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LEIPZIG: LE NOZZE DI FIGARO

Leipzig Repertoire, auf das man sich mit Vergnügen einlassen kann

24.09.2018 | Allgemein, Oper

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Copyright: Oper Leipzig

LEIPZIG: LE NOZZE DI FIGARO
am 22.9.2018 (Werner Häußner)

Ein Wochenende wie jedes andere. Keine Gala, keine Premiere. Die Oper Leipzig gibt „Le Nozze di Figaro“. Die fünfzehnte Vorstellung seit der Premiere 2015. Keine Repertoire-Rarität, kein Regie-Aufreger. Nichts Besonderes, möchte man meinen, und doch: Die Zuschauer in den betrüblich schütter besetzten Reihen des eleganten Leipziger Opernhauses erleben eine blitzsaubere Aufführung. Ein paar minimale Pannen im Orchester, ein paar unauffällige Unsicherheiten auf der Bühne, ansonsten Theater auf beachtlichem Niveau: Alltag in der weltkulturerbeverdächtigen deutschen Opernlandschaft.

Und so wundert sich der Besucher von weit her, dass die Leipziger an einem Samstagabend ihre Oper nicht zahlreicher goutieren. Kaum junge Leute in einer jungen Stadt, viele ältere Menschen, die sich für den Abend fein gemacht haben, mit Anzug, Krawatte, gutem Kostüm oder Kleid. Sie sitzen in der hinteren Hälfte des Zuschauerraums, vorne, wo die Plätze im Freiverkauf nicht unter 55 Euro zu haben sind, bleiben viele Sessel leer. Auch wenn Verwaltungsdirektoren heftig widersprechen werden: Die Oper ist, wenn man nicht die günstigsten Plätze irgendwo oben oder hinten nehmen kann oder will, ein Vergnügen, das sich zum Beispiel ein durchschnittlicher Rentner nur selten leisten kann.

Dafür allerdings bietet Leipzig Repertoire, auf das man sich mit Vergnügen einlassen kann. Die Inszenierung von Gil Mehmert bietet keine überraschenden Einsichten, die Charaktere erscheinen wenig ausgeprägt, aber das Miteinander funktioniert. Abendspielleiterin Verena Graubner macht ihre Sache hinter der Bühne offenbar sehr gut. Treppauf, treppab geht es durch die Stockwerke der Bühne von Jens Kilian und Eva-Maria van Acker, ein wenig Puppenhaus und ein wenig Nestroys „Zu ebener Erde und im ersten Stock“: Oben, da leben die Aristokraten in anmutig angedeutetem Zuckerguss-Barock, in der Mitte bieten Türen und Schränke jede Menge komödiantisch einsetzbare Verstecke, unten soll das breite Bett hin, das keineswegs nur für den Figaro und seine adrette Susanna gedacht ist. Die Kostüme von Falk Bauer jonglieren bunt und ein wenig beliebig mal mit altertümlichen Rüschen und Westen, mal mit Smoking und Abendrobe. Die heiter-anspielungsreiche Stil-Vielfalt legt das Stück nicht auf eine Epoche fest.

Flott geht es auch im Gewandhausorchester zur Sache, in dessen Mitte Paulo Almeida ein etwas zu schnurrig-altertümlich klingendes Cembalo klingeln lässt. Matthias Foremny schlägt in der Ouvertüre ein rasches, aber nicht überhetztes Tempo an – und die Gewandhausmusiker antworten mit gehöriger Präzision. Im Lauf des Abends gestaltet das Orchester aber nur noch mit gebremstem Charme; dem vierten Akt geht im rhythmisch-metrischen Gleichmaß die atmende Leichtigkeit, der Reiz einer flexiblen Phrasierung immer mehr verloren.

Mozart zu singen ist so eine Sache: Was leicht und mühelos klingt, ist hart erarbeitet, kultiviertes Gestalten fordert Disziplin und gesunde Technik. Die findet sich bei Wallis Giunta als Cherubino: Dass der pubertäre Bube nicht weiß, wo er ist und was er tut, dass er zwischen peinlicher Ratlosigkeit und forschem Übermut hin und her pendelt, macht die Sängerin in Spiel und Stimme glaubhaft. Auch Lena Langenbacher, Studentin an der Hochschule für Musik, nimmt mit locker geführter Stimme als Barbarina für sich ein.

Bei Magdalena Hinterdobler als Susanna ist die Bühnenerfahrung zu spüren; vokal wirkt sie an diesem Abend strapaziert, mit trocken vibrierender Stimme und so mancher blass verengter Höhe. Gal James bewegt sich als Gräfin Almaviva in ihrer Rolle, als sei sie fremd in ein Stück hineingeschlittert. Ihr Spiel bleibt äußerlich, die Stimme mag, bei aller Bemühung um Piano und Legato, von ihrem spröden, oft genug engen Ton nicht lassen. Kay Stiefermann ist als Graf Almaviva kein eleganter Aristokrat, sondern eher ein verunsicherter Mann des gebrochenen Tons, der zu überspielen versucht, wie wenig er sich in den verworrenen Konstellationen zurechtfindet. Sejong Chang zeigt als Figaro einen kernigen, sauberen Ton, aber zu wenig Persönlichkeit und Temperament. Kein findiger Barbier, fast schon ein fader Biedermann.

Die weniger prominenten Rollen sind, wie meist an solchen Abenden, eine Mischung aus variabler Spiellust, solider Stimm-Routine und manch aufblitzendem Moment, in dem der Instinkt des Komödianten spürbar wird. Karin Lovelius genießt als Marcellina offenbar ihren Ausflug ins Komische, auch Randall Jakobsh (Bartolo), Dan Karlström (Basilio), Patrick Vogel (Curzio) und Roland Schubert (Antonio) lassen nichts anbrennen. Sophie Stratmann und Ayda-Lisa Agwa sind die beiden Mädchen, denen nicht anzumerken ist, dass sie noch an der Hochschule studieren. Ein keineswegs unerfreulicher Abend, nicht mit dem polierten Glanz einer Premiere, aber mit sympathischer Patina: Sie zeigt weniger die Schwächen, sondern unterstreicht, in welcher Klasse gearbeitet wird, wenn sich die Aufmerksamkeit des ersten Males verflüchtigt hat.

Werner Häußner

 

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