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KASSEL: Neuer Intendant Florian Lutz stellt seine erste Spielzeit 2021/22 vor

29.05.2021 | Allgemein, Themen Kultur

KASSEL: Neuer Intendant Florian Lutz stellt seine erste Spielzeit 2021/22 vor
(von Werner Häußner)

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Florian Lutz und sein Team. Foto: Marina Sturm

Der erste Frühlingstag im Mai ließ den weiten Platz vor dem Staatstheater Kassel in üppigem Sonnenlicht strahlen. Und auch drinnen im Großen Haus standen die Zeichen auf Aufbruch. Der neue Intendant Florian Lutz stellte mit seinem Team das Programm des Fünf-Sparten-Hauses für die kommende Spielzeit 2021/22 vor. Der Neuanfang verdient besondere Beachtung: Lutz hat ab 2016 an der Oper Halle mit großen Ambitionen neue Formen des Musiktheaters positioniert, mit den „Raumbühnen“ Sebastian Hannaks – der dafür 2017 den Theaterpreis DER FAUST erhielt – die Guckkastenbühne überwunden, innovative Formen der Partizipation des Publikums ermöglicht und mit Uraufführungen und ehrgeizigen Projekten, etwa zu Giacomo Meyerbeers „L’Africaine“, die Oper Halle zu einem wenn auch nicht unumstrittenen Leuchtturm in der Opernlandschaft entwickelt. In Halle stieß er damit nicht nur auf Gegenliebe: Nach Konflikten mit dem Geschäftsführer der TOOH (Theater- Oper und Orchester GmbH Halle) und Angriffen aus dem Orchester verließ Lutz das Haus vorzeitig zum Ende der Spielzeit 2020.

Mit einem ähnlich herausfordernden Auftritt will der 1979 in Köln geborene Opernregisseur nun in Kassel überzeugen: Auf fünf Jahre verpflichtet, hat er jetzt die Zeit und offenbar auch den Rückhalt der Stadt, um seine Ideen und die Innovationskraft seiner Mitarbeiter (und *innen; bei der Pressekonferenz wurde eifrig gegendert) nachhaltig programmatisch umzusetzen. Offenheit, Vielfalt, Vernetzung, Öffnung zur Stadtgesellschaft, Chancengleichheit, Diversität, Zusammenarbeit mit lokalen Akteuren und mit großen Kooperationspartnern wie einem Max-Planck-Institut oder der Ruhrtriennale: Was sonst oft nur Schlagworte aus Intendanten-Bewerbungen oder Dramaturgen-Sprech sind, spiegelt sich im 360 Seiten dicken Programmbuch in noblem Schwarz-Silber-Design eindrucksvoll wider.

Für den Bereich des Musiktheaters, das Lutz gemeinsam mit dem kürzlich erst bis 2025 weiter verpflichteten GMD Francesco Angelico leitet, kündigt Kassel einen ausgewogenen Mix von Repertoire, Uraufführungen und Musiktheaterprojekten an. Die Saison beginnt – sofern sich die Pandemie-Lage weiter normalisiert und ein ungestörter Spielbetrieb möglich ist – mit einem Doppelschlag: In der von Sebastian Hannak geschaffenen Raumbühne „Pandaemonium“ (mit dem Orchester in der Mitte) inszeniert Florian Lutz Alban Bergs „Wozzeck“ am 24. September 2021; einen Tag später folgt dort Giacomo Puccinis „Tosca“, in Szene gesetzt von Sláva Daubnerová. Beide Abende dirigiert Francesco Angelico.

Lutz versteht das Musiktheater als einen Ort des gesellschaftlichen Diskurses. In beiden Opern und in dem aus Halle übernommenen Musical „Cabaret“ (Premiere 23. Oktober) sieht Lutz Stücke, die „dem Staat streng auf die Finger“ schauen und den Konflikt des Individuums mit dem Staat oder dem Missbrauch staatlicher Gewalt thematisieren. In diese Perspektive passt auch die erste Premiere mit der klassischen „Guckkasten“-Bühne, Carl Maria von Webers vor 200 Jahren uraufgeführter, zur „Nationaloper“ stilisierter „Freischütz“ (die Regie führt kein Geringerer als Ersan Mondtag) und ein Musiktheaterwerk mit einer auch politisch revolutionären Wirkung, Daniel François Esprit Aubers „La Muette de Portici“ in der Regie von Paul-Georg Dittrich, die 1828 der „grand opéra“ den Weg bereitete (9. April 2022). Ergänzend dazu im Spielplan: Brecht und Weills „Dreigroschenoper“ in der Regie von Martin G. Berger (Premiere am 19. März 2022) und Bachs Weihnachtsoratorium als „partizipatives Musiktheater“ in einer Regie von Jochen Biganzoli und einem mitsingenden Publikum (5. Dezember 2021).

Eine Oper von Felix Leuschner eröffnet am 4. Juni 2022 eine Serie von geplanten Uraufführungen – je eine pro Spielzeit. „Blitze sprechen deutsch“, eine „Geschichte zwischen Oper, Thriller und politischem Fall“, entwickelt auf ein Libretto von Dietmar Dath, einem Journalisten, Science-Fiction-Autor, philosophischem Romancier und dezidiertem Marxisten. Bemerkenswert: Der Kompositionsauftrag wird durch die renommierte Ernst von Siemens Musikstiftung finanziert.

Zum Abschluss der Spielzeit und als Beitrag zur documenta 15 entwickeln der isländische Regisseur Thorleifur Örn Arnarsson und die Künstlerin Anna Rún Tryggvadóttir gemeinsam mit dem Bühnenschöpfer Sebastian Hannak und dem Kameramann und Videokünstler Frank Lamm ein interdisziplinäres Großprojekt, an dem die Sparten Musiktheater, Schauspiel und Tanz sowie Orchester und Chor unter der musikalischen Leitung von Mario Hartmuth beteiligt sind. „Temple of Alternative Histories“, so der Titel, untersucht auch mit Hilfe kreativer digitaler Technologien kollektive Ursprungsmythen, etwa das komplexe metaphorische System des „Rings des Nibelungen“, und fragt nach einem „alternativen Narrativ für die Beziehung zwischen Mensch und Natur“.

Kassels „Ring“, der zum Höhepunkt der Ära des scheidenden Intendanten Thomas Bockelmann werden sollte und weitgehend der Pandemie zum Opfer gefallen ist, hat eine Chance, in einer späteren Spielzeit wieder aufgenommen zu werden; ebenso bleibt die szenisch wie musikalisch packende „Annäherung an La Traviata“ von Carlo Ciceri unter dem Titel „L’ultimo sogno“ in der sensiblen Regie von Bruno Klimek für eine eventuelle Wiederaufnahme im Bestand.

Die Serie der neun Sinfoniekonzerte eröffnen Francesco Angelico und das Staatsorchester am 11. Oktober 2021 mit dem Ersten Violinkonzert von Karol Szymanowski Solist: Razvan Hamza) und der Ersten von Gustav Mahler. Insgesamt stehen 32 Konzerte auf dem Programm; den Schwerpunkt bildet ein Brahms-Schumann-Zyklus, u. a. mit Schumanns „Manfred“ und dem „Deutschen Requiem“. Das Tanztheater setzt unter seinem Direktor Thorsten Teubl in seinen 10 Projekten – darunter sieben Uraufführungen – auf die Vielfalt choreografischer Handschriften und auf „neue partizipative und performative“ Formate. Eröffnet wird die Tanzspielzeit mit einem „Schwanensee“-Projekt am 26. September 2021 im Schauspielhaus von United Cowboys und Roni Chadash. Die beiden Produktionen im Opernhaus sind Uraufführungen: „Janus“ von Noa Wertheim (25. Februar 2022) und am Welttanztag, 29. April 2022, „I spada lekko cialo moje / My body falls lighter“ des polnischen Choreographen Maciej Kużmiński, der es versteht, philosophische Themen kraftvoll körperlich in Szene zu setzen.

Info: www.staatstheater-kassel.de

Werner Häußner

 

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