Karlsruhe: „RICCARDO PRIMO“ 21.02.2014
Die Intendanz des Badischen Staatstheaters versprach zur Eröffnung der „Händel-Festspiele 2014“ ein Fest der besonderen Art und übertraf dieses Versprechen. Ganz im Stil des barocken Lebensgefühls verpflichtete man zur Realisation der Oper „Riccardo Primo“ (Georg Friedrich Händel) den französischen Regisseur Benjamin Lazar mit seinem hervorragenden Team und diese wahren Spezialisten, vermittelten somit die glanzvolle Atmosphäre dieses Zeitalters. In akribischer Präzision ließ Adeline Caron sehr detailliert die Palastmauern von Limassol erstehen, mit Zinnen, Treppen, variiert durch die Drehbühne verschoben sich die Außenwände und gaben den Blick frei auf deren Innenleben. Spiegelreflektionen eröffnen neue Perspektiven auf die putativen Gemächer und alles erstrahlt im Schein unzähliger, echter Kerzen und Fackeln und erzeugen durch die stimmigen Beleuchtungen (Christophe Naillet), im Widerschein der kleinen Flammen, Lichtspiele von besonderer, reizvoller Optik. In dieser faszinierenden, surrealistischen Schattenwelt bewegen sich die Protagonisten in sparsamer Deklamation, statuarischer Gestik und verhaltener Beredsamkeit von Händen und Armen.
Alain Blanchot schuf zu dieser wunderbaren Optik Kostüme von noch nie dagewesener Opulenz und ließ den Epos des Mittelalters, wie man es aus alten Gemälden kennt wieder auferstehen. Kurz zur Geschichte des historischen Hintergrunds: Richard Löwenherz strandet während eines Kreuzzuges vor Zypern, seine ihm noch unbekannte Braut aus Navarro ebenso. Dem Herrscher von Zypern Isacio gefällt die reizvolle Europäerin und möchte sie zur Frau, versucht seine Tochter Pulcheria dem unwissenden Richard unterzujubeln, hat jedoch die Rechnung ohne sein zunächst williges Töchterlein und dessen Liebhaber Oronte, Fürst von Syrien gemacht. Intrigenspiele, Verwechslungen führen schließlich zum glücklichen Ende und die füreinander bestimmten Paare finden sich. Händel komponierte dazu ein Werk von ungeahnter Monumentalität mit über Dreidutzend Rezitativ- und Arienabläufen.
Die Damen erschienen in kostbaren Gewändern, die Herren hüllte der phantasievolle Designer in Überwürfe und Mäntel frei nach Mosaiken aus Ravenna und Byzanz und verwöhnte das Auge mit höchst seltenen Prachtentfaltungen. Unwillkürlich kamen mir die Worte Parsifals Nie sah ich, nie träumte mir, was jetzt ich schau in den Sinn. Hier suchte und fand sich ein Meisterteam, schuf ein grandioses Gesamtkunstwerk, welches man unbedingt auf DVD der Nachwelt erhalten sollte!
Zu den optischen Reizen wurden zudem die Ohren mit akustischen, kulinarischen Genüssen verwöhnt. Am Pult des Ensembles Deutsche Händel-Solisten waltete in vorbildlicher Weise Michael Hofstetter, spielte Händel mit feinsinnigem Gespür, das seinesgleichen sucht. Hofstetter belässt es nicht bei der überwältigenden Brillanz und Musizierfreude dieses speziellen Orchesters, in mitreißender Energie versteht er es vom ersten bis letzten Ton, diese umfangreiche und farbenfrohe Partitur zu vermitteln. In überzeugender Weise spürt der versierte Dirigent verhaltene Zwischentöne auf, meidet hingegen oberflächliche Effekte und garantiert eine schwungvolle musikalische Wiedergabe. Dem präzise musizierenden Orchester entlockte er einen herrlich warmen, pastosen Streicherklang, ließ die Holzbläser betörend aufspielen, schenkte den Trompeten satte Klangentfaltung, den Trommeln eine pompöse, leicht primäre Aussage und vereinte das gesamte Instrumentarium zu transparentem, exzellenten Spiel von höchster Qualität.
Als Titelheld brillierte in den unzähligen Arien ein in Karlsruhe gern gesehener und heißgeliebter Gast Franco Fagioli. Ausdrucksstark betont der argentinische Countertenor die heldenhaften Züge des englischen Königs, beeindruckt mit seinem herrlichen Timbre, den sauberen, klaren Koloraturen, präzisem Rhythmus der Tongebungen, exzellenter Phrasierung und bester Artikulation seiner ausgewogenen, flexiblen Dreioktaven-Stimme mit den bruchlosen, atemberaubenden Registerwechseln. Im durchweg homogenen Solistenensemble glänzte bei den beiden Damen ganz besonders Emily Hindrichs, sie gestaltete die Braut Riccardos, Costanza mit erlesen timbriertem Sopran von enormer Beweglichkeit, betörend schönem Klang, fein nuancierten Stimmfacetten, traumwandlerischen Registerverblendungen, wunderschönen Höhenaufschwüngen. Zudem bezauberte die Sängerin mit dem Liebreiz einer dezenten Ausdrucksscala. Zum Klang variabler Melodien gestehen sich unzählige Male mit T´amo, si Costanza und Riccardo beim zweiten Aktfinale ihre Liebe und es erklang das wohl schönste komponierte Duett aus der Feder Händels. Diesen hohen Gesangsansprüchen konnte Claire Lefilliatre (Pulcheria) leider nicht gerecht werden, trotz stilsicherer Stimmführung, gelangen der Sopranistin ansprechende Höhenflüge sowie die anrührende Emotionstiefe des resoluten Persönchens, doch wirkten ihre Koloraturen oberflächlich aufgesetzt.
Dem intriganten Isacio verleiht Lisandre Abadie darstellerisch die hintergründige Verschlagenheit, kernig klingt der junge Bass aus Argentinien, bietet den technischen Finessen der Partie mit virilem Timbre Paroli, doch fehlt den Registern die Flexibilität. Der Oronte dagegen lag dem Countertenor Nicholas Tamagna gebührend gut in der Kehle, schlank, bestens differenziert kam die Stimme im warmen Mezzoton daher. Baritonale, weiche Dichte schenkte Andrew Finden dem Berardo.
Das Publikum folgte aufmerksam der knapp vierstündigen Aufführung, spendete reichen Szenenapplaus und die Wogen der finalen Begeisterung für alle Beteiligten einschließlich des Produktionsteams wollten kein Ende nehmen. Für alle Abwesenden, welche diese denkwürdige Inszenierung versäumten ein kleiner Trost, sie wird zu den nächsten Händel-Festspielen 2015 am 24./26./28.02. wiederholt und Liebhaber dieses Musikgenres, sollten sich dieses ungewöhnliche Kunstwerk keinesfalls entgehen lassen.
Gerhard Hoffmann