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KARLSRUHE: LA VESTALE von Gaspare Spontini. Premiere

28.01.2013 | KRITIKEN, Oper

Karlsruhe: „LA VESTALE“ – Premiere 26.01. 2013. (Werner Häußner)

 Theoretisch genießt Gaspare Spontinis Oper „La Vestale“ hohe Wertschätzung. Wagner spürte genau, dass der Italiener seine Idee der Durchdringung von Musik und Drama vorweggenommen hatte; auch Berlioz schwärmte von der szenischen Relevanz der Musik und ließ Spontinis musikalische Massenpsychologie bis hinein in „Les Troyens“ wirken. So ist es höchst verdienstvoll, dass das Staatstheater Karlsruhe endlich einmal wieder Spontinis „Tragédie lyrique“ auf die Bühne bringt und nicht, wie in dieser Spielzeit die Semperoper Dresden, nur eine konzertante Aufführung ansetzt. Gerade ins Wagner-Jahr gehört eine solche Reflexion der Wurzeln von dessen musikdramatischer Konzeption. Und dass Karlsruhe Berlioz‘ „Trojaner“ zeitgleich aufführt, zeugt von einer klugen Konzeption eines Spielplans, den die deutschen Theaterverlage zu Recht als „bestes Opernprogramm“ 2012/13 ausgezeichnet haben.

Spontini war zu seiner Zeit ein vielgefragter Mann, der beherrschende Komponist des napoleonischen Paris und ab 1817 auch des musikalischen Berlin, bewundert von Kollegen, aber auch mit Neid und Missgunst verfolgt von den Verfechtern der „Nationaloper“. Und deren Polemik war wohl ebenso am allmählichen Sinken seines Sterns beteiligt wie Spontinis Stellung als Mittler zwischen den Epochen: Zwanzig Jahre vor ihm noch triumphierten Gluck und Salieri in Paris – und deren Spuren sind in „La Vestale“ deutlich zu vernehmen. Und zwanzig Jahre nach ihm entwickelten Auber, Meyerbeer, Halévy und Rossini seinen Stil weiter – und die „Grand Opéra“ als Sensation der Zeit machte vergessen, was vorher gewesen ist.

Nun entscheiden musikhistorische Verdienste nicht über die Relevanz eines Bühnenwerks heute. Aber Spontinis Drama über die Priesterin, die zwischen ihrer ursprünglichen Liebe zu dem römischen Feldherrn Licinius und ihrer Pflicht zur sexuellen Enthaltsamkeit zerrissen wird, ist jenseits des nachrevolutionären französischen Antiklerikalismus, jenseits aller intendierten Napoléon-Propaganda, auch jenseits des schematischen Konflikts zwischen „Pflicht“ und „Neigung“ ein fesselndes Spiel um Religion und Macht, Freiheit und Pflicht, Selbstbestimmung und Akzeptanz gesellschaftlicher Vorgaben.

Die Inszenierung Aron Stiehls in Karlsruhe nimmt den Konflikt zwischen religiösen Gesetzen und individueller Freiheit auf: Immerhin gehörte im antiken Rom der Vesta-Kult zu den existenziellen Grundlagen des Staates und der mit ihm verbundenen Gesellschaft. Die Priesterin, die in einer Liebesnacht mit Licinius nicht nur gegen die moralischen Regeln verstößt, sondern auch das Vesta-Feuer erlöschen lässt, gefährdet so die Grundlagen des Gemeinwesens. Die unglückliche Frau ist aber keineswegs freiwillig in den Vesta-Orden eingetreten. Sie musste ihrem sterbenden Vater das Versprechen geben: eine fatale Mixtur aus psychologischem Druck und der latenten Drohung von Sanktionen transzendenter Mächte.

Doch statt diese enorme Spannung in ihrer ganzen Tragweite auszuschöpfen, banalisiert Stiehl die Geschichte zu einer klerikalen Moral-Soap. Die Oberpriesterin der Vesta, die ihre Untergebenen auf Keuschheit und Strenge einschwört, hat ein heimliches Verhältnis mit dem Oberpriester – und Stiehl zeigt das, wenn er vor die streng geometrisch auf einen Fluchtpunkt im tiefen Hintergrund der Bühne ausgerichteten Betonmauern der Bühne von Frank Philipp Schlößmann einen biederen Büro-Raum drehen lässt, in dem die Mächtigen ungeniert ihre erotischen Launen ausleben. So ist das also mit lüsternen Politikern und verlogenen Priestern – haben wir’s nicht schon immer gewusst?

Zur psychologischen Durchformung der Szenen, vor allem des grandiosen Duetts im zweiten Akt, fällt Stiehl dagegen wenig ein. Da hilft das Licht (Stefan Woinke) ein wenig nach, aber ansonsten wird gepflegtes Stehtheater präsentiert. Die Führung der als Handlungsträger bedeutsamen Chöre erinnert in ihrer klassizistischen Ästhetik an manche dekorative Ausschweifung eines Pier Luigi Pizzi und seines irrelevanten italienischen Opulenz-Theaters. Diesen Eindruck unterstützen die erlesenen Kostüme Franziska Luise Jacobsens: elegante römische Nonnen in schimmernden Goldtönen. Die Arrangements sind wunderschön anzuschauen, vermitteln aber keine dramatische Bedeutsamkeit – auch nicht als Inszenierungen der Macht, als die sie durchaus beklemmend funktionieren könnten.

Das Wunder des Finales, wenn sich der Schleier der sündigen Vestalin Julia von selbst entzünden und die Vergebung der Götter signalisieren sollte, entmythologisiert Stiehl gründlich: Der Oberpriester, den Stimmungen im Volk gegenüber so sensibel wie alle erfolgreichen Machthaber, legt das Feuerchen selbst und erzielt den gewünschten Effekt. Julia und Licinius sind von oben gerechtfertigt in ihrem Regelbruch und ihrer Liebe – für die der Römergeneral immerhin einen Armeeputsch riskieren würde. Dennoch gibt es kein Happy End: Das Erschießungskommando steht bereit; mit solchen Ausreißern individueller Durchsetzungskraft kann sich ein totalitäres System nicht abfinden.

Wo die Regie zwischen dekorativem Ästhetizismus und trivialer Aktualisierung pendelt, hat die Musik große Momente: Johannes Willig vermittelt nicht nur musikalische Reminiszenzen und Vorwegnahmen. Er lässt Spontini als originären Musiker seiner Zeit gelten: Weiträumige italienische Phrasierung steht in spannendem Kontrast zur bedeutungsvollen Einsicht in den dramatischen Augenblick. Wechsel in Takt und Metrum und lebendige Kleingliederung der musikalischen Architektur korrespondieren mit der groß angelegten Monumentalität der Tableaus.

Willig zeigt, wie lebendig und farbenreich Spontini sein Instrumentarium einsetzen konnte, aber auch, wie er innere Zusammenhänge herstellt. Der Dirigent und das klangbewusste Karlsruher Orchester deuten die Musik vielgestaltig: grandios erhaben, erlesen lyrisch, dramatisch geschärft, rhythmisch auf den Punkt gebracht, aber auch ergriffen melodisch – ein „moderner“ Seelenton, der kurze Zeit später von Bellini perfektioniert werden sollte. Ulrich Wagners Chöre können da nicht immer mithalten: Manchmal stört eine kurzatmige Anlage der Phrasen oder ein harscher Moment im geschliffenen Klang.

Mit Barbara Dobrzanska, dem Sopran-Star des Hauses, hat das Badische Staatstheater eine nahezu ideale Sänger-Darstellerin. Als Figur präsent, erfüllt sie auch Spontinis erhebliche Anforderungen an Beweglichkeit und Dramatik mit opulentem Klang und nur gelegentlich abrutschender Fokussierung des Tons. Katharine Tier wird in der psychologisch eindimensionalen Figur der Großvestalin in den Schattierungen stimmlicher Expression weniger gefordert. Sie muss schneidende Dominanz und eisige Linientreue zeigen, was ihr mit blitzendem Metall und gelegentlich forciertere Wucht in der Stimme auch gelingt.

Das tenorale Duo der Oper, Andrea Shin (Licinius) und Steven Ebel (Cinna) sorgen für gesangliche Höhepunkte: Shin mit dramatischem, dennoch gelöstem Ton und flexibler Phrasierung, zuverlässiger Atemstütze und glanzvoller Emission; Steven Ebel mit lichtem Klang und leichter Beweglichkeit. Dass er gegen Ende um die Position kämpfen muss, dürfte ein Problem der Tagesform sein. Die Bewunderung für Konstantin Gornys unstet polternden Bass ist schwer nachzuvollziehen; der Sänger ist stilistisch ein ziemliches Stück von der geforderten Italianitá seiner Partie entfernt. Für Florian Kontschak (Oberster Haruspex) und den stets zuverlässigen Wolfram Krohn (Konsul) hat Spontini kaum Möglichkeiten zu stimmlicher Profilierung vorgesehen.

Karlsruhe hat – wieder einmal – auf eine Oper aufmerksam gemacht, deren Rolle im Repertoire nicht ihrer tatsächlichen Bedeutung entspricht. Für das Wagner-Jahr 2013 war diese Inszenierung trotz ihrer Schwächen ein wichtiger Beitrag: Der „Meister“ ist nicht aus den Gefilden der Genies auf unsere Welt herabgesandt, sondern stützt sich auf viele Schultern, unter denen diejenigen Spontinis nicht eben die schmalsten sind.

 

 

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