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KÖTHEN/St. Agnus-Kirche: NEW YORK POLYPHONY ZU J.S.BACHS 328. GEBURTSTAG

Köthen/St.Agnus-Kirche: NEW YORK POLYPHONY ZU J. S. BACHS 328. GEBURTSTAG – 21.3.2013

 Die Stadt Köthen macht in besonderer Weise immer wieder auf sich aufmerksam, indem sie ihre beiden bedeutendsten Einwohner der Vergangenheit ehrt. Seit einigen Tagen ist sie „Welthauptstadt der Homöopathie“. Der Weltverband der homöopathischen Ärzte zog von Genf nach Köthen um (!), wo der Arzt Samuel Hahnemann 1821-1835 lebte und wirkte und den Grundstein für die homöopathische Alternativmedizin legte.

 Ihren berühmtesten Sohn aber, Johann Sebastian Bach, feiert sie nicht nur mit den aller zwei Jahre stattfindenden internationen „Köthener Bachfesttagen“ und dem „Nationalen Bach-Wettbewerb für junge Pianisten in Köthen“, sondern alljährlich auch mit einem Festkonzert an Bachs Geburtstag – Initiativen, die vor allem dem Ehrenbürger der Stadt, dem Indendanten Hans Georg Schäfer zu danken sind.

 Zum diesjährigen „Geburtstagsständchen“ kamen vier junge Männer, Geoffrey Williams (Countertenor), Steven Caldicott Wilson (Tenor), Christopher Dylan Herbert (Bariton) und Craig Phillips (Bass) von weit her. Sie fanden sich 2006 zu dem Gesangsquartett New York Polyphony zusammen, das inzwischen zu den besten Vokalensembles der internationalen Musikszene zählt.

 Auf ihrer Deutschlandtournee, bei der sie nur in drei Städten auftreten, neben Köthen in Arnstadt (Thüringer Bachfestwoche) und Berlin, gaben sie an historischer Stätte, in der Köthener St.Agnus-Kirche, zu deren Gemeinde Bach seinzeit gehörte, ein außergewöhnliches Konzert mit ungewöhnlichem Programm.

 Das Ensemble, dessen Repertoire von der Musik aus Mittelalter und Renaissance bis zur Moderne reicht, mit Schwerpunkt der wiederentdeckten Alten Musik, liebt das Experimentelle, das auch dieses Konzert zu einem besonderen musikalischen Ereignis werden ließ. Schon die Konstellation, vier Sänger und eine charmante, junge Geigerin, sind ungewöhnlich, aber „erlaubt ist, was gefällt“.

 Zunächst standen zwei franko-flämische Komponisten der Renaissance auf dem Programm. Nachdem das Quartett, begleitet von der Violine in tadelloser Weise „Tauperum refugium“ von Josquin Desprez (ca. 1450/55-1521) zu Gehör brachte, erklang von den fast instrumental geführten, gut klingenden und sehr tragfähigen Männerstimmen in erstaunlicher Klangfülle „Lamento Jeremieahs“ von Thomas Crecquillon (1505-1557) , ein in unseren Breiten höchstens in Fachkreisen bekannter Komponist. Man konnte jeder einzelnen Stimme folgen, wobei sich die unterschiedlichen Timbres der Sänger in harmonischem Zusammenwirken wie die Klangfarben verschiedener Instrumente verbanden. Mit historisch getreuer Wiedergabe, perfekter Phrasierung und sehr klarer Linienführung, aber auch großer Lebendigkeit bereicherten sie die Möglichkeiten der Aufführungspraxis Alter Musik.

 Das „Herzstück“ dieses Konzertes bildete Bachs „Partita für Violine solo d¬-Moll“ (BWV 1004), bei der in einmaliger Weise, die unterschwellig zugrundeliegenden Choräle, die Bach zeitlebens beschäftigt haben mögen (in einer Bearbeitung von H. Thoene) in einem geglückten Arrangement das Verständnis dieses genialen Werkes um einen wesentlichen Aspekt erweiterten. Bach schrieb die drei Partiten mit ihren zunächst heiter anmutenden Tanzsätzen, die seinerzeit mehr einen charakteristischen Rhythmus vorgaben, als wirklich dem Tanz zu dienen, vermutlich in Köthen. Unverkennbar durchzieht das Moment von „Tod und Verklärung“ die aufgeführte Partita, die von d-Moll nach D-Dur in hoffender Zuversicht wechselt und wieder in d-Moll als Ausdruck des irdischen Daseins „zurückfällt“. Vermutlich verarbeitete Bach darin die tiefe Trauer um seine geliebte erste Frau, die unerwartet verstorben und schon begraben war, als er mit Fürst Leopold von einer Reise aus Karlbad zurückkehrte.

 Zwischen die, von der britischen Musikerin Lizzi Ball meisterhaft auf der Violine mit viel Energie und Souveränität, aber auch Wärme gespielten Sätze „Allemande“, „Sarabande“, „Courante“ und „Chaconne“ waren bei dieser Aufführung die, die Komposition durchziehenden sieben Choräle geschoben. Sie wurden durch die menschliche Stimme verdeutlicht, erst getrennt vom Violinpart, dann ihn in einer einmaligen Harmonie „untermalend“.

 Schließlich wurden die aufmerksam zuhörenden, sehr zahlreich erschienenen Konzertbesucher noch mit dem amerikanischen Hymnus „When Jesus wepts“ eines unbekannten Komponisten belohnt. Bei dieser Kompostion wurde u. a. auch eine äußerst selten zu hörende, indische Shruti box eingesetzt, äußerlich einer Art Buch ähnlich, das durch leichtes Öffnen und Schließen einen unterschiedlich lauten Grundton erzeugte, mit dem sich der Klang der Violine und der Sänger mischte.

 Mit diesem Konzert gelang dem Ensemble ein neuer Blick auf Bachs Werk und die Bereicherung der Alte-Musik-Szene, die mitunter in zu viel akademischer Detailtreue zu erstarren droht, um ein wesentliches Moment.

 Ingrid Gerk

 

 

 

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