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KÖLN: ARTASERSE von Leonardo Vinci

19.12.2012 | KRITIKEN, Oper

Köln: ATARSERSE von Leonardo Vinci – Aufführung am 19. Dezember 2012

 Unter dem Etikett „5 Countertenöre“ tourt eine Produktion von Leonardo Vincis (nicht Leonardo da Vincis) Oper „Atarserse“ durch eine Reihe von Städten, machte u.a. auch in Wien Station, wo übrigens bereits 2007 eine szenische Produktion des Werkes bei der Musikwerkstatt heraus kam. Köln hat sich gleich 3 Aufführungen gesichert, von der mittleren am 19.12. ist hier die Rede. Mancher dürfte sich zuvor die CD-Aufnahme angehört haben, welche im November 2011 beim Deutschlandfunk in Köln entstand (wohl wegen der nahen Adresse des Orchesters „Concerto Köln“).
Ein Jahr später fanden in Nancy 5 Bühnenaufführungen statt. Der Inszenierung von Silvio Purcarete wurde „stilvolles Augenzwinkern“ attestiert, Fotos von der Aufführung könnten freilich eher das Fürchten lehren. In ihren aufgedonnerten Kostümen wirken die Sänger von jedweder szenischen Glaubwürdigkeit entbunden, es scheint Selbstzwecktheater stattzufinden. Was die Handlung von „Artaserse“ an Liebe und Intrigen bietet, ist barocktypisches Klischee und muss sich nicht unbedingt näher vor Augen geführt werden, zumal die 5fache Counter-Besetzung (darunter 2 Frauenpartien) psychologische Glaubwürdigkeit weitgehend außer Kraft setzt. Nimmt man jedoch die Aufführung im gegenwärtigen Ausweichquartier „Oper am Dom“ als vokal artifizielles Event ohne Erwartung bedeutsam vertiefender Dimensionen, lässt sich dieses Spektakel genussvoll goutieren. Die Besetzung ist nämlich nichts weniger als sensationell.

 Aus gutem Grund ist mit Orchester und Dirigent zu beginnen. CONCERTO KÖLN, im November in der Kölner Philharmonie zusammen mit der Trompeterin Alison Balsom als eher „gleichförmig“ erlebt, sprudelte vor Lebendigkeit geradezu über.
Nun stand auch DIEGO FASOLIS am Pult, der mit ziemlich unorthodoxer Gestik fraglos demonstrierte, dass er als
Dirigent ein Quereinsteiger ist. Aber er sorgte für ein unglaublich plastisches, bühnenfeuriges Spiel. Die fast dreieinhalbstündige Aufführung
bescherte sicher nicht nur Highlight-Nummern (barocke Abfolge von Arien mit standardisierter Affektbravour – gegen Ende ein einziges Duett, dazu das Ensemble-Finale mit „lieto fine“), aber doch viel erstaunliche und aufregende Musik, die freilich angemessen belebt sein will. Unter Fasolis animierter Leitung bewegte sich Vincis Musik wie auf der Spitze einer vulkanischen Eruption.

 Ob die Sänger von der Inszenierung etwas in ihre konzertante Darbietung haben einfließen lassen, wäre durchaus vorstellbar, doch eignete allen Mitwirkenden Bühnentemperament von Natur aus. Wie weit die Qualitäten von YURIY MYNENKO (Megabise) reichen, ist nach diesem einen Abend nicht verlässlich zu prognostizieren. Aber Mynenkos kraftvolle Stimme bestach, ohne freilich über ein wirklich unverwechselbares Timbre zu verfügen. VATER BARNA-SABADUS wird Ende Januar als Händels Serse in Düsseldorf in Augenschein zu nehmen sein, wenn dort Stefan Herheims für die Komische Oper Berlin erarbeitete Inszenierung übernommen wird. Um als Semira, also eine Frau, glaubhaft zu wirken, hatte sich der junge Rumäne seines Bartes entledigt und einen leicht exotischen Fummel über den schwarzen Anzug geworfen.
Wiegende Körperbewegungen, nicht immer ganz kontrolliert, unterstrichen das „Weibliche“ seiner Partie, die er mit weicher Linienführung und sensibler Tongebung gestaltete. Die Soprantypisierung seiner Stimmer, von der gelegentlich gesprochen wird, bewies der liebenswerte Sänger an diesem Abend nicht, seine Tessitura entspricht wohl doch einem Mezzo, freilich einem von besonders heller Leuchtkraft.

 Das Höchstmaß an androgyner Timbrierung bleibt ohnehin PHILIPPE JAROUSSKYS „voce di angelo“ vorbehalten. Die eigentlich maskulin
geprägte  Titelpartie deckt sich mit seiner ätherischen Stimme sicher nur bedingt (da wäre sein Kollege MAX EMANUEL CENCIC die noch treffendere Rollenbesetzung gewesen), aber die Süße von Jarousskys Gesang besitzt eine autonome, körpervibrierende Qualität und Intensität, der man sich einfach nicht entziehen kann. Cencic, welcher die andere Frauenfigur von Vincis Oper (Mandane) verkörperte, wirkte an dem besuchten Abend nicht ganz frei. Eine Indisposition wurde nicht angekündigt, aber die gute, aber nicht exorbitante Leistung ist vermutlich in diese Richtung hin zu erklären. Mit dem Arbace konnte FRANCO FAGIOLI sein eminentes Bühnentemperament ausspielen, breit in der lodernden emotionalen Skala und umwerfend in der Beherrschung des bis zum hohen D reichenden Tonumfangs. Köln hat immer noch sein lokales Rollendebüt als Monteverdis Nerone in bester Erinnerung. Der intrigante Vater von Arbace, Artabano, bildet eine isolierte Tenorbesetzung innerhalb von „Artaserse“ (warum eigentlich nicht auch ein Counter?). In der CD-Aufnahme hatte sie Daniel Behle inne, seit Nancy wird sie von JUAN SANCHO verkörpert, einem jungen Spanier mit vielleicht nicht unbedingt schmeichelndem, aber äußerst
charakteristischem, sprachprägnantem Tenor; zudem ist dieser attraktive Nachwuchssänger ein elektrisierendes Bühnentemperament.

 Alle Künstler steigerten sich gegenseitig sich mit überschäumender gesanglicher Verve und dramatischer Präsenz, die ausgeblendete Szene wirkte nicht als Verlust, sondern geradezu als Gewinn, zumal man auch Diego Fasolis „Agieren“ verfolgen konnte. Der frenetische Beifall erzwang die Wiederholung des (kurzen) Finales. Die auf das Podium geworfenen Blumensträuße galten Valer Barna-Sabadus und Philippe Jaroussky. Ein ungewöhnlicher Vorgang, in Köln aber auch wieder nicht, wo ja immer auch besondere Herzenstemperaturen lodern.

 Christoph Zimmermann

 

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