Köln: MADAMA BUTTERFLY (Wiederaufnahme am 04.09.2014)
Die nunmehr wiederaufgenommene Produktion der Madama Butterfly in der Inszenierung und Ausstattung des Iren PATRICK KINMONTH hatte bereits 2008 Premiere. Neu einstudiert wurde sie von der Kölner Hausregisseurin EIKE ECKER. Die Konzeption der Inszenierung als solche ist bereits bemerkenswert. Was in der Neueinstudierung herausgekommen ist, ist es erst recht. Kinmonth hat das Werk tiefgreifend ausgeleuchtet. Gerade in unserer Zeit ist die an der Persönlichkeit des Pinkerton anknüpfende Vermittlung der (heute genauso wie zu Puccinis Zeiten aktuelle) typisch amerikanische Überheblichkeit und Rücksichtslosigkeit hervorzuheben. Ohne jeden Skrupel macht Pinkerton die erst fünfzehnjährige („quindici anni“) Cio-Cio-San hörig, vergnügt sich also genaugenommen mit einem Kind. Pinkerton als Pädophiler? Soweit wird man nicht gehen müssen, denn in allen Hochkulturen der Welt waren Lustknaben und Kindersex in keiner Weise so verpönt wie in unserer hysterischen Zeit. Allerdings arbeitet die Regie auch heraus, daß Cio-Cio-San deutlich früher, vielleicht schon als Zwölf- oder Dreizehnjährige, amerikanischen Matrosen als Prostituierte gedient hat. Nach dem Summchor wird das in einer Traumsequenz plastisch auf der Bühne vorgeführt. Das erinnert an das Verhalten der amerikanischen Besatzer im Vietnam-Krieg.
Auch sonst sind einige Einfälle von Kinmonth ungewöhnlich. Cio-Cio-San ist bei ihm ein blondes Püppchen, gewissermaßen eine optische Mischung aus Marylin Monroe und Barbie-Puppe. Auch hier finden wir also die Anspielung auf amerikanische Sexualklischees. Erst im Finale, als klar ist, dass sie Pinkerton verloren hat, reißt sie sich die blonde Perücke vom Kopf und macht mit der Flut ihrer langen dunklen Haare deutlich, dass sie zu ihrer eigentlichen Persönlichkeit zurückgefunden hat.
Bemerkenswert sind auch viele Kleinigkeiten. Dazu gehört, daß Lady Pinkerton ihrem Ehemann ins Gesicht schlägt, als sie in voller Tragweite erkennt, was er im fernen Japan für ein Spiel getrieben und wie er auf der Seele der jungen Cio-Cio-San herumgetrampelt hat. Etwas kurios mutet an, dass der am Schluß auf Pinkertons Arm sitzende kleine Sohn der Optik nach etwa sechs Jahre alt ist, während Butterfly ausweislich des Librettos mitteilt, daß ihr „Ehemann“ gerade einmal drei Jahre abwesend war.
Auch das von Kinmonth ebenfalls entwickelte Bühnenbild ist sehenswert, sei es der Blütenteppich des ersten Akts oder der romantische Meerblick. Nur ist in der Kölner Produktion das Stück von der kleinen Japanerin, die dem amerikanischen Chauvinisten zum Opfer fällt, eben keine romantische Story, sondern ein soziales Drama, wenn auch in schönen Bildern.
Der französische Dirigent CLAUDE SCHNITZLER hat in Köln schon mehrfach reüssiert. Er breitete einen opulenten Klangteppich aus und nahm gleichwohl ohne jede persönliche Eitelkeit Rücksicht auf die Singstimmen. Der von MARCO MEDVED einstudierte Chor ließ ebenfalls keine Wünsche offen.
Cio-Cio-San ist selbstverständlich stets die Hauptfigur. Bedingt durch das Regiekonzept und eine phänomenale Umsetzung durch LIANA ALEKSANYAN in der Titelrolle traten die anderen drei Protangonisten mehr als gewohnt in den Hintergrund. Das mag nicht ganz gerecht sein. Andererseits muß man wohl für die in dieser Produktion gestellten Anforderungen eine darstellerisch außerordentlich agile und körperlich leistungsfähige Sängerin zur Verfügung haben. Die auch durch ihre Engeaments in Hamburg und Berlin bekannte junge Armenierin war diesen Vorgaben gewachsen, Im ersten Akt fand sie stimmlich noch nicht zu ihrer vollen Leuchtkraft. Nach der Pause schien sie sich aber geradezu in einen Rausch zu singen (und zu spielen), ohne die feinen Zwischentöne zu vernachlässigen. Es gab wohl kaum jemanden im Publikum, den ihr (Bühnen-)Suizid nicht nachhaltig berührt hätte.
Neben ihr machte der tschechische Tenor PAVEL CERNOCH mit kraftvollen Höhen und darstellerischer Präsenz in der Rolle des Antipathieträgers Pinkerton gute Figur. Konsul Sharpless war der mexikanische Bariton RICARDO LOPEZ, einer von insgesamt (sechs!) Rollendebütanten dieses Abends. Große sängerische Höhepunkte hat Puccini dem Bariton in dieser Partie nicht gegönnt. Umso bemerkenswerter ist, wie es Lopez gelang, die Figur des mit Cio-Cio-San durchaus mitfühlenden, menschlich integeren Diplomaten glaubhaft zu machen. Suzuki war ADRIANA BASTIDAS GAMBOA, eine durchaus vielversprechende kolumbianische Mezzosopranistin, die das Beste aus der Rolle machte. Aber auch mit einer Suzuki kann man sich allenfalls dar-stellerisch profilieren. Das übrige Ensemble bestand aus bewährten Mitgliedern der Kölner Oper. Genannt seien JOHN HEUZENROEDER (Goro), JEONGKI CHO (Yamadori), LUKE STOKER (Bonzo), LUCAS SINGER (Commissario), WOLFGANG SCHWAIGER (Yakuside).
Klaus Ulrich Groth