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Klagenfurt : DER FREISCHÜTZ oder „AGATHE GET YOUR GUN“ von C.M.Weber

19.09.2012 | KRITIKEN, Oper

Klagenfurter Stadttheater   18.9.2012

 

 

DER FREISCHÜTZ oder „AGATHE GET YOUR GUN“   Musical von C.M.Weber

 Sie langt schon auch mal zur Flinte, Aga, die schöne Försterstochter, um sich ihre Freier, allesamt ausgekochte Jungs aus diesem Südstaatenkaff vom Leib zu halten. Während sie auf ihren Verlobten wartet, sandelt dieser inzwischen bei einem schmierigen Drogendealer ab. Max, denn so heißt der Junge, bis aufs Blut von der Südstaatlergang wegen seiner lächerlichen Schießkünste malträtiert, durchlebt im Drogenrausch die albtraumhafte Begegnung mit hässlichen Zombies, phantasiert sich in einem echten Höllentrip runter in eine Wolfsschlucht, in welcher es ihm gelingt, zusammen mit seinem neuen Kumpel Casper treffsichere Munition zu erlangen.

Inzwischen winden die kesse Ann und eine Schar Playboy-Bunnys der Agi schon den Jungfernkranz, denn beim Preisschießen will Max die schöne Aga ja gewinnen. Eine exotische Schar von Dorfbewohnern, allesamt Preisträger im Kostümwettbewerb des Life-Balls, singen irgendetwas von Waldeslust, ehe der vom Drogenrausch noch mitgenommene Max jenen Schuss abgibt, der, abgelenkt vom Dorfautisten, dem schlimmen Dealer den Garaus und Aga zu seiner Braut macht. Dass das Stück mit den Tötungsphantasien des Max endet – er knallt alles auf der Bühne nieder, allerdings nur virtuell, also leise – und lässt nur Aga entkommen, bringt uns um das versprochene Happyend.

Hinter unserer Reihe hörte ich zu letzt einen etwa Siebzehnjährigen zu seinem Vater sagen: „Da hätte ich aber jetzt schon noch einige Fragen“. Nun, der Arme hat sich nur für das falsche Stück eingelesen, warum liest er auch etwas über die Oper

 „DER FREISCHÜTZ“

 von Carl Maria von Weber, die ist diesmal einer Phantasienorgie zum Opfer gefallen. Lassen wir einmal den guten, alten Weber beiseite. Wieder einmal wurde einem Stück eine Lesart, eine Auslegung, eine Version, eine Deutung oder wie immer sich Regisseure damit ausreden, unterlegt oder besser übergestülpt, diesmal sind es US-Reiseerfahrungen von Anna Bergmann, der Regisseurin, die das Böse dabei verortet hat im amerikanischen Südstaatenmuff, in der geistigen Enge ritualisierten Waffen- und Gewaltkults, gepaart mit Religiosität, Grausamkeit und Aggression. So liest sich das etwa im Programmheft und das zeigt sie bis zur mehr als grusigen Wolfsschluchtszene auch als gekonnte Phasmagorie, als spannendes Theater inszeniert, während der Rest eher in verblödeltem Aktionismus versinkt. Alles sahen wir an diesem Abend, nur nicht den „Freischütz“ von Weber oder zumindest einen, allen herkömmlichen Romantizismen und Waldidyllen entbehrenden, in dem die musikalische Seite daher zu oft sinnentleert in den Raum tönte.

 Alexander Soddy wurde mit dem sehr gut aufspielenden Kärntner Sinfonieorchester auch dem Romantischen des Komponisten gerecht und traf manchmal mit geschärfterem Ton sogar hervorragend die wilde Jagd durch die Wolfsschlucht. Ein Extralob an Chor und Extrachor des Stadttheaters, die müssen ja schon bei der Maskierung und Einkleidung ihren Spaß gehabt haben, denn Claudia Gonzàles Espíndola ließ bei den Kostümen ihrer Phantasie freien Lauf.

 Ein Extralob allen Solisten für ihren schauspielerischen Einsatz, allen voran Celine Byrne als Agathe mit fein gesponnenem Schmachten in ihren Soli und manchmal etwas schrillen dramatischen Ausbrüchen. Eva Liebau war das kokette, schon mit einem Baby gesegnetem Ännchen, ihr leichter, durchschlagkräftiger Sopran ist nur manchmal nicht frei von einer nasalen Färbung. Das Böse ist überall, aber vor allem in der Stimme von Martin Winkler als Kaspar, der eine beklemmende Darstellung abliefert. Den Max, dem am Ende so locker die Pistole sitzt, gibt mit auch stimmlich großem Einsatz Stephan Rügamer. Mit Ottokar und Kuno sind Peter Mazalán und Holger Ohlmann ausreichend aber wenig textdeutlich besetzt, der Dorfautist, der zum Eremiten mutiert singt David Frédéric Steffens stimmschön, den Kilian gibt Patrick Fabian Vogel. Alle anderen Darsteller, Statisten oder Brautjungfern seien hier ausdrücklich für ihre ungeheure Spielfreude erwähnt.

Zuletzt bleibt die Frage offen, ob der Siebzehnjährige hinter uns über Ideen und Launen heutiger Intendanten und Regisseure genug aufgeklärt wurde. Ob er es verschmerzen wird, Opern nie mehr so sehen zu können wie sie einst gemeint waren, wie theatralische Phantasie einer Arroganz gegenüber dem Publikum unterliegen muss, wie die Selbstverwirklichung von Regisseuren und, wie bei Intendanten solcher Kleinstadtbühnen, der Drang nach fragwürdigem Renommee sogar mit Unterstützung durch öffentliche Gelder gefördert wird.

Peter SKOREPA   19.9.2012

Foto: Stadttheater Klagenfurt

 

 

 

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