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LEIPZIG: DER RING DES NIBELUNGEN

28.05.2018 | Allgemein, Oper


„Das Rheingold“. Copyright: Tom Schulze

LEIPZIG: DER RING DES NIBELUNGEN vom 10. bis 13. Mai 2018

 

325 Jahre Oper in der Wagnerstadt Leipzig! Das ist für die Oper Leipzig ein Anlass, des Bayreuther Meisters Tetralogie „Der Ring des Nibelungen“ gleich dreimal zyklisch – also wie Bayreuth – aufzuführen. Und, soviel vorweg, es wurde ein löbliches Unterfangen. Alles andere wäre auch fast einem (negativen) Wunder gleich gekommen. Hat doch die Oper Leipzig eine ganz außergewöhnliche Geschichte mit Wagners Riesenwerk vorzuweisen. Von 1878-79 inszenierte hier Angelo Neumann unter den Argusaugen der Bayreuther Dirigenten Hans Richter und Anton Seidl den ersten kompletten szenischen „Ring“ außerhalb von Bayreuth. Die Produktion zog Besucher aus ganz Deutschgland an, und die „Neue Zeitschrift für Musik“ schrieb, dass „ … scenisch etc. Manches viel befriedigender zur Geltung gelangt wie in Bayreuth“. Wagner telegrafierte daraufhin: „Heil Leipzig, meiner Vaterstadt, die eine so kühne Theaterdirektion hat!“ Bekanntlich ging dann Neumann mit diesem „Ring“, dessen Ausstattung damals 70.000 Mark kostete (!), auf Wanderschaft.

 Und dann kam es hier von 1973-76 zum Leipziger „Jahrhundert-Ring“, der legendären „Ring“-Inszenierung von Joachim Herz, der mit seiner unorthodoxen und aufwändigen Herangehensweise an die Tetralogie in den Bühnenbildern von Rudolf Heinrich den Generalintendanten Prof. Karl Kayser fast in Rage brachte (Fritz Henneberg: „300 Jahre Leipziger Oper“). Gerade auf diesen „Ring“ hätte Wagners so bewundernder Kommentar auf die Kühnheit der Theaterdirektion 1878 gepasst. Aber Kayser konnte da wohl noch nicht überblicken, dass der Herz-„Ring“ zusammen mit jenem von Ulrich Melchinger 1970-74 in Kassel und dem von Patrice Chéreau 1976  in Bayreuth, ebenfalls ein sog. Jahrhundert-„Ring“, das Zeitalter des sog. „Wagnerschen Regietheaters“ einläutete. Dabei müsste es eigentlich „Regisseur-Theater“ heißen, denn  jede Inszenierung, wie auch immer sie sei, hat eine Regie, selbst eine völlig leere Bühne… Wagners Lob von damals hätte also auch auf Generalintendant Kayser gepasst.

 Aber nun zur Aktualität. Die Inszenierung der Londonerin Rosamund Gilmore von 2015 ist außergewöhnlich lebhaft, verzichtet auf alberne, nicht nachvollziehbare „Regietheater“-Gags und wirkt in den opulenten Bühnenbildern von Carl Friedrich Oberle und den fantasie- und meist geschmackvollen Kostümen von Nicola Reichert bei einer exzellenten Lichtregie von Michael Röger aus der Werkaussage des Stücks heraus interpretiert und nicht zuletzt deshalb spannend und unterhaltsam. Eine Art Betonaufbau dient als Einheitsbühnenbild im „Rheingold“, wird aber durch die Lichtregie stets stark variiert. Das hier schon zu sehende Walhall-Modell verfällt dann über die vier Abende immer mehr, die finale Katastrophe andeutend. Charakteristisches Sonderelement ist Gilmores Choreografie in Zusammenarbeit mit den Mitgliedern einer 12-köpfigen Tanzgruppe, genannt die „Mythischen Elemente“, die – zusätzlich zu Wagners Leitmotivik – in fantasievollen Bewegungen für eine abwechslungsreiche und interessante Bebilderung des Geschehens auf der Bühne sorgt – ein toller Einfall! Sie beleben die Handlung auch dann, wenn Langeweile einzukehren droht, und das kann in gewissen Momenten des „Siegfried“ und auch an anderen Stellen durchaus mal sein. Daneben besorgt diese Tanzgruppe auf künstlerische Art und Weise die Bestückung der Bühne mit Requisiten bzw. deren Verschwinden zur Vorbereitung der folgenden Szene. Auch noch nie dagewesen!

 Diese „Ring“-Inszenierung beeindruckte durchweg mit einer exzellenten und oft facettenreichen Personeneregie. Darauf soll stellvertretend für alle Abende besonders beim „Rheingold“ eingegangen werden. In der ersten Szene gelingt eine sehr anmutige Choreografie der Rheintöchter. Eun Yee You als Woglinde, Sandra Maxheimer als Wellgunde und Sandra Fechner als Flosshilde singen, insbesondere letztere, und spielen bestens. Schön auch die überzeugend den Rhein suggerierenden Wasserspiegelungen. Dass Alberich wieder mal die Hose runterlassen muss, ist ebenso entbehrlich wie in anderen Inszenierungen. Pavlo Hunka singt den Alben bedrohlich mit guten Höhen, auch lange Bögen gestaltend und mit perfekter Diktion. Seine beiden Flüche gehen unter die Haut.

 Großartig und so noch nie gesehen, die stark blutende Wunde von Wotans Auge in der 2. Szene des „Rheingold“. Sie dokumentiert dessen offensichtlich nur wenig zurück liegenden gewagten Trunk am Quelle der Weisheit unter der Weltesche, von der ein Ast oder eine Wurzel ihm bei dieser Weltwissen erlangenden Tat ein Auge ausstach. (Umso überraschter war ich, als ich im Aufsatz des Dramaturgen Christian Geltinger im „Walküre“-Programmheft „Sieh mir ins Auge!“ – Zur Dramaturgie der Blicke in Richard Wagners „Walküre“ las: „Wir wissen nicht die genauen Umstände, unter denen Wotan sein Auge verlor.“ Und er sei ein „Gott mit einer Behinderung, als einer in seiner Macht beschnittener Gott.“ Für mich zumindest ist das genaue Gegenteil der Fall. Durch die Erlangung des Wissens um die Notwendigkeit der Schaffung einer Ordnung in der wilden Ursuppe der Welt erlangt Wotan erst durch den Verlust dieses Auges die Macht dazu. Er verliert sie erst später, wenn er seine eigenen Gesetze bricht. So sehen wir in dem Finnen Thomas Pursio im “Rheingold“ den von Wagner gewünschten  jungen „wagenden Gott“, der starke theatralische Akzente setzt. Dieser Sänger beweist in der Leipziger Produktion eine beachtliche Wandlungsfähigkeit, denn er gibt im „Siegfried“ einen intellektuellen Alberich sowie in der „Götterdämmerung“ einen klangvollen und einmal relativ ernst zunehmenden Gunther, nach all den Deppen, die einem bei den Regisseur-theatralischen Bemühungen auf diversen „Ring“-Reisen so unterkommen. Er singt diese Rollen mit einem prägnanten Bassbariton bei bestechender Wortdeutlichkeit. Ein zu Beginn des „Rheingold“ leichtes Anschleifen der Töne legte sich zusehends. Toll auch die Idee, dass er zunächst im Königsmantel König Ludwigs II. erscheint, den er dann aber – mit der Realität konfrontiert – bald ablegt…

 Pursio zu Seite agiert Thomas Mohr als Edelbesetzung des Loge mit intensiver Aktion, einem heldischen Tenor und ebenfalls perfekter Diktion. Kathrin Göring ist eine sehr attraktive Fricka mit nicht allzu großer Stimme und zu wenig Tiefe. Gal James als Freia verfügt über einen wohlklingenden Sopran und empfiehlt sich für höhere Aufgaben. Kay Stiefermann singt einen guten Donner und glänzt am Ende mit seinem „Hedo, heda hedo…“. Sven Hjörleifsson begegnet ihm mit seinem guten Tenor auf Augenhöhe. Dan Karlström gestaltet den Mime mit einem sehr hohen, hellem Tenor. Rúni Brattaberg ist ein nicht sehr facettenrech singender Fasolt mit einem für meine Begriffe zu unkultivierten Bass. James Moellenhoff singt hingegen seinen wie immer finster guten Fafner.

 Der Abstieg nach Nibelheim führt intelligenterweise direkt unter Walhall – also ist die versklavte Tiefe mit ihrer Fron das genaue Gegenteil zur glänzenden Macht da oben (was die Rheintöchter eh‘ wissen…). Karl Marx mit seiner These, dass Kapital geronnene Arbeit sei, lässt grüßen. Die „Mythischen Elemente“ bilden einen beängstigenden Totenkopfdrachen und halten am Ende auch die Äpfel Freias.

 Ein absoluter Höhepunkt des „Rheingold“ ist schließlich der Auftritt Erdas durch Claudia Huckle mit ihrem wohlklingenden und perfekt geführten hohen Mezzo sowie attraktiver Weiblichkeit. Man merkt sofort, wie Wotan von dieser Erscheinung gepackt wird und es nicht lange dauern wird, bis er zur jungen bzw. jung gebliebenen Urmutter in die Tiefe hinabsteigen wird…


„Die Walküre“. Copyright: Tom Schulze

 Mit Iain Paterson als Wotan – nun mit Augenbinde – in der „Walküre“ und als Wanderer im „Siegfried“ konnte man dann einen Walvater erleben, welcher der zentralen Figur von Wagners opus magnum‘  Facetten abrang, die man in dieser Intensität wohl nicht oft erleben kann. Paterson war darstellerisch eine Offenbarung und konnte auch stimmlich mit seinem perfekt geführten und wortdeutlichen Bassbariton sowie blendenden Höhen voll überzeugen. Er wurde in der „Walküre“ zur zentralen Persönlichkeit und gestaltete seinen Niedergang im Zwiegespräch mit Fricka höchst emotional. Kathrin Göring war darstellerisch eine starke Partnerin, ließ aber stimmlich an Volumen zu wünschen übrig. Besonders gelungen waren hier die Widder-Assoziationen zeigenden „Mythischen Elemente“. Burkhard Fritz sang einen sehr guten Siegmund mit kräftigen Wälsung-Rufen, liedhaften „Winterstürmen“ und großartiger Höhe nicht nur beim „Wälsungenblut“. Auch agierte Fritz sehr emphatisch. In Meagan Miller hatte er eine engagierte Partnerin als Sieglinde mit einem herrlich leuchtenden und in der Mittellage leicht abgedunkelten Sopran. Auch sie gestaltete ihre Rolle mit großer Emphase und zudem mit besonders beindruckender Mimik. Rúni Brattaberg konnte mich als Hunding mit seinem zu rauen Bass nicht ganz überzeugen, spielte die Rolle aber sehr intensiv. Christiane Libor gab die Brünnhilde und beeindruckte zunächst einmal mit einem warm klingenden und ausgesungenen „Hojotoho“. Sie verfügt über einen stabilen dramatischen Sopran mit ebenso guter Tiefe wie Höhe, kann aber auch mit schönen Piani glänzen, wie in der Todverkündigung. Libor beeindruckte auch in der „Götterdämmerung“ als Brünnhilde, nicht zuletzt auch durch ihre blendenden hohen „C“s. Ihr zugesellt wurde Ziv Frenkel als Grane, der immer kontemplativ in ihrer Nähe weilte. In einem dramaturgisch spektakulären Walkürenritt war ein stimmlich gutes Walküren-Oktett zu erleben, Gal James als Gerhilde, Magdalena Hinterdobler als Ortlinde, Anja Schlosser als Waltraute, Sandra Janke als Schwertleite, Daniela Köhler als Helmwige, Sandra Maxheimer als Siegrune, Stephanie Weiss als Grimgerde und Wallis Giunta als Rossweiße.


Siegfried“. Rúni Brattaberg (Fafner). Copyright: Tom Schulze

 Leider kam es im „Siegfried“ zu dem so oft statt findenden „Hänger“, der zumeist die Regisseure/innen heimsucht, wenn sie die ganze Tetralogie inszenieren. Diesmal war es aber gar nicht auf der szenischen Seite, wenn man von einem allzu beliebigen und so schon oft gesehenen 1. Aufzug absieht, sondern in bedeutenden Partien auf der sängerischen. Christian Franz, der den Siegfried nun schon fast seit Menschengedenken singt, war wieder mal der alte stimmliche Haudegen mit einer Dauerneigung zum zu laut singen, bei dennoch bisweilen wunderschönen Piani. Katherine Broderik war für die erkrankte Elisabet Strid eingesprungen und als Brünnhilde eher ein Leichtgewicht. Dan Karlström war dem Mime nach einem noch relativ guten „Rheingold“-Auftritt doch noch nicht (ganz) gewachsen. Rúni Brattaberg gab mit seiner rauen nordischen Stimme den faulen Großkapitalisten Fafner. Die „Mythischen Elemente“ kamen im Drachenkampf bestens zur Geltung. Danae Kontora sang den Waldvogel mit schönem Sopran aus dem Off, während auf der Bühne eine Tänzerin Siegfried charmant umgarnte. Hier kam auch die Poesie zu ihrem Recht, und nicht nur hier in diesem „Ring“. Claudia Huckle war erneut eine wunderbare Erda, und ihr Auftritt diesmal noch eindrucksvoller: Die drei Nornen bewegten während ihres Dialoges mit dem Wanderer  ihre überlange mystisch anmutende Schleppe um sie herum – ein fantastisches Bild und eine der vielen großartigen dramaturgischen Ideen des Leading Teams.


Thomas Mohr, Christiane Libor. Copyright: Tom Schulze

 In der „Götterdämmerung“ stellte Carl Friedrich Oberle eine imposante Gibichungenhalle auf die Bühne, die zwar als Einheitsbühnenbild diente, aber durch die facettenreiche Lichtregie von Michael Röger und den dezenten Einsatz von Bühnennebel sehr gut variiert wurde. So wirkte sie nie eintönig. Thomas Mohr sang nach dem Loge nun einen heldischen Siegfried. Gal James war wie schon als Freia eine gute Gutrune. Rúni Brattaberg spielte einen zwar stimmkräftigen, wenn wenig facettenreichen Hagen, der jedoch niemals Furcht einflößte. Katrin Göring war nach der Fricka nun eine engagierte Waltraute. Peter Sidhom gab seinen bewährten Alberich. Das Nornenterzett bestehend aus Karin Lovelius (1. Norn), Kathrin Göring (2. Norn) und Olena Tokar (3. Norn) sang unterschiedlich gut, und zwar abgestuft von der 1. zur 3. Norn, wobei diese die beste war. Das Rheintöchter-Terzett war wie im „Rheingold“ einwandfrei. Thomas Eitler-de Lint hatte den stimmstarken Chor der Oper Leipzig bestens einstudiert.  Leider gab es wieder mal mit den entsprechenden Mänteln und Dienstpistolen abgedroschene NS-Ästhetik zu erleben – musste das denn sein?! Auch die Hose von Siegfried bis zur Ersteigung des Walkürenfelsens war ein Kostüm-Ausrutscher. Beeindrucken konnten hingegen die stummen Götter, die am Ende ihren Untergang erlebten.

 GMD Ulf Schirmer dirigierte das Gewandhausorchester, welches ja weltweit ein großen Ruf besitzt. Umso mehr musste verwundern, dass Schirmer viel zu oft zu laut dirigierte, bis hin zum zeitweiligen Zudecken der SängerInnen. Diese hielten sich – man mochte manchmal meinen, genau deshalb – mit Vorliebe ganz vorn an der Rampe auf, um über den Graben zu kommen. Zwar wurde ein intensiver und plastischer Klang erreicht, bei eher schnellen Tempi. Trotz hervorragender Streicher und auch einem weitgehend guten Blech litt die Qualität jedoch zweitweise unter der Klangstärke. Vielleicht sollte man den Schlagwerker und die Posaunen weiter nach hinten setzen. Allerdings gab es auch immer wieder gute Instrumentensoli, insbesondere des/der Konzertmeisters/in, der Celli und Oboen, sowie fein ausmusizierte Momente, wie beispielsweise die Todverkündigung und das Waldweben. Hier kamen dann auch die lyrischen Elemente der Partitur eindrucksvoll zum Tragen.

 In jedem Falle ist dieser „Ring“ ein Erlebnis gewesen und der Oper Leipzig zu bescheinigen, dass sie auf einem ganz großen Weg zur baldigen kompletten Aufführung aller 13 Opern und Musikdramen Richard Wagners im Jahre 2022 ist! Es passt bestens in diesen Rahmen, dass der Richard-Wagner-Preis 2018 der Richard-Wagner-Stiftung während dieses „Ring“ in der Oper Leipzig verliehen wurde, und zwar vom Vorstandsvorsitzenden Thomas Krakow an den Dirigenten Hartmut Haenchen (Merker 06/2018). Die intensive Leipziger Wagner-Rezeption steht damit in positivem Gegensatz zu der schlichten Bronzeplakette auf einem unschönen DDR-Kaufhaus und einer eher banal wirkenden Statue im nahe gelegenen Park, die im Gegensatz zu anderen in der Stadt auch optisch kaum wahrnehmbar ist. Das Publikum war zu Recht von diesem „Ring“ begeistert.                                                             

 

Klaus Billand

 

 

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