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LEIPZIG/ Opernhaus: MAGNIFICAT. Choreographie von Mario Schröder


Copyright: Ida Zenna www.zenna.de

Leipzig / Oper Leipzig:MAGNIFICAT“, 14.06.2019  

In das Bachfest 2019 wurde auch das Ballett „MAGNIFICAT“ an der Oper Leipzig integriert. Diese moderne Choreografie von Mario Schröder nach der Musik von Johann Sebastian Bach, Giovanni Battista Pergolesi und exotischen Klängen, produziert vom indischen Musiker Ravi Srinivasan und seiner Band „Indigo Masala“, erwies sich durchaus als eine Bachfest-Bereicherung. Zu Leipzig passt es ohnehin, war doch dieses 1723 komponierte „Magnificat“ das erste umfangreiche Werk, das Bach, der im gleichen Jahr gewählte Thomaskantor, für seine neue Heimatstadt schuf.

Diese Beschäftigung mit Bach ist für Leipzigs Ballettchef, der mehr als 80 Choreografien weit über Leipzig hinaus kreiert hat, nicht neu. 2017 hatte seine für das Leipziger Ballett entwickelte Tanz-Version von Bachs „Johannes-Passion“ Begeisterung ausgelöst, und genau so ist es mit dem „Magnificat“.

Nach Schröders Worten schreit Bachs Musik „regelrecht danach, auf der Bühne vergrößert  und szenisch dargestellt zu werden“. Der visuelle Eindruck soll, so wünscht er, ein neues Hören ermöglichen, soll neue Klangräume und neue Assoziationen erschließen. Gelingt das?

Der Anfang überzeugt sofort. Die ganze Compagnie flutet in leuchtend roten Gewändern über weißen Hosen die Bühne. Lebhaft swingen die Damen und Herren zu Bachs markanten Rhythmen, ohne in Kleinteiligkeit zu verfallen. Die Gruppe wogt hin und her, um sich dann aufzufächern. Schöner kann ein Ballett kaum beginnen (Bühne, Kostüm: Paul Zoller).

Nach diesem Farbenwirbel biegt sich wie in Trance eine superbewegliche blonde Tänzerin, wird  auch von ihren Partnern hin und her gebogen und schließlich, steif wie ein Brett, von ihnen umher- und weggetragen. Ausdrucksstark gelingen  auch die Zweisamkeiten, die sich allmählich entwickeln. Denn Rot bedeutet Liebe und Feuer, und beides haben diese großartigen Interpreten/innen spürbar in ihren Herzen und Beinen.

Den strahlenden musikalischen Hintergrund liefern zunächst die Verse „Meine Seele erhebet den Herrn“ und „mein Geist erfreut sich Gottes, meines Heilandes“. Beim Anblick dieser höchst engagierten und ausdrucksstarken Tänzerinnen und Tänzer erheben sich sicherlich auch die Seelen des konzentriert schauenden Publikums.     

Unter dem Dirigat von Felix Bender schwingt sich währenddessen das Gewandhausorchester mit gewohnter Präzision und Klangfülle in den Bachhimmel empor. Die Sängerinnen und Sänger stehen vor der Bühne an beiden Seiten. Sopran 1 singt Steffi Lehmann, Sopran 2 Susanne Krumbiegel.  Die Altpartien sind bei Marie Henriette Reinhold in guter Kehle. Überzeugend auch Martin Petzold (Tenor) und Dirk Schmidt (Bass). Der Opernchor, einstudiert von Thomas Eitler-de Lint, und der Kinderchor, trainiert von Sophie Bauer, füllen den Saal mit Wohlklang. In der Musikstadt Leipzig ist das eigentlich eine Selbstverständlichkeit.


Anna Jo u. Ronan Dos Santos Clemente. Copyright: Ida Zenna, www.zenna.de

Vor der Rückwand der Bühne dreht sich langsam ein großes Rad, in gewisser Weise ein Käfig, in den sich mal der eine oder andere Tänzer stellt, was Leonardo da Vincis Zeichnungen ins Gedächtnis ruft. Manchmal gehen sie auch in dem Rad ohne voranzukommen. Vielleicht ist das ein Hinweis auf die oft vergeblichen Mühen, die sich die Menschen machen, um ein bestimmtes Ziel zu erreichen.  

Links und rechts vom Rad reihen sich luftige „Hochhäuser“, die sich verschieben lassen und die Tanzenden gelegentlich einengen. An Ideen und Anspielungen fehlt es also wirklich nicht. Darüber hinaus bestimmen fantasievolle Farbenspiele und Lichteffekte das gesamte Geschehen (Licht: Michael Röger).

In solch einem Rahmen können die Tänzerinnen und Tänzer verdeutlichen, welch politischen Sprengstoff dieses Magnificat aus dem Lucas-Evangelium besitzt. Maria, wohl in ärmlichen Verhältnissen lebend, jubelt nach der Erscheinung des Engels zukunftsfroh: „Er (Gott) stößt die Gewaltigen vom Thron und erhebet die Niedrigen.“ Auch werde Gott die Hungernden speisen und die Reichen leer ausgehen lassen. Dass sich diese Hoffnungen nicht erfüllt haben, zeigt Jesu Tod am Kreuz. Welche seelischen Qualen seine Mutter bei diesem Anblick erleidet, schildern Pergolesi und die Tänzerinnen in bewegender Art und Weise.   


Urania Lobo Garcia und Lou Thabart. Copyright: Ida Zenna, www.zenna.de

Doch so von barockem Geist und der dazugehörigen Musik erfüllt, bleibt es auf Dauer nicht. Mario Schröder, der nach eigenen Worten schon lange ein Faible für klassische indische Musik hat, baut solche Klänge und Bewegungsmuster mit ein, um so bis in die Gegenwart vorzudringen. Vielleicht will er sich und auch das Publikum etwas vom übermächtigen Johann Sebastian Bach abkoppeln.

Also schiebt Schröder mitunter indische Klänge, geboten von Ravi Srinivasan ein, und lässt sie durch pompöse Ausstattung und szenisches Dschungel-Ambiente mit Vogelgezwitscher anreichern. Das segelt hart am folkloristischen Edelkitsch vorbei, ist wohl auch nicht ironisch gemeint, obwohl es mitunter so wirkt. Danach ein Aufatmen, wenn wieder Bach und Pergolesi mit ihrer gänzlich anderen Thematik an der Reihe sind.

Dennoch wird dieses Magnificat-Ballett dank seiner Ideen- und Farbenfülle, dank der fein musizierten Barockklänge und vor allem dank der Hingabe der Tanzenden zu einem positiven Erlebnis. Dafür sorgten mit vollem Einsatz die Solotänzerinnen Laura Costa Chaud,  Madoka Ishikawa, Anna Jo, Fang Yi Liu, Urania Lobo Garcia,  Diana Sandu, Samantha Vottari und Vivian Wang sowie die Solotänzer Lou Thabart, Ronan dos Santos Clemente,  Luke Francis, Landon Harris,  Yan Leiva,  Alessandro Repellini und Vincenzo Timp.  

Leider war es die letzte Aufführung dieses Magnificat-Balletts, und der Jubel danach wollte kaum enden.

Ursula Wiegand

 

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