Taras Shevchenko Ukraine National Opera Kiew MADAMA BUTTERFLY 1.11. 2013
Das Opernhaus. Foto: Harald Lacina
Die Geburtsstunde der Kiewer Oper war das Jahr 1867. Das alte hölzerne Opernhaus brannte jedoch schon 1896 ab und so wurde in den Jahren 1898 bis 1901 ein neues steinernes Stadttheater nach den Plänen des deutsch-baltischen Baumeisters Viktor Schröter (1839-1901) in einer Mischung aus Barock und Neuromantik und einer prächtig verzierten Fassade im Stil der Neorenaissance errichtet. 1897 erhielt Schröters Arbeit in einem internationalen Wettbewerb den ersten Preis. Seit 1939 trägt das Opernhaus den Namen des bedeutendsten ukrainischen Lyrikers, Taras Shevchenko (1814-1861), dessen Büste über dem Eingang angebracht ist. 1988 wurde das Theater renoviert und nun finden bis zu 1650 Besucher auf fünf Rängen Platz.
Von den Eintrittspreisen kann man hier zu Lande nur träumen. Die teuerste Karte kostet 200 Griwna (etwa 21 Euro), die billigste 10 Griwna (etwa 1,10 Euro). Das reich bebilderte Programmheft 10 Griwna. Allerdings sind die Namen der Mitwirkenden nur in ukrainischer Sprache angeführt, weshalb ich gleich vorweg Abbitte für etwaige Fehler in der Transkription leisten möchte. Dafür findet sich aber eine englische Inhaltangabe für ausländische, des Werkes unkundige Besucher. Und oberhalb der Bühne rechts werden ukrainische Übertitel eingeblendet. Gespielt wurde die dreiaktige Fassung in italienischer Sprache. Beginn ist um 19 Uhr. Und die letzten Besucher betreten noch etwa 25 Minuten nach Beginn der Vorstellung ungeniert den Zuschauerraum.
Mir wurde erklärt, dass viele Besucher aus den Vororten kommen würden und im Stau steckten. Außerdem würde ein Arbeitgeber sie wegen eines Theaterbesuches nicht früher entlassen. Ich wollte dieses Problem nicht weiter vertiefen. Andere Länder, andere Sitten. Überraschend aber die Begeisterungsfähigkeit des Publikums. Da wurde bereits nach dem Liebesduett „Vogliatemi bene, un bene piccolino“ im ersten Akt heftig applaudiert und Bravo gerufen. Und auch die Arie „Un bel di, vedremo“, die den Höhepunkt des zweiten Aktes bildet, und in der sich Butterfly die lang ersehnte Rückkehr ihres Ehemannes ausmalt, rief einen Begeisterungssturm hervor und ließ so manches Auge feucht werden. Puccini ist nicht umsonst ein Meister tränenreicher Melodien.
Im Programmheft findet sich leider keinerlei Hinweis, aus welchem Jahr die vorliegende Inszenierung stammt. Das Bühnenbild ist japanisch historisierend mit einem Pavillon zur rechten und einer kleinen stegartigen Brücke zur Linken. Als Regisseurin scheint Irina Molostowa auf.
Aus dem Orchestergraben drang ein schwelgerischer Puccinisound, der mit reichlichem Schmelz versehen, die Zuschauer und den Rezensenten begeisterte. Verantwortlich für diesen in musikalischer Hinsicht gelungenen Abend war entweder Oleg Rjabow oder Alexander Barbinsky (das Programmheft nennt zwei Dirigenten!) am Pult.
Mag man auch bekritteln, dass die Chorsänger japanisch gekleidet, aber keineswegs solcherart geschminkt waren, so gebührt dem Chorleiter Lew Wenediktow doch großes Lob für die gute Einstudierung. Natürlich werden Puristen an der italienischen Aussprache hie und da mäkeln, wenn aber an der Wiener Volksoper deutsch gesungen wird, ergeht es uns Muttersprachlern ähnlich.
Das Programmheft nennt alle Künstler, die in den jeweiligen Rollen besetzt werden und – dankenswerter Weise – werden die Protagonisten des jeweiligen Abends mit einem Haken angekreuzt. Da ich die Künstler nicht kenne, muss ich mich in meinem Bericht auf die Richtigkeit der Angaben verlassen.
Andrij Romanenko, Tetjana Charaussowa, Dmitro Grischin beim Schlussvorhang. Foto: Harald Lacina
In Tetjana Charaussowa (Тетяна ХАРАУЗОВА) stand eine äußerst dramatische Cho-Cho-San, Geishamädchen im Haus von Marineoffizier Pinkerton in Nagasaki, auf der Bühne. Berührend einfühlsam gestaltete sie den Wandel von der naiven Geisha, die an einen Aufstieg durch die Ehe mit dem Amerikaner glaubt, bis zur bitteren Erkenntnis, dass er bereits mit einer anderen verheiratet ist und nur deshalb zurückgekehrte um ihr beider Kind in eine gesicherte Heimat nach Amerika zu bringen. Mit ihrem wohl timbrierten Sopran gelangen ihr sowohl die zärtlich-lyrischen Phrasen als auch die dramatischen Ausbrüche. Brava!
Auch die Suzuki von Natalja Kisla (Наталя КИСЛА) gefiel mit warmem Mezzosopran als aufopfernde und mitfühlende Dienerin, ebenso Ljudmila Zigan (Людмила ЦИГАН) als zickige Kate Pinkerton.
Weniger gefielen an diesem Abend die Männer: Bei Andrij Romanenko (Андрій РОМАНЕНКО) als Pinkerton hatte man den Eindruck eher einen Kapitän als einen einfachen Marineleutnant der „Abraham Lincoln“ vor sich zu haben. Sein Gesang ließ zu Beginn auch keinerlei Italianità bemerken. Zu hart und schlampig wurden manche Worte ausgesprochen. Im dritten Akt steigerte er sich aber überraschender Weise, sang wie ausgewechselt und erhielt dafür auch verdienten Szenenapplaus.
Konsul Sharpless wurde rollengerecht von Dmitro Grischin (Дмитро ГРІШИН) dargeboten.
An seiner flapsigen italienischen Aussprache sollte aber auch Ruslan Tanskij (Руслан ТАНСЬКИЙ) als Heiratsvermittler Goro arbeiten. Darstellerisch machte er aber mit seiner Komik einiges wett.
Prinz Yamadori war mit Wjatscheslaw Bassir (В’ячеслав БАЗИР) sowohl im Auftreten als auch im Aussehen und Gesang äußerst würdevoll besetzt. Wahrlich furchterregend verfluchte Sergij Skubak (Сергій СКУБАК) als Onkel Bonze seine Nichte wegen ihres Übertritts zum christlichen Glauben. Die kleine Rolle des kaiserlichen Kommissärs erfüllte Igor Mokrenko (Ігор МОКРЕНКО) zufriedenstellend.
Auffallend an dieser Inszenierung war für mich vor allem das Finale: Als sich Butterfly mit ihrer Todesarie „Con onor muore“ hinter einem Paravent tötet und diesen umreißend schließlich tot nach vorne fällt, eilt ihr Sohn, nach dem dreimaligen „Butterfly-Ruf“ von Pinkerton, schutzsuchend in die Arme seines Vaters, den er ja eigentlich persönlich noch gar nicht kennt.
Von wem die Kostüme und das Bühnenbild stammen konnte dem ukrainischen Programmheft leider nicht entnommen werden.
Ausgiebiger Applaus beendete einen gelungenen Opernabend in einem architektonisch wunderschönen Theatergebäude.
Harald Lacina