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KÖLN/ Schauspiel: DON KARLOS – Premiere als Live-Stream

19.12.2020 | Allgemein, Theater

Karl
Bruno Cathomas. Foto: Clärchen und Hermann Baus.

„Don Karlos“ von Friedrich Schiller im Schauspiel Köln

ÜBER ALLEM THRONT DIE KIRCHE

Premiere als Live-Stream: Friedrich Schillers „Don Karlos“ in einer Inszenierung von Jürgen Flimm im Schauspiel/KÖLN

Jürgen Flimm  kehrt mit diesem Klassiker als ehemaliger Intendant des Schauspiels Köln an seine frühere Wirkungsstätte zurück. Der Ausruf des Marquis von Posa „Geben Sie Gedankenfreiheit, Sire“ erinnert hier nicht nur an so manche Corona-Demo, sondern auch an das Leid der Kunstschaffenden. Jürgen Flimm konzentriert sich bei seiner Inszenierung  ganz auf die Machterhaltung König Philipps von Spanien und des Großinquisitors. Don Karlos ist unglücklich in seine Stiefmutter verliebt. Ursprünglich war Elisabeth von Valois ihm versprochen, bis sie in die politisch motivierte Ehe mit seinem Vater, König Philipp II., einwilligte: „Elisabeth war Ihre erste Liebe, Ihre zweite sei Spanien.“ Dieser entzieht Karlos nicht nur die Frau, sondern auch die Chance auf seine Rolle als künftiger König. Da tritt plötzlich sein Jugendfreund Marquis von Posa wieder in sein Leben. Der glühende Idealist hofft, einen mutigen Mitstreiter zu finden, der die Flandrischen Provinzen von der spanischen Krone befreit. Intrigen, Einsamkeit und Eifersucht befeuern die Handlung auch bei Jürgen Flimms Deutung. Der Wunsch nach Macht tritt immer weiter zurück. Das persönliche Scheitern steht grell im Vordergrund. Im Bühnenbild von George Tsypin (Kostüme: Polina Liefers; Video: rocafilm) werden die seelischen Qualen und Zweifel der Protagonisten sichtbar. Zwischen seltsamen Stäben sieht man fast alptraumhaft verzerrte Gesichter und ein imaginäres Geschehen in Video-Sequenzen, das man nicht recht deuten kann. Die Bühne scheint sich aufzuteilen und zu erweitern, alles bekommt eine fast schon surrealistische Aura. Philipp misshandelt seinen Sohn auch körperlich, wirft den Tisch auf ihn herab, schlägt ihn. Und er schlägt auch seine scheinbar untreue Frau Elisabeth. Erst der an ein Bild von El Greco gemahnende unheimliche Großinquisitor kann ihn zur Vernunft bringen. Ihm opfert er schließlich seinen einzigen Sohn: „Kardinal, ich habe das Meinige getan. Tun Sie das Ihre.“ Zuvor wird Marquis Posa hinterrrücks auf Befehl des Königs erschossen.

Der Live-Musik von David Schwarz kommt hier eine große Bedeutung zu. Neben seltsamen Sphärenklängen hört man Auszüge aus Richard Wagners Oper „Tristan und Isolde“ und immer wieder Johann Sebastian Bachs „Weihnachtsoratorium“. Emotion und Euphorie sowie tiefe Verzweiflung liegen hier nah beieinander. Philipp geißelt sich schließlich selbst, unterwirft sich der Kirche und dem allmächtigen Großinquisitor, der totale Demut fordert. Zuvor hat König Philipp ein Bildnis seiner Frau Elisabeth in einem Wutanfall zerstört, nachdem er seine Tochter in zynischer Weise nachgeäfft hat. Bruno Cathomas stellt Philipp dabei als einen zwar robusten, doch ständig an sich zweifelnden Herrscher dar, der keine innere seelische Balance hat. Melanie Kretschmann kann als seine Gemahlin Elisabeth von Valois ihre Seelenqualen sehr gut verdeutlichen – und auch Marek Harloff als Kronprinz Don Karlos spielt seine Rolle mit fesselnder dramatischer Präsenz. In weiteren Rollen überzeugen weitgehend Sophia Burtscher als von Don Karlos zurückgewiesene, unglückliche Prinzessin von Eboli, Nicolas Lehni als aufmüpfiger Marquis von Posa, Jörg Ratjen als undurchsichtiger Herzog von Alba sowie Yuri Englert als Graf von Lerma/Page. In weiteren Rollen imponieren Ines Marie Westernströer als Domingo, Beichtvater des Königs und Ralph Morgenstern als von unheimlichen Hall-Effekten begleiteter Großinquisitor. Die dichterisch-überhöhte Verssprache wird bei Jürgen Flimms Inszenierung ganz bewusst musikalisch-melodisch eingesetzt. Es kommt zu gewaltigen dynamischen Steigerungen, die das Gefühlsleben der handelnden Personen offenlegen. Die große historische Tragödie bleibt dabei durchaus greifbar, auch wenn das „ungeheure Schicksal der Provinzen“ und der Untergang der Armada keine große Rolle spielen. Die privaten Auseinandersetzungen der Protagonisten stehen hier zweifellos im Vordergrund des Geschehens. Das höfische Leben im al-fresco-Stil wird zwar gestreift, aber doch auch in die Zeitlosigkeit übertragen. Mit Marquis von Posa erörert Don Karlos in wildem Disput die philosophisch-politischen Ideen von Freiheit und Menschenadel. Das Pathos der Sprache rückt Jürgen Flimm bei seiner interessanten Inszenierung nicht ins Zentrum, er legt vielmehr auf einen zeitgenössischen Bezug Wert. Die Kostüme erinnern eher an die Zeit des frühen 19. Jahrhunderts. Auffallend ist aber auch hier eine gewisse Zeitlosigkeit. Die katholische Kirche erhält eine geradezu unglaubliche Macht, alles konzentriert sich zuletzt auf den riesenhaft auftretenden Großinquisitor, der dem König zornig dessen Verfehlungen vorwirft. Diese letzte Szene ist Jürgen Flimm am besten gelungen, Szene und Figuren finden ganz zusammen, ergänzen sich, schaffen elektrisierende Spannung. Man begreift als Zuschauer, dass die ganze Tragödie auf diesen letzten Moment zusteuert und dadurch ein unausweichliches Ende findet. 

Alexander Walther

 

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