Künstlergespräch mit
Ausrine Stundyte
Sopran
ORT: OnlineMerker Wien XII
am 23. September 2019
„Ich tauche gerne in den Abgründen einer Menschenseele“
In der neuen Aufführungsserie der „Salome“ von Richard Strauss stellt sich die Litauische Sopranistin Ausrine STUNDYTE in ihrem Debüt mit der Titelrolle an der Wiener Staatsoper vor.
Der erste Aufenthalt der Sängerin in Wien fand allerdings schon im Jahre 2006 beim 25.Belvedere Gesangswettbewerb statt. Sie hat sich damals bei diesem bedeutenden Award den 2.Platz ersungen, allerdings nicht, wie man auf Grund der bis heute im dramatischen Opernfach verlaufenden Karriere glauben möchte, im Operngesang, sondern ganz im Gegenteil im Fach Operette.
Frau Stundyte stammt aus der Hauptstadt Litauens, dem auch „Rom des Nordens“ genannten Vilnius. Der Vergleich mit Rom hat seinen Grund in den vielen Barockbauten im Zentrum der Stadt. Und der Vorname der Künstlerin, nämlich Ausrine, der stammt aus der litauischen Mythologie und bedeutet der Name der Göttin der Morgenröte.
OnlineMerker: Waren Sie seit damals noch einmal in Wien?
Ausrine Stundyte: Ja, mehrmals, man könnte sogar sagen: Wien ist meine „Liebesstadt“, denn in dieser Stadt habe ich die beiden wichtigsten Männer in meinem Leben kennengelernt: Beim Belvedere Wettbewerb habe ich zuerst meinen ersten Ehemann – aber zu gleicher Zeit auch im Wiener Rathaus, wo der Wettbewerb stattfand, meinen derzeitigen Agenten – Mariano Horak kennen gelernt. Und meinen zweiten Mann habe ich in dieser schönen Stadt ebenfalls kennengelernt.
Haben Sie auch Wienerisch gelernt?
Nur die Namen der Speisen, denn diese klingen doch total anders als in Deutschland. Zum Beispiel Paradeiser statt Tomaten, Schlagobers statt Schlagsahne, Palatschinken statt Pfannkuchen, Topfen statt Quark oder Marille statt Aprikose…. Das war anfänglich gar nicht so einfach.
Sie haben beim Belvedere Wettbewerb den Operettenschlager aus der Giuditta „Meine Lippen, die küssen so heiß“ – und wie ich mich noch bis heute erinnere – hinreißend gesungen. Welche Folgen hatte dieser Preis für Sie gehabt?
Als ich den Belvedere Wettbewerb gesungen habe, war ich schon an der Kölner Oper fix engagiert. Mit Operette kam ich dort aber nur sehr wenig in Berührung.
Nach dem Erfolg in Wien bekam ich mehrere Angebote, durch mein Engagement in Köln war ich aber nicht mehr frei.
An die die Wiener Volksoper kam ich erst viele Jahre später, allerdings nicht für eine Operettenrolle sondern als Fidelio Leonore.
Wie kamen Sie überhaupt zur Operngesang?
Ich bin in der Natur aufgewachsen – sozusagen zwischen Kühen und meinen Großeltern. Mein Vater war im damaligen kommunistischen System in Litauen ein wichtiger Mann – er hatte als Fleischer Zugang zu Dingen, die für „normale“ Menschen damals schwer zu erhalten waren.
Zu der Zeit gab es in unserer Stadt einen sehr berühmten Mädchenchor, bei dem ich gerne mitgesungen hätte. Die Aufnahme war aber nicht ganz einfach. Mein Vater wollte mir eine entsprechende Ausbildung gerne ermöglichen und „bestach“ den Chorleiter mit guten Würstchen, damit er mich in den Chor aufnimmt, obwohl er gar nicht richtig wußte, ob ich überhaupt Talent habe und singen kann.
Ich sang also vor, und offenbar dachte der Chorleiter, dass ich doch Potential habe – meinte allerdings, ich sei eine Altistin! Das hat mir überhaupt nicht gepasst. Ich wollte unbedingt Sopran singen, da nämlich meine Soprankolleginen auch immer Solostellen in den Chorauftritten hatten. Also übte ich fleißig über zwei Jahre lang – heimlich – im Wald, versuchte ganz hohe Töne zu singen und tatsächlich gelang es mir, dass ich irgendwann, in die Gruppe der Soprane wechseln durfte.
Spielen Sie ein Instrument?
Ja – Klavier. Um Gesang studieren zu können, musste ich Geld verdienen und hatte zeitweise drei verschiedene Nebenjobs. So blieb für Klavier leider nicht viel Zeit, was ich sehr bedaure.
Wo und bei wem bekamen Sie ihre erste Gesangsausbildung?
Meine erste Gesangsstunde bekam ich bei dem schon genannten Mädchenchor. Damals war ich sechzehn. Eine schon etwas ältere Operndiva hat mich unterrichtet. Es war allerdings nicht so einfach. Sie konnte leider technisch nicht allzu viel erklären, hat aber mit ihren stimmlichen Resten andauernd alles vorgesungen. Als brave Studentin machte ich alles so gut ich konnte nach, sogar das Tremolo meiner Lehrerin habe ich versucht zu imitieren… (lacht). Zum Glück erkannte ich früh genug, dass dies der falsche Weg war. Mit meinen späteren Gesangslehrern hatte ich, Gottseidank, mehr Glück gehabt.
Können Sie russisch?
Ja, wir mussten es in der Schule als die zweite Pflichtsprache lernen.
Es ist aber auch ein besonderer Vorteil für die Beherrschung von Opernpartien des slawischen Repertoires.
Ja, durchaus. Damals hätte ich zwar lieber Englisch oder Deutsch gelernt. Aber im Nachhinein bin ich ganz froh, dass ich auch Russisch gelernt habe, zumal die slawischen Opern, heute auch zu meinem Kernrepertoire gehören.
Wie kamen Sie nach Köln in das Ensemble?
Ich verfasste mindestens einhundert Briefe und schickte diese an alle möglichen Opernhäuser, vor allem in Deutschland. Seltsamerweise kam die einzige Einladung zum Vorsingen aus der Kölner Oper.
Gleich zum Vorsingen?
Ja, gleich zum Vorsingen. Ich bin also hingefahren, entspannt und absolut ohne irgendwelche Erwartungen. Ich hatte sogar schon die Rückfahrkarte nach Leipzig, wo ich damals studierte, in der Hand.
Nach dem Vorsingen kam man auf mich zu und bat mich zu einem Gespräch. Aber ich meinte zunächst nur, ich habe nicht so viel Zeit, ich müsse ja schon bald zum Zug. Man überredete mich jedoch zu bleiben und, zu meiner Überraschung, hat man mir sofort einen Ensemblevertrag angeboten. Gleichzeitig nannte man auch schon die Partien, die ich singen sollte. Ich erinnere mich, da war zum Beispiel die Blanche aus ‚Dialogues des Carmelites‘, Arminda aus ‚Gärtnerin der Liebe oder die Lady Hamilton aus Kühneckes ‚Lady Hamilton‘. Ich dachte, die Rollen kenne ich überhaupt nicht, ist also wahrscheinlich nur wenig interessant. Also sagte ich: „Ich überlege mir das Angebot noch“ und eilte dann zum Bahnhof um meinen Zug rechtzeitig zu kriegen. Als ich dann später meiner Lehrerin davon erzählte und sie mich nach den Rollen fragte, war sie ganz entsetzt, dass ich nicht sofort zugesagt habe. Sie meinte, das sind alles Rollen im ersten Fach und ich solle sofort die Oper anrufen und zusagen. Da gab es dann natürlich kein langes Überlegen mehr und so kam ich auch zum meinem ersten Engagement nach Köln.
War das Gehalt in Köln damals ausreichend?
Na ja, es ist kein Geheimnis – ich hatte nur eine Anfängergage, als Studentin habe ich aber fleißig gespart.
Später sind sie dann weg aus Köln – in die „Freiheit“ eines rising stars – und jetzt endlich auch bei uns an der Staatsoper in Wien gelandet, um uns ihre Salome zu zeigen.
Richard Strauss meinte einmal, Salome, diese Prinzessin und keusche Jungfrau sollte nur mit einfachster und feinster Gestik agieren. Halten Sie diese Salome für eine keusche Jungfrau und feine Prinzessin?
Ich sehe Salome als ein Opfer ihrer Umgebung, in die sie hineingeboren ist. Sie ist alleine aufgewachsen, als Kind hat sie erlebt, wie ihr Vater zwölf Jahre in der gleichen Zelle wie Jochanaan gefangen war, der Tod war für sie normal und an der Tagesordnung. Sie sehnt sich – wie jeder von uns – nach Liebe, aber sie weiß nicht was das heißt. Sie ist dadurch stark traumatisiert, eigentlich bräuchte sie Hilfe.
Ich entschuldige sie und ihre Taten zwar nicht, versuche aber mich in diesen Charakter, so gut es geht, einzuleben und ihre Situation und ihre Psyche zu verstehen.
Zum Tanz der Salome – tanzen Sie selbst?
Ja, ich tanze selbst – ich „muß“ – aber ich habe keine tänzerische Ausbildung im eigentlichen Sinn, daher versuche ich durch Mimik und Gestik und meine eigene Körpersprache diesem Tanz einen dramatischen Ausdruck zu verleihen.
In welchen Inszenierungen dieser Oper haben Sie Erfahrung gesammelt? War immer der berühmte Tanz immer dabei?
Ja , ich sang zum Beispiel Salome in einer Inszenierung von Neuenfels an der Berliner Staatsoper, da war dieser Tanz als ein Dialog mit dem Tod inszeniert. Es war eine sehr spezielle, an sich eine gut nachvollziehbare und logische Konzeption. Die Salome mit Bubikopf und schwarzen Businessanzug, Jochanaan im Rüschenkleid.
In Wien ist es anders, hier regiert noch der Jugendstil – ich mag beides.
PS: Der Druck im künstlerischen Leben ist sehr hoch geworden, Termine und die Abrufung von Höchstleistungen fordern Physis und Psyche eines Sängers beinahe wie die eines Hochleistungssportlers. Wie können Sie Erholung und Entspannung finden? Spüren Sie diesen Druck?
Ja, manchmal. Wichtig ist es gut auf den eigenen Körper zu hören und derartige Symptome rechtzeitig zu erkennen. Ich versuche mich dann zurückzuziehen, bin für niemanden erreichbar, nicht einmal für meinen Agenten. Mit der Zeit habe ich auch gelernt gelassener zu sein, dem Schicksal zu vertrauen. Ich frage nicht ständig, was ich als nächstes machen werde. Das Leben bringt das, was kommen soll.
Energetischen Ausgleich finde ich auch in einer guten Vorstellung und durchaus auch in Einsamkeit und Ruhe danach.
Hat dieser Beruf ein „Gesamtkonzept“?
Die Stimme ist sicherlich ein wichtiger Faktor, aber nicht nur sie allein. Musikalität, Ausdruck, Persönlichkeit, Ehrlichkeit, das alles gehört dazu. Disziplin ist ebenfalls wichtig und manchmal auch ein wenig Glück.
Singen ist für mich kommunizieren. Man spürt es ganz genau, wenn eine Interaktion zwischen der Bühne und dem Publikum entsteht, wenn man den Zuschauer mit der eigenen Interpretation erreicht hat. Das sind dann sehr beglückende Momente. Ich bin schon sehr gespannt, wie es in Wien sein wird…
Haben Sie auch Schauspiel studiert?
Ich habe entsprechenden Unterricht gehabt und liebe das Schauspiel. Wenn ich in meiner Heimat bin, besuche ich sehr gerne das Schauspielhaus. Man kann von guten Schauspielern immer wieder etwas lernen.
Wie würden Sie Ihre bisherige Karriere beschreiben, war es ein schwerer Weg?
Manchmal ja, denn am Anfang meiner Karriere wollte ich allen auch alles recht machen – aber das geht so nicht auf Dauer und man entwickelt sich nicht weiter. Nach und nach und natürlich auch mir der zunehmenden Erfahrung, kam auch die Selbstsicherheit und ich versuche, wenn immer möglich, mir selbst treu zu bleiben. Das spiegelt sich durchaus auch in vielen meinen Rolleninterpretationen immer wieder.
Sie haben eine böse Verletzung bei einer Aufführung erwähnt. Was war da vorgefallen?
Ja, das war in Paris, dort ist ein „Teil“ von mir geblieben! Während der Aufführung! Ich liebe es nämlich, bei den Vorstellungen ohne Schuhe, so ganz barfuß zu spielen. So auch in Paris, es war eine sehr intensive Inszenierung der ‚Lady Macbeth von Mzensk‘, ich ermordete gerade meinen Ehemann ‚Sinovij‘ und sein Körper sollte dann, in einer Plastikfolie gewickelt, über die Bühne geschoben werden. Während dieser Szene, ich hielt seine beiden Beine, fiel der „Leichnam“ auf meinem Fuß und mein toter Ehemann verletzte mich mit seinem scharfen Schuhabsatz: Dieser schnitt mir eine meiner Zehen fast vollständig ab! Ich schaue runter auf meinen Fuss – und denke – während ich noch weiter singe – der schaut irgendwie komisch aus. Der Vorhang fiel und alle suchten nach dem abgeschnittenen Teil meiner Zehe – bis ihn der Inspizient endlich fand. Die Vorstellung wurde unterbrochen, man brachte mich sofort ins Spital, denn es bestand ja noch Hoffnung, dass man das Stück annähen könnte, was dann aber leider doch nicht mehr möglich war. Ich liebte diese Inszenierung von Warlikowski und, obwohl ich unter sehr starken Schmerzen litt, wollte ich unbedingt alle Vorstellungen weiter singen – allerdings mit Schuhen.
Gibt es Pläne für die nähere Zukunft in Wien?
Oh Ja. Ich komme schon bald zurück – Ende Oktober ins Konzerthaus für eine konzertante Aufführung von Hindemiths ‚Sancta Susanna‘ und im April werde ich die Partie der ‚Renata‘ in Prokofiews „Der feurige Engel“ am Theater an der Wien singen. Schon wieder werde ich auf dem Scheiterhaufen sterben (lacht)
Und was ist unter den vielen spannenden modernen Stücken Ihre Lieblingsoper?
Ich liebe sehr Schostakowitschs ‚Lady Macbeth von Mzensk‘. Aber auch den ‚Feurigen Engel‘ mag ich sehr, obwohl es eine mörderische Partie ist.
Sie haben sich fast ausschließlich auf das Repertoire des 20. Jahrhundert spezialisiert. Warum?
Dieses Repertoire eignet sich, meiner Meinung nach, sehr gut für meine Stimme. Abgesehen davon, diese vielschichtigen, zum Teil kranken oder traumatisierten Charaktere, empfinde ich viel spannender und jede neue Inszenierung kommt mir vor, wie die Arbeit eines Forensikers. Ich tauche gern in den Abgründen einer Menschenseele.
Was machen Sie gerne so in ihrer Freizeit, wenn Sie eine haben?
Mein Mann und ich haben ein altes Kloster gekauft, das renoviere ich leidenschaftlich gerne. Viel Freude machen mir abstrakte Kunstinstallationen, die Arbeit mit Farben und Formen ist unglaublich entspannend.
Lernen Sie leicht?
Gott sei Dank ja.
Und morgen um 10:00 Uhr ist die erste Probe?
Ja! Ich freue mich schon sehr auf diese schöne Inszenierung, ich habe sie bereits gesehen und gründlich studiert.
Dann bleibt uns nur mehr herzlich für Ihren Besuch bei uns zu danken und wir wünschen Ihnen für Ihr Wiener Debüt als Salome alles Gute und viel Erfolg!
Die Philharmoniker mögen Sie musikalisch so begleiten wie Richard Strauss es einmal bei einer Probe ausdrückte: „Diese Oper müsste gespielt werden wie Mendelssohnsche Elfenmusik“
Vielen Dank.
Das Gespräch führte Peter Skorepa / OnlineMerker
Wien, am 23.September 2019
Fotos in der Galerie Copyright by Zeininger
Bühne Wr.Staatsoper Copyright by M.Pöhn