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LEIPZIG: DIE FRAU OHNE SCHATTEN

04.10.2014 | KRITIKEN, Oper

Leipziger Oper DIE FRAU OHNE SCHATTEN, 3.10.2014

9_Die-Frau-ohne-Schatten_14.6.14_Oper-Leipzig_©-Kirsten-Nijhof
Foto: Kirsten Nijhoff

Musikalischer Glanz in der von der Opernwelt zur Inszenierung des Jahres nominierten Regie  des Balázs Kovalik

 „Alle diese Menschen leben ein schattenhaftes Leben; sie erleben fast keine Taten und Dinge, fast ausschließlich Gedanken, Stimmungen und Verstimmungen. Sie wollen wenig, sie tun fast nichts. Sie denken übers Denken, fühlen sich fühlen und treiben Autopsychologie.“ Hugo v. Hofmannsthal (Menschen in Ibsens Dramen 1892)

 Was ist diese Frau ohne Schatten von Strauss/Hofmannsthal bzw. will sie sein? Symbolträchtiges Märchen, Probe- und Läuterungsstück für egozentrisch in sich Befangene, überhöhte Idealisierung von Ehe und Kinderreichtum, Apotheose der gesamten Operntradition des 19. Jahrhunderts im letzten Abendlicht der Spätromantik? All das müssen wir uns in der (bis auf das unsägliche Ende) bildgewaltigen und stringent erzählten Deutung des ungarischen Regisseurs so nicht fragen. Vielmehr geht es ihm um das soziale Miteinander, den nötigen emphatischen Blick über den Tellerrand eigener Bedürfnisse und fremder Erwartungshaltungen hinaus. Reif für eine gelungene Beziehung  ist man nur dann, wenn man über die biedere Zweisamkeit auf andere erkennend zu schauen vermag und sein Glück nicht auf den Scherben des Unglücks anderer bauen will.

 Ein Hohelied der Verwandlung, ein ethischer Gesang auf Mann und Frau. Das wäre so, gäbe es da nicht die Amme, die faszinierendste Figur der gesamten Oper. Kovalik macht aus ihr eine moderne allmächtige Managerin, eine Person, die alles vermitteln und verbinden kann, wenn man es ihr aufträgt. Jedes auch das zynisch-grausamste Mittel ist ihr Recht, um ihrem Herrn zu dienen und dafür entsprechenden Lohn erwarten zu dürfen. Besser kann man das Dilemma des gesamten endzeitlichen Kapitalismus nicht in eine pralle Theatermetapher hineinstilisieren. Und die vortreffliche Karin Lovelius hat darin die Rolle ihres Lebens gefunden. Bis in die schwierigsten Passagen vermag ihr fülliger Mezzo die zerrissene Modernität der diabolischen Erfüllungsgehilfin in der musikalisch grenztonalen Rolle zu vermitteln. Freilich kann die Amme nicht damit rechnen, dass ihr Auftraggeber, der Geisterkönig Keikobad, nicht wie Wotan in das Schicksal aktiv eingreift, sondern die Entwicklung seiner Tochter, der Kaiserin, als Erlösungspfad respektiert. Märchen trifft Gegenwart, das mythische Welttheater, in dessen Nähe nicht zufällig der Gedanke der Salzburger Festspiele entstanden ist, wie das Laurenz Lütteken für das  Programmheft zutreffend analysiert.

 Der Dirigent und Chef der Leipziger Oper, Ulf Schirmer, greift auf die Fassung mit exakt den Strichen zurück, die allen Wiener Opernbesuchern, die noch Karl Böhm in der Wiener Staatsoper in den 70-er Jahren erlebt haben, bestens bekannt ist. Die Leipziger Oper, wie diejenige in Wien oder Dresden, wo das beste ortsansässige Sinfonieorchester auch gleichzeitig Opernorchester ist, gibt mit dieser Frau ohne Schatten die beste musikalische Visitenkarte ab, die sich denken lässt. Das Leipziger Gewandhausorchester mit dem silbern helleren Klang im Vergleich zu den kupfern-dunkler leuchtenden Dresdnern, ist gemeinsam mit den Wienern das ideale Strauss-Orchester schlechthin. Schirmer auf dem Zenit seines Könnens verfolgt ein sehnig-muskulöses Klangideal mit höchster Transparenz und dramatischer Zuspitzung. Wo die Streicher der Wiener Philharmoniker manchmal herrlich nach Vanillecreme mit Schlagobers „schmecken“, bleiben die Leipziger nüchterner, sachlicher und distanter. Kein Nachteil bei dieser höchst komplexen, hybriden Partitur ausgelotet zwischen hohem und niederem Paar sowie Geisterwelt und banalem Arbeitsalltag und -sorgen der Menschen.

 Auch die Besetzung folgt in der dramatischen Klangausdeutung einer modernen Auflösung aller historischen Ansprüche in einem klug-klaren Erzählstrang im Hier und Jetzt diesem Ideal. Vom sängerischen Können der letzten Salzburger Besetzung haushoch überlegen ist etwa die Kaiserin der jungen Simone Schneider. Technisch bewältigt sie alle Höhen und Tiefen der anspruchsvollen Partie beinahe schon unverschämt spielerisch. Anfänglich verkörpert sie das junge verwöhnt-kaprizierte Fürstenkind mit leichter Koloratur. Und sie ist der Regie auch eine feine Gazellen-Verführerin in dem analog zur Cosi fan tutte angedeuteten Partnertausch zwischen Färberin und Kaiser und Kaiserin und Färber, der das Drama schürzt. Im Vergleich etwa zu Leonie Rysanek könnte das Stimmfarbenspiel im dritten Akt im Moment des Verzichts auf den Schatten  und ihr „liebestrunkenes Selbstverständnis“ allerdings noch ein klein wenig nuancenreicher sein. Burkhard Fritz von der Deutschen Oper Berlin ist kein mit der Tessitura kämpfender Wagnerheld, sondern ein lyrischer prächtig singender Kaiser. Seine mörderisch schwer zu singenden Monologe lassen den Zuhörer eintauchen in eine genuine Traumwelt vokaler Poesie. Die vox humana des Färbers des wunderbaren Thomas J. Mayer liegt in einer Tradition mit Paul Schöffler oder Walter Berry. Schöner, wärmer und anrührender singt heute niemand diese Partie des geduldig liebenden Barak. Dem es letztlich auch gelingt, die ihm in einer Kaufheirat zugefallene Färberin zu überzeugen, nicht für materiellen Tand und sexuelle Abenteuer ihre Seele zu verkaufen. Jennifer Wilson, die vom Timbre her ein wenig an Margaret Price erinnert, singt die Färberin mit prächtigen Kuppeltönen und feminin mütterlichem Klang. Obertonreich und frei gelingen selbst die Akuti, allerdings liegt Frau Wilson die Rolle von der Tessitura her insgesamt etwas zu tief, um eine stimmliche Idealbesetzung sein zu können. Aber was solls, der Melomane erfreut sich an einer schönen, ruhig und bruchlos geführten Stimme! Bis auf den schmalbrüstig gesungenen Geisterboten des Jürgen Kurth sind auch alle kleineren Rollen mit Olena Tokar (Die Stimme des Falken), Sandra Janke (Stimme von oben), Jonathan Michie (Der Einäugige), Sejong Chang (Der Einarmige) und Den Karlström (Der Bucklge) gut bis exzellent besetzt.

 Der Bühnenbildnerin Heike Scheele (Schülerin von Eric Wonder) gebührt eine Palme für magische Theaterbilder, aber auch für die technisch brillanten blitzartigen Szenenwechsel. Die gesamte Maschinerie einer der modernsten Bühnen Deutschlands läuft auf Hochtouren, wenn der mit Goldlaméebett und Marmorstatuen geschmückte Empiresalon der ersten Bildes zu einer trostlosen Hochhausbetonwüste der Färber mutiert. Tableaus Vivants mit Anspielung an das letzte Abendmahl, eine Hängebrücke ins Nichts bis zum weichgekalkten Steinmetzatelier der scheinbar verlorenen irren Seelen reicht das Spektrum, um zuletzt in eine fürchterliche Regietheaterbanalität zu entgleisen. Beim Schlussquartett darf der zu einem Jungen gewandelte Falke in einen roten Kinderwagen schlüpfen, zu dem viele andere Kinderwagen auf die Bühne geschoben werden. Jetzt wissen wir es also: Allseits versöhnt, geht es jetzt ans Kindermachen. Also endet die Oper slapstickartig in einer lächerliche Preisgabe der Musik von Richard Strauss. Wäre die Aufführung nicht so toll musiziert und gesungen gewesen, das Publikum hätte wohl schallend gelacht. Abgesehen davon war in Leipzig ein großartiger Abend zu erleben.

 Ingobert Waltenberger

 

 

 

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