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LIÉGE: STRADELLA von César Franck

23.09.2012 | KRITIKEN, Oper

Liége: CésarFranck: „Stradella“ (besuchte Aufführung: 21.September 2012)

 Am 19. September 2012 eröffnete die Opéra Royal de Wallonie nach 2 ½-jährigen Restaurierungs- und Modernisierungsarbeiten ihr schönes klassizistisches Haus, das 1820 als Théâtre Royal de Liège eröffnet worden war, wieder. Mit Kosten von fast 29 Mio. Euro wurde verschönert (auf Lüttich lasten noch die schmutzigen Spuren der seinerzeitigen Schwerindustrie) und eine moderne Bühnentechnik installiert. Den über 1000 möglichen Besuchern werden Informationen in drei Sprachen (auch deutsch) geboten. Zur Wiedereröffnung präsentierte man eine Rarität mit Lokalbezug: Intendant Stefano Mazzonis grub ein Frühwerk von César Franck aus: Stradella. Das Sujet ist vor allem durch „Alessandro Stradella“ von Flotow bekannt.

 C. Franck wurde 1822 in Lüttich geboren, übersiedelte aber bereits 1835 mit der elterlichen Familie nach Paris. Dort schuf er vermutlich mit 18 Jahren seinen „Stradella“, mit dem er den Rom-Preis gewinnen wollte. Der Konservatoriumsschüler vertonte das Libretto der gleichnamigen Oper des angesehenen Schweizers Louis Niedermeyer neu. Von Francks Hand liegt allerdings nur eine Partitur für Singstimmen und Klavier vor. Francks ehrgeiziger Vater drängte ihn in die ihm aussichtsreicher erscheinende Karriere eines Klavier-Virtuosen, so dass für eine Orchestrierung keine Zeit mehr war.

 Der Lütticher Intendant gab nun bei Luc van Hove eine Orchestrierung in Auftrag; für diese Fassung konnte man für Lüttich die Uraufführung der Oper reklamieren. Es wurde mit Palazzetto Bru Zane, einem Zentrum der französischen romantischen Musik in Venedig, koproduziert.

 Die dreiaktige Oper Francks ist zunächst in Venedig angesiedelt, was teilweise auch in der Musik zum Ausdruck kommt. Dass der erste Akt während des Karnevals spielt, kann man infolge der ärgerlichen Regie nur dem Programmheft entnehmen. Wieder einmal hat ein unmusikalischer Regisseur nicht das Werk, sondern sich selbst inszeniert. Auf der Bühne findet – mit Absicht – kein buntes Karnevalstreiben statt, was denn auch die hier etwas einfach gestrickte Musik leer laufen lässt.

 (Alessandro) Stradella, berühmter Sänger der Stadt, will gemeinsam mit seinen Schülern seiner insgeheim geliebten Leonore ein Ständchen bringen. Jedoch ist auch der Herzog von Pesaro in die 17-jährige Waise verliebt und lässt sie entführen. Leonore wird im Herzogspalast gefangen gehalten. Da sie den Herzog zurückweist, will sie dieser u.a. durch Gesänge des von ihm engagierten Stradella gewinnen, nicht ahnend , dass dieser Leonore liebt und seine Liebe erwidert wird. Nachdem der Herzog dies aber entdeckt, stellt sich Stradella ihm entgegen und ermöglicht so Leonore die Flucht. Diese war gemeinsam geplant gewesen, doch kann nun Stradella erst später fliehen. Die Liebenden verlieren einander dadurch aus den Augen.

 Der dritte Akt spielt in der Karwoche in Rom. Stradella ist für Kirchengesänge am Gründonnerstag engagiert. Der Herzog hat indessen für Stradellas Tötung zwei Auftragsmörder gedungen. Leonore, die dies zufällig mitgehört hat, will auch unter Gefahr für ihr eigenes Leben Stradella retten. Für den Schluss der Oper hat der Regisseur besonders verfälschend zugeschlagen. Im Original steht eine Apotheose der Kunst: Als die Auftragsmörder erfahren, dass der Anschlag dem verehrten Sänger Stradella gilt, lassen sie von der Tat ab, und auch der Herzog vergibt und vereinigt die Liebenden.

Demgegenüber lässt der Regisseur Leonore am Ende ihrer großen Arie an ihren übermächtigen Emotionen sterben, und etwas später wird Stradella tatsächlich ermordet. Damit können die Liebenden nur noch im Jenseits vereint sein. Die tragische Variante mag zwar der überlieferten Historie entsprechen, ist aber durch die Musik nicht gedeckt: Beide Todesfälle finden musikalisch nicht statt und – noch ärger – das großartige Liebes-Schlussduett wirkt werkfremd als religiöser Kitsch. Das Werk endet mit dem Umhersegeln eines großen bunten Fisches über Bühne und Zuschauerraum; vielleicht sollte das auf die Erlösung durch Jesus Christus, der ja in der Kunst auch durch einen Fisch repräsentiert wird, hindeuten? Das Publikum nahm es erheitert, vielleicht auch dankbar, dass die optische Tristesse der Inszenierung zu Ende war.

 Die Inszenierung des u.a. in Cannes erfolgreichen Filmregisseurs Jaco van Dormael stellt seine erste Opernarbeit dar. Obwohl er Bezüge zu Venedig nach eigener Aussage vermeiden und auch „zeitlos“ inszenieren wollte, hat ihn Venedig doch auf recht eigenartige Weise inspiriert:

 Die ganze Aufführung ertrinkt fast in Wasser. Die technische Eignung der neuen Bühne für ein Schwimmbad wird eindrucksvoll demonstriert. Von Anfang bis Ende stehen die Solisten im Wasser oder müssen sich darauf konzentrieren, auf verstreuten Platten so umherzusteigen, dass sie nicht ins Wasser fallen. Im ersten Akt wird das Karnevalstreiben durch heftige Wasserfälle vom Schnürboden herab ersetzt; dass Chöre und Statisten daher in graue Pelerinen eingekleidet sind, lässt auch nicht gerade fröhliche Stimmung aufkommen. Die Auftragsmörder müssen ihre Tat sogar schwimmend (und gleichzeitig singend) vorbereiten. Für all diese sinnlosen Erschwerungen, teils auch Risiken, erhalten die Darsteller hoffentlich entsprechende Zulagen. Bühnenbild (Vincent Lemaire) und Kostüme (Olivier Bériot) sind gemäßigt modernisiert. Das Licht (Nicolas Olivier) folgt der verbreiteten Mode, besondere Emotionen oder Situationen durch Farben zu verdeutlichen, z.B. wird alles rot, wenn die Handlung gewalttätig wird.

 Musikalisch orientierte sich der junge Franck an den erfolgreichen Musikdramatikern seiner Zeit, etwa Donizetti und Meyerbeer. In den ersten Akt fließt auch venezianisches Lokalkolorit ein, so die damals sehr beliebte Barcarole. Auffällig sind gute Deklamation und Vermeidung von Floskeln. Die virtuose Belcanto-Technik kommt wenig vor; bemerkenswerte Ausnahme ist eine schwierige Koloraturarie der Leonore gegen Ende.

 Entgegen der verbreiteten Auffassung, Franck sei kompositorisch ein Spätentwickler gewesen, sind auch in diesem frühen Werk bereits Elemente seines entwickelten Kompositionsstils verwirklicht (vgl. hierzu Klauspeter Bungert, César Franck – die Musik und das Denken, Verlag Peter Lang, 1996).

 Die Aufführung ist musikalisch gut gelungen, wenn man von Erschwerungen durch Sparmaßnahmen absieht. Dirigent Paolo Arrivabeni musiziert flüssig und sängerfreundlich, kann aber nur auf ein relativ klein besetztes Orchester und recht dünn klingende Chöre zurückgreifen. Vor allem im ersten Akt, wo die Komposition eher einfach gestrickt ist, kommt in Verbindung mit der „Karnevalsverweigerung“ des Regisseurs ein Leeregefühl auf.

 Die männlichen Solisten überzeugen bis hin zu den Comprimarii: Den Stradella verkörpert der lyrische Tenor Marc Laho mit schöner Stimme, guter Gesangstechnik und darstellerischem Können; lediglich für einige dramatische Höhepunkte könnte man sich mehr Spinto-Qualitäten wünschen. Größere Rollen sind auch den beiden Baritonen Philippe Rouillon (Herzog) und Werner van Mechelen (Spadoni, Bedienter des Herzogs und Anführer der Bravi) anvertraut; sie singen gut fokussiert und klar artikulierend. Die Auftragsmörder sind (auch schwimmerisch) bei den Tenören Xavier Rouillon und Giovanni Iovino gut aufgehoben.

 Problematisch ist allerdings die Besetzung der Leonore mit Isabelle Kabatu: Vom Aussehen und vom Spiel her nimmt man ihr zwar das junge Mädchen ab, die Stimme ist aber viel zu reif für die Partie. Bereits in tieferen Lagen bringt sie ein sattes Tremolo, und die Höhe wird nur im Forte, manchmal auch distonierend, erklommen. Das beeinträchtigt auch Ensembles, insbesondere mit Marc Laho, der auch in hoher Lage über ein schönes Piano verfügt.

 Die Lütticher Oper hat auf ein Stagione-System umgestellt. Stradella wurde zwischen 19. und 29. September sechs Mal gegeben. Man kann das Werk auf einer CD kennenlernen, die zu dieser Produktion herausgebracht wird.

Von César Franck gibt es übrigens noch drei weitere Opern, die bisher teils gar nicht, teils nur verstümmelt, vorliegen. Vor allem die Wagner-nahe, aber nicht leicht zu besetzende „Hulda“ wäre interessant.

 Bei einem eventuellen Besuch der Lütticher Oper sollte man wohl den vierten Rang vermeiden. Ein Gang durch das Haus zeigte dort an den Seiten etwas eingeschränkte Sicht, vor allem aber lässt die Architektur akustische Beeinträchtigung befürchten.

 Dieter Rückle

 

 

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