Klaus Rosen:
ATTILA. Der Schrecken der Welt
Eine Biographie
320 Seiten, Verlag C.H.Beck, 2016
Der Name ist zum Synonym geworden. Wer „Attila“ sagt, meint Zerstörung. So steht der Hunnenkönig mehr als eineinhalb Jahrtausende nach seinem Erdendasein noch heute im Bewusstsein der Nachwelt. Ein Historiker von heute, Klaus Rosen (emeritierter Professor für Alte Geschichte in Bonn), sieht in seiner neuen Biographie nicht die Figur allein. Woher er kam, wohin er „ging“ nach seinem Tod, das nimmt breiten Raum ein.
Tatsächlich kommt Attila als Person in den ersten hundert Seiten eines Buches von 320 Seiten überhaupt nicht vor – so lange befasst sich der Autor mit den Hunnen an sich, ihren Ursprüngen, ihrer Fassbarkeit in der Geschichte, mit den Schilderungen der Zeitgenossen. „Der Schrecken der Welt“, wie der Untertitel der Biographie lautete, war nicht erst Attila selbst, in ihm kulminierte nur, was die Hunnen bedeuteten – Reitervölkerschaften, die vermutlich vor der Kälte aus dem Norden Asiens südlich geritten waren, und die, als sie entdeckten, dass es wohlhabende, sesshafte Völker gab, die man überfallen, töten und berauben konnte, nicht mehr zu halten waren.
Aber eigentlich beginnt der Autor am Anfang des Buches noch „später“, nämlich in uns nahen Zeiten, wo der Begriff „Hunne“ dann auf jene angewendet wurde, die man hasste, fürchtete und verachtete – die Franzosen verwendeten ihn für die Deutschen im Ersten Weltkrieg, und es verwundert nichts, dass Hitler gar nichts dagegen hatte, immer wieder Vergleiche mit Attila heranzuziehen, wenn er etwa die Gefahr aus dem Osten charakterisierte.
Die Hunnen, die in den „Völkerwanderungs“-Jahrhunderten aus dem Osten kamen, Lawinen von Reiternomaden, anfangs unter keiner Herrschaft geeint, hatten wohl die schlechteste Presse der Welt – ihre Hässlichkeit, ihre Grausamkeit wurden ausführlich geschildert, und es war vor allem ihre Unberechenbarkeit, die Europa (dem bereits in West- und Ostrom geteilten Herrschaftskomplex, von vielen vazierenden Völkern umgeben) Angst machte.
Diese Hunnen (von den Historikern ihrer Zeit gelegentlich auch mit den Skythen in einen Topf geworfen) hatten auch keine Religion, waren also nicht zu verorten, sie nahmen keinen Pflug in die Hand, sie ritten auf ihren Pferden, schossen aus ihren Bögen wie die Teufel und waren von unersättlicher Gier nach Gold gekennzeichnet. Furchtlos, ausdauernd, abgehärtet, treulos, maßlos in allem (angeblich auch im Würfelspiel), grenzenlos blutgierig – auch heute würde sich Europa angesichts solcher Horden vor Angst krümmen. An die hundert Seiten lang, wie gesagt, kann der Autor die Hunnengefahr schildern.
Unterschiede gab es auch bei ihnen, einige Stämme waren jene der „Königshunnen“, aber der Titel kam erst nach längerer Zeit auf: Um 400 war Uldin der erste, den man „König“ nannte, und wenig später etablierte sich etwas, das an sich typisch sein sollte, nämlich das hunnische Doppelkönigtum – so, wie die Römer zwei Konsuln bestellten, um Kontrolle auszuüben und absolute Macht zu verhindern, ging mit Octar und Rua die Herrschaft erstmals an zwei Brüder. Die nächsten Bruder-Herrscher, Attila und Bleda, waren dann Nachkommen eines dritten Bruders, und als sie sich die Macht nahmen, schalteten sie schnell ein anderes Bruderpaar der Familie, das dieselben Rechte gehabt hätte, aus. Und dann ließ Attila bald Bleda ermorden, um zur Alleinherrschaft aufzusteigen…
Im Grunde kann natürlich Autor Klaus Rosen (wie alle Attila-Biographen) als Augenzeugen der Attila-Herrschaft nur auf den Geschichtsschreiber Priscus zurückgreifen, der am Hof des Hunnenkönigs gewesen war und ihn von Angesicht und Angesicht beschreiben konnte. Aus zahlreichen anderen Quellen speist sich die „politische“ Geschichte dieses Mannes, der sich zum gefürchteten Gegner von Westrom wie Ostrom aufschwang, der schließlich bei seinem Gallien-Feldzug im Jahre 452 auf den Katalaunischen Feldern zwar eine Schlacht, aber keinesfalls seine Macht verlor, der im Jahr darauf in Oberitalien stand, offenbar bereit zum Marsch auf Rom.
Es gibt in der Geschichte Attilas ein paar „Gustostückchen“, die sich über die strenge Geschichtsschreibung hinaus verwerten ließen – dass Honoria, die Schwester von Kaiser Valentinian, sich selbst Attila als Gattin anbot (der sie nur genommen hätte, wäre das halbe Reich als Mitgift dabei gewesen), zählt dazu, vor allem aber die immer wieder zitierte Geschichte, wie Papst Leo I. zu Attila kam, um ihn zum Rückzug zu bewegen, was ihm mit göttlicher Hilfe gelang.
Klaus Rosen, der mit allen Spekulationen unaufgeregt (oder gar nicht) umgeht, hat hier eine absolut überzeugende Begründung für den Rückzug zu bieten: Der immer um die Anerkennung seines Ranges besorgte Attila war zufrieden, dass der Papst selbst zu ihm kam. Die Wagen der Hunnen waren so voll von Beute, dass es ihnen nur darum gehen konnte, sie endlich nach Hause zu bringen, statt sich in weitere Kämpfe zu verwickeln. Und Attila, nachdem er sich mit Westrom auseinander gesetzt hatte, wünschte nichts dringlicher, als nun gegen jenen neuen Kaiser in Ostrom, Marcianus, aufzubrechen, der ihn beleidigt hatte, indem er im Gegensatz zu seinem schwächlichen Vorgänger Theodosius II. Tributzahlungen verwehrte…
Ein ewiges Stück der Attila-Legende ist der unrühmliche Tod des Herrschers im Jahre 453 bei seiner Hochzeit mit einer Germanenprinzessin – ob er, gänzlich betrunken, an Nasenbluten erstickte; ob die Dame ihm Gift gab oder ihn erdolchte (was sie wohl nicht überlebt hätte, aber man erfährt gar nichts mehr von ihr), Rosen lässt sich auf Dinge, die wir nie wissen können, ebenso wenig ein wie auf die Suche nach Attilas Grab, die seither (fast so „spannend“ wie die Suche nach dem ebenfalls verschollenen Alexander-Grab) weniger Wissenschaftler als Schatzsucher und Trivialautoren beschäftigt hat.
Das ist eine Biographie, die nur reflektiert, was man weiß. Dazu gehört, dass Attila als Persönlichkeit so singulär war, dass das gewaltige Hunnenreich, das er geschaffen hatte, innerhalb weniger Jahre nach seinem Tod unter seinen persönlichkeitsschwachen Söhnen verfiel – und die Hunnen vom Angesicht der Erde verschwanden, eingesickert in eine Sesshaftigkeit, die ihnen fremd gewesen war.
Möglicherweise vermisst man an dem Buch ein Kapitel, das man als „Psychogramm“ Attilas erhoffen wollte, die versuchte Interpretation dessen, was diesen Mann antrieb, was in seinem Kopf vorging. Aber vermutlich könnte das nur Küchentischpsychologie sein, wenn man nicht fachmännisch (vom Standpunkt der Verhaltensforschung) versuchte, die Prägung, die Zeit, die Taten und die vorhandenen Schilderungen von Zeitgenossen zusammen zu bringen. Vielleicht geschieht es in einem anderen Buch.
Für Klaus Rosen ist mit Attilas Tod auf Seite 247 die Geschichte noch lange nicht zu Ende – das Nachleben, ob im Nibelungenlied, ob als Schimpfwort (man hat Napoleon als „Attila“ bezeichnet), ob als Opernheld von Verdi oder bei den Historikern, da gibt es noch einiges zu erzählen. Fasziniert hat der Hunnenkönig viele. Bewundert haben ihn wohl wenige – am ehesten noch die Ungarn, die sich als Nachfahren der Hunnen fühlen und bei denen Attila ein nach wie vor beliebter Vorname ist…
Renate Wagner