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LILIA MILEK – Carlysle Floyds Cathy

13.05.2013 | INTERVIEWS, Sänger

Carlysle Floyds Cathy

 

Die Sängerin Lilia Milek. Ein Interview mit Joachim Weise

 Es bedarf schon eines außergewöhnlichen Anlasses, wenn sich drei „Merker“ nacheinander in Freiberg einstellen, um über dieselbe Inszenierung zu berichten. Diesen Anlass bot die deutsche Erstaufführung von Carlisle Floyds „Sturmhöhe“ am dortigen Mittelsächsischen Theater, dessen zweiten Standort die Stadt Döbeln bildet. Die auf Emily Brontes gleichnamigem Roman basierende Oper wartet mit einer an Britten gemahnenden Tonsprache, hinreißender Melodik und prachtvollen Orchesterfarben auf. In der restlos überzeugenden Inszenierung Judica Semlers bestachen innerhalb eines vorzüglich aufgelegten Ensembles vor allem der Bariton Guido Kunze, dessen Stimme das abverlangte Englisch bestens zupasse kam, als Heathcliff und die Sopranistin Lilia Milek, die nach ihrem Aufsehen erregenden Debüt als Katjuscha in Alfanos „Auferstehung“ (sie sprang buchstäblich in letzter Minute ein) nun einer weiteren Literatur-Oper mit einer überragenden Leistung zum Erfolg verhalf. Dabei bewältigte sie nicht nur den extreme Ansprüche stellenden Gesangspart traumwandlerisch sicher, sondern reicherte auch die widerspruchsvolle, von ihrer Liebe zu Heathcliff verzehrte Figur der Cathy mit einer bewunderungswürdigen Fülle darstellerischer Facetten an.

 Geboren und aufgewachsen ist Lilia Milek als Kind deutschstämmiger Eltern im fernen Usbekistan. Daheim ward viel gesungen, und zu den Idolen des Teenagers, der zu jener Zeit keinesfalls an eine Opernkarriere dachte, gehörte auch die in Deutschland (vorrangig im Osten) bestens bekannte Unterhaltungskünstlerin Alla Pugatschowa, der es nachzueifern galt. Eine in Taschkent Gesang studierende entfernte Verwandte bestärkte schließlich den Entschluss zum Besuch einer Vorbereitungsschule für die Aufnahme am Konservatorium. Da die Familie 1991 in die BRD auswanderte, musste dieser Besuch abgebrochen und als unabdingbare Voraussetzung für ein Hochschulstudium ab sofort Deutsch gebüffelt werden. Mittlerweile stand der Berufswunsch „Opernsängerin“ fest. Auf dem Hausaltar hatten Maria Callas und Joan Sutherland den Platz Pugatschowas eingenommen. An der Berliner Musikhochschule erkannte die junge Frau, besonders nach einem Kurs bei Sergei Leiferkus, dass zusätzliche Studien vonnöten waren, um ihren eigenen

Ansprüchen gerecht zu werden. Aus diesem Grunde fuhr sie nach St. Petersburg, sang dort Larissa Gergiewa, der Schwester Waleri Gergiews, vor und ward 2005 zu einem Sommerkurs ins finnische Mikkeli gebeten, wo auch Wladimir Atlantow unterrichtete. Ein Jahr später folgte die Einladung zu einem Studienaufenthalt für junge Sänger am Petersburger Mariinski-Theater. Dort nahm sie Gergiews Schwager, ein in Russland bekannter und geschätzter Tenor, unter seine Fittiche. Schon als Studentin hatte Lilia Milek Rollen an der Neuköllner Oper übernommen, u. a. in einer Aufführung des nahezu von der Bildfläche verschwundenen „Blaubart“ von Gretry. Später warteten die Komische Oper (Goehrs „Malpopita“) und die Berliner Staatsoper (ein Projekt mit Kindern und an Alzheimer Erkrankten) mit speziellen Angeboten auf. Heidelberg versicherte sich ihrer Mitwirkung bei Spielplanraritäten, wie Vivaldis „L’Olimpiade“ oder Martinus „Drei Wünschen“. Am Berliner Maxim Gorki-Theater bereicherte sie mit einer „Violetta“-Arie und einem der Wesendonck-Lieder regelmäßig die dortige „Effi Briest“-Inszenierung. Inzwischen erstreckt sich ihr Repertoire, außer den Genannten, von der sogenannten Vorklassik (Monteverdi, Telemann, Hasse) bis zur klassischen (Blacher. Grosz) und zeitgenössischen Moderne (Goebbels, Siepmann). Auf die Frage, wie sie diese enormen stilistischen Unterschiede bewältige, antwortet die Künstlerin: „Natürlich benötigt man dazu eine solide Technik auf der Grundlage des Belcanto. Und es ist wichtig, zwischen den Zeitgenossen, ein Repertoire zu singen, mit dem man die Stimme pflegen und zum Belcanto zurückkehren kann, wie z. B. Mozart oder die Italiener.“

 Noch war nicht von der Operettensängerin Lilia Milek die Rede, die sich 2007 bei den Elblandfestspielen in Wittenberge den Renate-Holm-Preis ersang, an der Dresdner Staatsoperette die Sophistika in der Strauß-Ausgrabung „Prinz Methusalem“ spielte und mittlerweile in Freiberg/Döbeln auch als Sylva Varescu und Saffi zu begeistern vermochte. „Operette ist Leidenschaft und muss genau so gut gesungen werden wie Oper.“ Deshalb freut sie sich schon jetzt darauf, ihrem treuen Publikum für die kommende Spielzeit ein besonderes Praliné aus der Bonbonniere der „Silbernen Aera der Wiener Operette“ versprechen zu dürfen.

 Ihre jüngste Partie ist Lorenzo Ferreros „Charlotte Corday“ gewesen. (Der „Merker“ wird demnächst anwesend sein.) In dieser die Ermordung des französischen Revolutionsideologen historisch frei behandelnden Oper stellt sich die Frage, wie weit der Mord an einem Mann, der den Mord predigt, moralisch zu rechtfertigen ist. Welchen Mutes es bedarf, eine Tat zu verüben, die den eigenen Tod nach sich zieht? Wer kann da sagen, derlei habe sich erledigt.

 Natürlich versäume ich nicht, meine Gesprächspartnerin auf eine 1999 mit dem Marcus-Reinhardt-Ensemble produzierte CD anzusprechen, die außer Paminens „Ach, ich fühl’s“nur Tenorarien (von Nemorino über Manrico bis zu Canio) enthält. „Das rechne ich zu meinen Jugendsünden, mehr ein Jux, zu dem ich mich aber bekenne. Damals wurde ich von einem Kölner Theater zu einer Art Trash-Programm eingeladen, das auch den Auftritt mit diesen Arien vorsah. Und da wir alle unseren Spaß daran hatten, haben wir das Ganze eben aufgenommen.“

 Als Lilia Milek in ihrer Jugendzeit Brontes „Sturmhöhe“ las („Das Gruselige hat mir besonders gefallen.“), ahnte sie kaum, später einmal in einer Opernfassung des Romans selbst als Cathy auf der Bühne zu stehen. Nach Vorstellungen für die Zukunft befragt, werden die Violetta oder „Troubadour“-Leonora genannt – und die Titelpartie einer weiteren Literatur-Oper – Bergs „Lulu“. Den letzten Wunsch wird das Mittelsächsische Theater wohl kaum erfüllen können…

Joachim Weise

 

 

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