Online Merker Logo

Die internationale Kulturplattform

LEIPZIG: ELEKTRA – dichtes Bühnenspektakel bei sängerischem Mittelmaß

19.01.2014 | KRITIKEN, Oper

LEIPZIG / Oper: ELEKTRA am 18.1.2014

Unbenannt
Mägdeszene – Countdown der Rache. Foto Andreas H. Birkigt

Die Oper Leipzig startete mit „Elektra“ ins Jubiläumsjahr: Grandioses Orchester, dichtes Bühnenspektakel bei sängerischem Mittelmaß

In Sachsen wird der Komponist Richard Strauss zu seinem 150. Geburtstag in diesem Jahr besonders gefeiert. Hier hat er zahlreiche Spuren hinterlassen. So wurde 1909 die Oper „Elektra“ an der Dresdner Oper uraufgeführt. Mit dieser Oper startete auch das Leipziger Opernhaus ins Richard-Strauss-Festjahr 2014. Der eindeutige Star der Aufführung ist das von Intendant und Generalmusikdirektor Ulf Schirmer geleitete Gewandhausorchester.

 Gerade bei Elektra kann das famose Gewandhausorchester zeigen, was es drauf hat. Ulf Schirmer sorgt für eine transparente, durchsichtige, die vielfältigen Klangstränge und Instrumentationscluster offenlegende Interpretation des Strauss‘schen Meisterwerkes. Jeder romantisierende Ansatz ist eliminiert, mit der durchhörbaren Struktur der Musik wird gleichsam auch das Innenleben der Akteure seziert. Und das bei einer unfassbaren kammermusikalisch zugespitzten Klangschönheit, technischen Perfektion und dem genuin edlen Klangcharakter des Orchesters, sodass einem förmlich die Luft wegbleibt. Die Blechbläser setzen wuchtig archaische Kontraste zum schwebend flirrenden Streicherklang. Die Musik und ihr Deuter bleiben bei aller orchestralen Dominanz aber doch immer im Dienste des übergeordneten Dramas und der Aktion auf der Bühne. Das einsetzende Agamemnon Motiv bricht wie eine Faustkante in die Seele des Zuhörers. Zumal vor dem ersten Einsatz noch wie in einer Hollywood-Idylle die Familie der Atriden beim Bade gezeigt wird. Kinder spielen, zwei Mädchen und ein Bub mit dem Vater, bis Klytämnestra und Aegisth mit Netz und Beil bewaffnet dem Papa Agamemnon den Garaus machen. Ein genialer Regieeinfall, für den der allseits bekannte, von mir sehr geschätzte Peter Konwitschny verantwortlich zeichnet. Bis auf den meiner Meinung nach etwas überschießenden Schluss ist diese Elektra-Inszenierung schon die Reise nach Leipzig wert.

 Einige Opern von Richard Strauss hat Peter Konwitschny schon inszeniert. In Essen die Daphne, in Hamburg den Rosenkavalier, in Amsterdam die Salome. 2006 hatte seine Elektra die neue Oper in Kopenhagen im Bühnenbild und Kostümen von Hans-Joachim Schlieker eröffnet. Sie war anschließend in Stuttgart zu sehen und gehört jetzt in Leipzig zu den wiederaufgenommen und mit neuer Besetzung einstudierten Inszenierungen des Leipziger Chefregisseurs. Und hat nichts von ihrer Eindringlichkeit eingebüßt. Ein mörderisches sitcom-Kammerspiel in einem eleganten Wohnzimmer der 70-er Jahre, mit riesiger Wetterwolkentapete, die sich im Laufe des Spiels verdunkelt bis zu tiefer Nacht. Eine überdimensionierte Digitalanzeige markiert den Countdown 01:17 bis zu Klytämnestras „Schlachtung“. Elektras Rache ist vollstreckt, bevor Orest selbst zum Mutter- und Massenmörder mutiert und so das Unrechtssystem auch politisch prolongiert. Der ewige Kreislauf Opfer-Täter-Opfer. Warum allerdings feige Opportunisten in Gestalt des Hofstaats mit dem Maschinengewehr zu dem Freuden-Feuerwerk am Himmel niedergemetzelt werden müssen, ist nicht logisch. Der Witz ist ja, dass an politischem Unrecht Beteiligte oftmals die „besten Systemerhalter“ des nächsten Regimes sind. Außerdem stören mich persönlich die Maschinengewehrsalven, die nichts verloren haben in der akustischen Umsetzung des Werks.

 Von diesem Einwand abgesehen zieht Konwitschny eine große dramaturgisch dichte Show vom ersten Aufdrücken der Spiegelwände bis zu den finalen „Orest“-Rufen der Chrysothemis ab, bevor auch Letztere sterben muss. Als dramatischer Leitfaden dient die steinerne Wanne, in der Agamemnon (Frank Schilcher) tatsächlich für die gesamte Dauer der Oper präsent bleibt als Mahnmal der ewigen Schuld und des erlittenen Traumas der „Kinder“. Die sind nach Hofmannsthal/Strauss ja höchst unterschiedlich: Elektra ist in der optischen Deutung des Duos Konwitschny/Schlieker die schäbig als Punkerin/Gruftie gekleidete Außenseiterin im bürgerlichen Spießersalon. Ursprünglich war für die Titelpartie das Rollendebut von Irmgard Vilsmaier vorgesehen. Das Theater und die Künstlerin haben laut einer Aussendung aber kurzfristig gemeinsam entschieden, das Rollendebüt der Elektra auf einen späteren Zeitraum zu verschieben. So wartete Barbara Schneider-Hofstetter als rettender Ersatz zwar mit einer schauspielerischen top-Leistung auf, war aber stimmlich mit der Partie überfordert. Ihr Sopran erinnert vom Timbre her (für die, die sich erinnern können) an eine Mischung aus Trudeliese Schmidt und Hannelore Bode, sie verfügt also über eine an sich interessante Stimme. Die hohen Passagen funktionieren gut, wenngleich diese manchmal eher zu hoch geraten. Frau Schneider-Hofstetter muss dafür aber mit einer nahezu unhörbaren Tiefe und nicht tragfähigen unteren Mittellage „bezahlen.“ Die teils extremen Sprünge und langen Phrasen rauben der Stimme viel an Kraft, was sich negativ sowohl beim Schluss des Monologs als auch der Erkennungsszene niederschlägt. Ich möchte jetzt nicht zu sehr beckmessern, denn letztlich ist grundsätzlich jede Künstlerin, die diese Rolle überhaupt seriös über die Rampe bringt, zu bewundern. Ob man als extrem höhenlastiger Sopran allerdings eine Elektra singen soll, das bleibt dahingestellt.

Da ist die Chrysothemis der Gun-Brit Barkmin im dramatischen Stimmfach schon besser aufgehoben. Sie meistert die jugendlich biedere Schwester mit Kinderwunsch bravurös. Ihrem eher blass-timbrierten Sopran scheinen nach oben hin keine Grenzen gesetzt. Als hysterischer Ableger der Elektra fügt sie sich bestens ins Regiekonzept und ist definitiv mehr als Stichwortbringerin in einer sonst relativ undankbaren Rolle. Klytämnestra wird vom Ensemblemitglied Karin Lovelius grandios dargestellt, aber nur mittelprächtig gesungen. Die Gesamtbeurteilung fällt wegen der markanten Charakterisierungskunst der Sängerin aber dennoch höchst positiv aus. Der Orest des Mathias Hausmann und der Aegisth des Jürgen Müller treffen die vorgeschriebenen Noten. Die fünf Mägde (Sandra Janke, Bonnie Cameron, Jean Broekhuizen, Paula Rummel, Olena Tokar) und die Aufseherin (Kathrin Göring) geben schöne Visitenkarten für die Zukunft ab. Dramaturgisch kommt dem Pfleger des Orest (Milcho Borovinov) eine besondere Rolle zu. Er ist der deus ex machina, der Orest zum Mord drängt, sein Therapeut und machiavellisches Unterbewusstsein. Eine interessante Aufwertung einer Nebenfigur.

 Zum Ende hin geht die Digitaluhr im Schnellvorlauf dem Ende zu. Ein rasantes Finale, das zwar etwas übertrieben ist, aber dennoch seine Wirkung gerade zum 100. jährigen Gedenken an den Ausbruch des ersten Weltkrieges nicht verfehlt.

 Ingobert Waltenberger

 

 

Diese Seite drucken