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KARLSRUHE: ROMEO UND JULIA AUF DEM DORFE von Frederick Delius. Premiere

29.01.2012 | KRITIKEN, Oper

Karlsruhe

„ROMEO UND JULIA AUF DEM DORFE“ 28.1. (Premiere) – Liebestod im Boot:


Freiheit oder Tod? Stefania Dovhan (Vrenchen) und Carsten Süss (Sali) mit Armin Kolarczyk (Schwarzer Geiger). Fotograf: Jochen Klenk

 Die neue Intendanz am Badischen Staatstheater begann ihre Reihe von vergessenen Meisterwerken des 20. Jahrhunderts mit der 1907 an der Komischen Oper Berlin uraufgeführten Vertonung von Gottfried Kellers namhafter Novelle durch den britischen Komponisten Frederick Delius, dessen 150. Geburtstag genau am Wochenende dieser Premiere gefeiert werden konnte. Der deutschstämmige Komponist wurde musikalisch durch persönliche Begegnungen mit Edvard Grieg und Claude Debussy sowie die Ehe mit einer Malerin maßgeblich zu seiner farbreichen Tonsprache und Stimmungstransparenz beeinflusst und erwies sich dadurch als ebenbürtiger Schöpfer für die malerisch detaillierte Ausdruckskraft des Schweizer Dichters. Vielmehr noch: anstatt sich in Kellers von wortreichen atmosphärischen Naturschilderungen eingekleideter Erzählung zu verlieren, beschränkte er sich in den knapp gefassten Gesangstexten aufs Wesentliche und gab den werkbestimmenden Gefühlswelten des Hauptpaares wie auch den sie umgebenden Naturimpressionen in rein instrumentalen Abschnitten und Szenen-Überleitungen großzügigen symphonischen Raum.

So wie die Mitte des 19. Jahrhunderts verfasste Novelle eine Gegenwartsgeschichte ihrer Entstehungszeit behandelt, ließ auch Delius die wichtigsten Strömungen zu Beginn des 20. Jahrhunderts in seine Bühnenversion einfließen. Und die Karlsruher Inszenierung wiederum realisierte das eigenwillige Oeuvre mit einer auf die wichtigsten Elemente konzentrierten Zeitlosigkeit, die den  wertvollen Grundgedanken einer Liebe, die wertvoller ist als jedes noch so kleine Vermögen, dauerhaft fürs Repertoire zurück gewinnen sollte. Dazu trägt sicher auch die Tatsache bei, dass Arila Siegert  als renommierte Tänzerin und Choreographin aus der Dresdner Palucca-Schule eine gelöst bewegliche Körpersprache mitbringt, die den Schwebezustand der Handlung zwischen äußerer Realität und innerem Befinden besonders auch in den orchestralen Zwischenspielen ohne Durchhänger auszufüllen vermag und zu Bildern von bezwingender Magie findet. Denn die an Shakespeares berühmtes Liebes-Drama angelehnte Geschichte spielt sich hier im ländlichen Rahmen eines fiktiven Schweizer Dorfes namens Seldwyl ohne größere äußere Konfliktsituationen von theatralischer Schlagkraft ab, gruppiert um das Bauernkinderpaar Sali und Vrenchen, die in der ersten Szene noch als spielende Kinder auftreten, nur deren Väter Manz und Marti. Diese sind nach jahrelanger Freundschaft über ein zwischen ihren Äckern liegendes Brachland aneinander geraten und haben so lange prozessiert, bis die Familien ruiniert sind und darob auch das Zusammensein der inzwischen Liebe füreinander empfindenden Kinder verboten worden ist. Ganz ohne auf ihrer Seite stehende Freunde müssen die beiden alleine und isoliert in einer Welt zurecht kommen, in der sie ob ihrer Armut nur noch den Spott des Volkes finden. Da sie sich auch dem in vollkommener Natur-Freiheit lebenden schwarzen Geiger, dem aufgrund seines gewählten Daseins enterbten Eigentümer jenes verhängnisvollen Brachlandes, nicht anzuschließen vermögen, bleibt ihnen nur der Freitod in einem aufs Wasser hinausgezogenen und langsam untergehenden Boot. Nicht nur in diesem poetischen und trotz aller Traurigkeit friedvollen Ausklang bildet das Bühnenbild von Frank Philipp Schlössmann eine für heutige Verhältnisse auffallend realistische Basis, wie sie öfter in der Oper zu wünschen wäre. Auf zwei Drehscheiben kreisen hier Wandsegmente mit und gegeneinander als Sinnbild für Lauf und Zeit, Innen- und Außenwelt wie auch als Mittel für die schnelle Verwandlung in die verschiedenen Spielorte zwischen Feld, Haus, Kirmes und Gasthaus. Marie Luise Strandts Kostüme markieren ländliche Akzente bei den Solisten und symbolisch strenges Schwarz für die Gesellschaft, die das Liebespaar in den Tod treibt. Bedrohlich umzingeln sie Vrenchen und Sali auf dem Jahrmarkt, die sich auf dem orchestral geschilderten Gang ins Gasthaus Paradiesgarten wie in einer zeitlupenartigen Sequenz den Weg durch die Menge bahnen müssen. Diese Szene, der gemeinsame Traum von einer Hochzeit, die düster lärmende Glockentöne als Illusion begreifbar machen, und der Liebestod, an dem nur die am imaginären Ufer zurück gebliebenen Schuhe noch an die Selbstmörder erinnern, bilden die Höhepunkte dieser im besten Sinne werkgerechten Inszenierung und sind auch musikalisch die eindringlichsten Momente, denn dort wo das Orchester zum alleinigen Ausdrucksträger wird, entfaltet die Musik ihre berückendsten, innigsten wie auch klangreichsten Facetten. Dort blühen auch Melodien, während die Gesangsparts eher sachlich nüchtern, teilweise emotionslos darüber liegen oder sich einen Weg durch den Klangteppich bahnen. Die Herausforderung für die intonatorisch durchweg sichere Badische Staatskapelle besteht darin, den überwiegend filigranen Charakter der Partitur trotz einer großen Besetzung zu erreichen. Diesbezüglich musste sich bei der Premiere erst einiges auch rhythmisch gesehen einpendeln, um die beschworene Faszination der Komposition hörbar zu machen. Mit zunehmender Dauer steuerte GMD Justin Brown den Apparat sicherer zu einem klaren Ineinandergreifen der Gruppen und zu einer Grundlage, auf der sich die Solisten ohne zusätzliche Kraft durchsetzen konnten. Zumal es für das Hauptpaar im Interesse ihrer Jugend und der Glaubwürdigkeit eines eher introvertiert lyrischen Wesens und Verhaltens keiner großen üppigen Stimmen bedarf. Carsten Süss kann sich mit fest verankertem, eher farbarmem und dynamisch eingeschränktem, aber dennoch vielseitig einsetzbarem Tenor gut behaupten und mit geradlinigem Spiel als Sali ebenso unschuldig wirken wie die schüchtern zarte Stefania Dovhan als Vrenchen mit sicher geführtem Sopran, der nur in tieferen Regionen zu wenig Tragfähigkeit aufweist. Die gesamtkünstlerisch rundeste Leistung bietet Armin Kolarczyk als Schwarzer Geiger, der choreographische Beweglichkeit, das Charisma einer unangepassten Figur zwischen Faszination und Furcht und die artikulatorische und tonliche Präzision seines kernigen und flexiblen Baritons auf einen Nenner bringt.

Die beiden Väter punkten mit fülligen und höhengewaltigen Bariton-Stimmen: Jaco Venter als Vrenchens Vater Marti, der von Sali zu Vrenchens Schutz mit einem Stein niedergeschlagen und in der Folge blödsinnig wird, hat die schlankere, sauberere und expressivere Stimme; Seung-Gi Jung verfügt dagegen über ein grobkörnigeres und schwerer ansprechendes Organ. Vrenchen und Sali als Kinder werden von Larissa Wäspy mit mädchenhaftem Sopran und Tom Volz  mit einfühlsamem Knabensopran natürlich berührend verkörpert. Die kleineren Partien auf dem Jahrmarkt und die ins Jenseits geleitenden Stimmen der Schiffer sind aus dem Badischen Staatsopernchor besetzt, der diesmal szenisch mehr für sich einnehmen kann (auch dank der tänzerisch durchdrungenen Führung) als vokal gegenüber den orchestralen Wogen seiner Szenen. Die Statisterie sorgte auf der Kirmes für einige kurze artistische Einlagen.

Diese ungetrübte Revitalisierung eines vor allem inhaltlich und instrumental, weniger sängerisch, einprägsamen Werkes wurde verdient uneingeschränkt aufgenommen und mit differenzierten Ovationen gewürdigt.                                                            

Udo Klebes

 

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