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Klaus Trost: DOSTOJEWSKI UND DIE LIEBE

12.01.2021 | buch, CD/DVD/BUCH/Apps

Buchcover Trost, Dostojewski Und Die Liebe

Klaus Trost
DOSTOJEWSKI UND DIE LIEBE
Zwischen Dominanz und Demut
Verlag tredition, 420 Seiten, 2020

Nicht nur Dante und Proust, Flaubert und Ludwig Thoma, Wolfgang Borchert und Dürrenmatt: 2021 ist auch Dostojewski-Jahr, vor 200 Jahren wurde er geboren, knapp 60 Jahre später ist er gestorben. Dass er mit Werken wie „Schuld und Sühne“, „Der Idiot“, „Die Dämonen“ und „Die Brüder Karamasow“ nicht nur in der russischen, sondern in der Weltliteratur einen vorderen Platz einnimmt, ist unbestritten. Bestritten hingegen wurde immer wieder seine extrem schwierige Persönlichkeit.

Nun gibt es einige Biographien über Dostojewski, jene, die Andreas Guski 2018 im Beck Verlag herausgebracht hat, ist nicht nur in ihrer Ausführlichkeit exzellent. Klaus Trost – es ist sein erstes Buch, das auf langjähriger Beschäftigung mit dem Dichter basiert – nimmt sich nun einen Teilaspekt her. Es geht ihm um Dostojewski und die Liebe, sprich: konkret um die Frauen, die in seinem Leben durch- oder vorbei marschierten (da ist er offenbar enorm gründlich), aber sein Thema ist auch grundsätzlich  die Einstellung des Dichters zur ganzen Problematik, theoretisch und praktisch.

Klaus Trost geht biographisch-chronologisch vor, allerdings setzt er seine Schwerpunkte so, dass bedeutende Ereignisse in Dostojewskis Leben (die Ermordung des Vaters, das Schockerlebnis der Schein-Hinrichtung) fast beiläufig nebenbei bleiben. Besser kommen die männlichen Freunde weg, nicht zuletzt, weil sich über diese Bekanntschaften meist Frauengeschichten knüpfen ließen. Die Werke des Dichters, möglicherweise doch das Hauptthema seines Lebens, kommen bis auf Erwähnungen am Rande nicht vor. Es ist letztendlich das Gefühls- und Sexual-Psychogramm eines nicht sehr langen Lebens (1821 – 1881) geworden.

Das Thema „Frau“ erlebte sich zuerst an einer Mutter, die dem Vater völlig untertan war, wie es das Frauenbild nicht nur im Russland der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts vorgab. Weniger wichtig die Schwestern (erst im späteren Leben tritt Wera hervor). Und vielleicht muss man für den „Teenager“ Dostojewski George Sand besonders erwähnen. Er erfuhr die Schriftstellerin, die in Europa als Rebellin gilt, als Verfasserin romantischer Liebesromane, die ein hingebungsvolles Frauenbild transportierten, das Dostojewski sehr beeindruckte. Gleichzeitig begann er sich in Kreisen der russischen Intelligenzija zu bewegen, wo die Situation der Frau besonders diskutiert wurde. Viele Anregungen holte man sich im streng reglementierten Zarenreich aus dem Ausland: vor allem die Werke des Franzosen Charles Fourier, der sich für die Gleichberechtigung der Frau einsetzte (was nach und nach auch einige Russinnen mit Hilfe von Bildung zu leben suchten), hatte großen Einfluß auf Dostojewski . Nebenbei befasste er sich romantisierend mit der Idee der „Besserung“ der Prostituierten, die ihm nicht nur theoretisch im Kopf herum gingen.

Vor allem aber zeichnet Trost das Bild eines hyperhysterischen Mannes, ungeduldig und unleidlich den Mitmenschen gegenüber, von steter Geldnot geplagt, nicht nur um Einkommen, sondern auch um Ruhm kämpfend, und von dem brennenden Bedürfnis getrieben, geliebt zu werden. Er verliebte sich in verheiratete Frauen, die er verklärte (während Kollege Turgenjew etwa Dostojewskis angebetete Jewdokija Panjewna einfach nur für „grob, beschränkt, böse, launisch, kokett“ erachtete, was die Illusionen erahnen lässt, die Dostojewski sich machte…). Der „aus dem Nichts geborene Held der gehobenen literarischen Gesellschaft“, wie Klaus Trost ihn nennt, gab sich mit Prostituierten („Mariechen“) ab, um sie umzuerziehen – sehr zum Kopfschütteln der Umwelt. Auch schadete er mit seinem „liederlichen Lebenswandel“ seiner das ganze Leben lang schwankenden Gesundheit, die schließlich immer wieder von schweren epileptischen Anfällen zusätzlich zerrüttet wurde. Andererseits recherchierte der Autor, dem die „Erniedrigten“ des Lebens so wichtig waren, quasi vor Ort…

Viele Frauen paradieren in kürzeren oder längeren Kapiteln durch das Leben von Dostojewski, ihre Bedeutung waren unterschiedlich, am Ende kristallisieren sich zwei Ehefrauen und eine Art von unsterblicher Geliebten heraus. Daneben gab es etwa eine Schauspielerin (Alexandra Schubert), eine bucklige Salonière mit „schöner Seele“ (Jelena Stakenschneider), eine schöne, gebildete Frau, die nicht bereit war, ihm ihr Leben zu widmen (Anna Wasiljewna Korwin Krukowskaja), eine abenteuerlustige, selbständige Sechzehnjährige aus niedrigen Milieu (Elizaweta Andrejewna Chlebnikowa, die sich mit einem Amerikaner verheiratet Martha Brown nannte) und viele mehr – wer zählt die Namen? Jedenfalls abwechslungsreiches „Anschauungsmaterial“ für einen Mann, der sich vorgenommen hatte, die Frauen zu studieren…

Als Dostojewski Maria Issajewna kennen lernte, war sie noch verheiratet. Als sie Witwe wurde, drängte er sie zur Heirat. Schließlich war die Ehe in seiner Vorstellungswelt ein Teil des Lebens, der Glück verhieß. Aber Maria war eine schlechte Wahl, brachte nicht nur einen nichtsnutzigen Sohn, sondern auch einen Liebhaber in die 1857 geschlossene Ehe mit, an dem sie festhielt, dazu hohe finanzielle Ansprüche an einen Mann, der nie Geld hatte, und ein unfreundliches Wesen. Die Ehe, in der die beiden Beteiligten einander mehr mieden, als dass sie zusammen gewesen wären, war eine Katastrophe, bis die Gattin 1864 an Schwindsucht starb.

Da hatte Dostojewski sich längst in die nervenzerreißendste Beziehung seines Lebens verstrickt. Apolinaria Prokofjewna Suslowa, Polina genannt, war eine fortschrittliche, selbständige, intellektuelle Frau, die Dostojewski gewissermaßen bis zu seinem Lebensende nicht los ließ. Sie unternahm mit ihm seine Europa-Reisen, die im Grunde nur dazu dienten, seiner Spielleidenschaft zu frönen: In Russland waren Kasinos verboten, in Deutschland nicht – Wiesbaden, Baden-Baden, Bad Homburg zogen den „Spieler“ Dostojewski unwiderstehlich an, der nicht aufhören konnte, bevor er nicht seine letzte Kopeke verloren hatte…

Polina ist die wohl ausführlichste Geschichte, die seiner zweiten Gattin die tragischste – von ihrem Standpunkt nämlich. Denn Anna Grigorjewna Snitkina, 25 Jahre jünger als der Dichter, eine leidenschaftliche Verehrerin seiner Kunst, leistete Ungeheures an Selbstverleugnung, Aufopferung, Schwerarbeit, um Dostojewski von ihrer Heirat an (1867) bis zu seinem Tode (1881) über die Runden zu bringen. Sie gebar ihm Kinder, führte den Haushalt, kämpfte ums Geld und gegen Polina, stellte sich immer schützend vor ihn, nahm einfach alles hin (und verherrlichte den Gatten noch nach seinem Tod).

Der Autor schildert das in aller Ausführlichkeit, beschönigt nichts an der gnadenlosen Rücksichtslosigkeit des Mannes: So ging sie, von des Tages Arbeit erschöpft, früh ins Bett; er kam in den frühen Morgenstunden, weckte sie und stellte ihre Verfügbarkeit für Sex dabei nie in Frage.  Irgendwie war einem Dostojewski schon das ganze Buch hindurch nicht wirklich sympathisch  – und hat sich auch in einer für ihn idealen Ehe nicht zu einem besseren Menschen gewandelt… Man kann sich nur trösten: Er war ein großer Dichter.

Das Buch ist mit Zeichnungen der Frauen (vermutlich angelehnt an Fotos und Stiche) bereichert, diskret, in wenigen Strichen, wirkt kaum eine von ihnen spektakulär. Interessant war so manche. Am Ende hat der Autor das Urteil Sigmund Freuds bestätigt: „Achten Sie auf Dostojewskis Hilflosigkeit angesichts der Liebe.“

Renate Wagner

 

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