem modernen Werk zu kombinieren. Schließlich lautete das Programm: Fidelio-Ouverture – „Whereas the reality trembles“ für Schlagwerk und Orchester in 5 Teilen von Johannes Maria Staud – Pause – Leonore I – III.
Auch diesmal gab es vor dem Konzert eine spezielle Einführung auf der „roten Couch“ mit Dirigent und Solist, die von zwei – sehr gut und originell vorbereiteten – Linzer Gymnasiastinnen befragt wurden.
Zum Anwärmen von Ohren (und Herz!) gab es die „Fidelio-Ouverture“, die recht wenig mit ihren Vorläuferinnen zu tun hat, mit 75 Damen und Herren sicher üppiger besetzt als bei der Uraufführung im Mai 1814. Wie nicht anders zu erwarten, wurde das Werk technisch makellos und mit vorzüglicher emotioneller Modellierung präsentiert – würde in der Form einer „Fidelio“-Aufführung an jedem Opernhaus der obersten Liga sehr gut anstehen.
Das Werk des 204 Jahre nach Beethoven geborenen Mozarteum-Professors J. M. Staud wurde, mit dem selben Solisten wie heute, 2022 in Cleveland unter Franz Welser-Möst uraufgeführt. Staud gibt als wichtigen Einfluß den US-amerikanischen Arzt und Dichter William Carlos Williams (1883 – 1963) an, den er als „Magier der jittering directions“ sieht. Der Titel des Werks stammt aus dessen Gedicht „April“ von 1930, denn für Staud ist in der von diesem abgeleiteten Sichtweise „die Realität ein poetischer Raum“, in dem er sich frei fühle, „Musik auf einer sehr spielerischen Ebene zu erfinden“.
Das Schlagwerk. Foto: Brucknerhaus
Christoph Sietzen hat zur Umsetzung dieses poetischen Spiels ein gewaltiges Instrumentarium zur Verfügung (und zu bewältigen!!): 9 Trommeln, ein Marimbaphon mit vier Oktaven (Adams Alpha), Kuhglocken mit 2 ½ Oktaven, Crotales, Glockenspiel, allerlei Effektbleche, Benzinkanister, Fliesen und Blumentöpfe; bei letzteren, vermuten wir, ist die Grenze vom Schlag- zum Zerschlaginstrument besonders schmal, aber diesbezüglich weiß der Solist wohl genauest zu dosieren… auch im musikalischen Sinne: von massiven, trotzdem präzisen Geräuschorgien bis hin zum feinsten, „unbewaffneten“ Fingeranschlag auf seinem Instrumentarium, bei dem er in ein feinsinniges Duett mit seinem einstigen Lehrer Leonhard Schmidinger an den Pauken tritt.
Sietzen spielt seinen hochkomplexen Part auswendig. Er muß sich dazu nicht nur die Notation, sondern auch eine umfängliche Choreographie merken, da er ungefähr 5 m Strecke zwischen den Enden seines wahrhaftigen Schlag-WERKS zurückzulegen und auch einige seiner Instrumente dabei mit den Füßen zu bedienen hat. In den rund 20 Minuten, die das Werk dauert, legt er hunderte Meter in seinem „Käfig“ zurück.
Die Musik ist überwiegend tonal und folgt teils auch konventioneller Harmonik. Aber in einem langsamen Mittelteil kommt auch einmal Mikrotonalität zum Einsatz, die von Dirigent und Orchester sehr schön zu einem harmonisch gleitenden Spannungsaufbau genutzt wird. Natürlich ist vieles rhythmisch akzentuiert, es gibt clusterhafte Abschnitte, aber insgesamt ergibt sich ein fast sonatensatzhaft abgerundetes Bild des Werkes. Das wird mit Präzision, Spannung, Atmung, Pulsschlag und Dynamik vom um vier Schlagwerker erweiterten Orchester dargeboten, in innigem rhythmischen, geradezu organischem Einklang mit dem Solisten.
Große Begeisterung des Publikums, also Zugabe: Herr Sietzen wählte dafür etwas GANZ anderes: ein Stück aus J. S. Bachs Lauten-Suite e-Moll BWV 996, alleine auf seiner sehr speziellen Marimba dargeboten – das Instrument weist für die tiefen Stäbe sehr große Resonanzkästen auf, die einen außerordentlich sanften, aber profunden und tragfähigen Ton ermöglichen. Seine Interpretation ist hochromantisch, intensiv von Agogik und Dynamik geprägt. Aber was uns heute, etwa bei Aufnahmen von Bach am Klavier aus den 1930ern, befremdlich anmutet, funktioniert in diesem setting geradezu berückend schön und logisch. Erneut Begeisterung.
Nach der Pause, mit auf knapp 70 Personen leicht reduzierter Besetzung, die drei Leonoren-Ouverturen, in numerierter (nicht chronologischer!) Reihenfolge. Die „Einser“ (op. 138), die Beethoven verwarf, ist solides musikalisches Handwerk, aber nicht die unverwechselbare Handschrift des Meisters aus Bonn. Sicher gibt es sehr feine Einfälle, z. B. ein (zweimalig) durch alle Melodiestreicher laufendes Thema, anfänglich auch düstere „Gefängnistöne“ – aber die intensive, packende Emotionalität der anderen Versionen lässt sich nicht wahrnehmen, obwohl Herr Poschner sicher alle diesbezüglichen Möglichkeiten auslotet.
Zum ersten Mal hört man die in der dritten so prägende unisono-Abwärtstonleiter in der zweiten (op. 72a), und die wird geradezu atemberaubend von Dirigent und Orchester zelebriert. Obwohl drei Jahre älter als die Nr. 1, wirkt sie wesentlich reifer und gleichzeitig aufwühlender.
Leonore III = Opus 72b, die „erste sinfonische Dichtung der Musikgeschichte“, die große Erzählung über Gefangenschaft und Befreiung, wird dann in all ihrer Pracht und Emotionalität mit Virtuosität (Andrea Dusleag, Soloflöte, Gerhard Fluch, „Bühnen“-Trompete, auch schon in der 2.) und Präzision als krönender Abschluss eines wahrhaft memorablen Konzertes dargeboten.
Foto: Brucknerhaus
Obwohl der Saal schandbar gering besetzt war, tosender und langer Applaus für eine fantastische Leistung von Dirigent und Orchester.
Am Sonntag, den 18. Mai, wird dieses Programm in Wien im Musikverein ab 15:30 noch einmal aufgeführt; eine Stude davor hält der künstlerische BOL-Leiter Norbert Trawöger im Brahms-Saal eine Einführung.
Petra und Helmut Huber