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KARLSRUHE: GISELLE – Ballett. Ein Aufstieg zum Jubiläum

Karlsruhe: „GISELLE“ 17.11. 2012 (WA-Premiere) – ein Aufstieg zum Jubiläum


Stimmig liebenswertes Paar:  Elisiane Büchele (Giselle), Flavio Salamanka (Albrecht). Copyright: Jochen Klenk

Sir Peter Wrights 1966 für das Stuttgarter Ballett geschaffene, auf Petipa, Coralli und Perrot fußende Choreographie dieses urromantischen Klassikers gilt als die herausragendste und mittlerweile entsprechend verbreiteteste Version. 2004 hat sie auch ins Repertoire des Karlsruher Balletts Einzug gehalten und feierte nun 8 Jahre später in der Einstudierung des langjährigen Wright-Mitarbeiters Desmond Kelly eine erfolgreiche Wiederaufnahme.

Gerade recht zum 10jährigen Jubiläum der von Prof. Birgit Keil aufgebauten Compagnie wurde deren ehrenvolle Erhebung in den Stand eines Staatsballetts bekannt gegeben. Und dieser Abend war wie viele voraus gegangene in der Tat ein Beweis für den Leistungsstandard und die gerechtfertigte und inzwischen auch internationale Reputation des Ensembles. Denn gerade bei einer von so vielen Feinheiten und Nuancen bestimmten Choreographie tritt jeder kleine Fehler wie unter dem Brennglas zutage. Zumal die realistischen Bühnenbilder und Kostüme von Michael Scott mit phantastischen Lichtstimmungen zwischen der wärmenden Weinberg- und Jagdatmosphäre der Menschen im ersten Akt und der unheimlichen Kälte der nächtlichen Welt der Wilis (Klaus Gärditz) auf der weiten Bühne des Badischen Staatstheaters nicht überladen wirken und jedes Detail sichtbar machen. Wrights Version zeichnet sich vor allem durch ihr Gleichgewicht zwischen groß angelegten Tanzsequenzen und der für den dramatischen Gehalt und das Verständnis der Handlung so wichtigen Pantomimen aus. Die diesbezügliche Schlüsselszene, in der Giselles Mutter Berthe das Schicksal veranschaulicht, welches vor der Hochzeit betrogenen Mädchen droht, wurde von der erfahrenen Charaktertänzerin Helène Dion in guter Balance zwischen Ausdruckspräzision und nicht weit entfernt liegender Überzeichnung gehalten. Auch die anderen Charakterparts (Barbara Blanche als Albrechts Verlobte Batilde, Eric Blanc als Herzog von Kurland oder der von Reginaldo Oliveira schlicht und aufrichtig gezeigte Knappe Wilfried) fallen durch eine wohltuend natürliche Mimik auf.

Doch nun zu den Hauptdarstellern. Für Elisiane Büchele ist die Titelrolle die erste Herausforderung in einer zentralen und höchst anspruchsvollen Partie, weshalb das Debut von zusätzlich erhöhter Anspannung getragen war. Als lebende Giselle im ersten Akt helfen ihr die spielerischen Beigaben sowie die glaubwürdig und sehr eindringlich vollzogene Veränderung vom unbeschwert anmutigen Mädchen zum von Wahn ergriffenen Wesen, ihrem Tanz Stärke und Ausdruck zu verleihen. Das Solo vor der Entlarvung ihres Geliebten Albrecht als Herzog mit den kleingliedrigen Spitzen-Balancen und Pirouetten gelingt sicher und wie selbstverständlich. Unter den Wilis, wo sie aller Freude und bis dahin lieber Ausstrahlung beraubt ist, völlig schnörkellos ihre Bahnen ziehen und vor allem all ihre Trauer in ausgreifende Adagio-Arabesquen und äußerste Dehnungen legen muss, erweist sich ihre Persönlichkeit als noch nicht voll entwickelt, ihre Technik als noch nicht über alle Schwierigkeiten erhaben. Unter den genannten Bedingungen ist das aber zweifellos ein bewundernswertes Gesamtergebnis.

Flavio Salamanka, vom Start an dabei und auch damals schon im Jünglingsalter als Herzog Albrecht zu sehen, gehört als dessen führender Solotänzer mittlerweile zur Identität der Compagnie. Zu seiner schon damals beneidenswert edel eleganten, vornehmen und dennoch nicht abgehoben herrschaftlichen Erscheinung ist inzwischen eine gute Portion Männlichkeit sowie eine Perfektionierung seiner von Anfang an geschmeidigen Bewegungs-Qualität hinzugekommen. So wie er dieser Partie mit klarer sensibler Gestaltung, beneidenswert weichen Sprüngen und schön schlank und gleichmäßig gedrehten Pirouetten sowie poetischer Linie Kontur gibt, präsentiert er sich als ein Danseur noble, der ganz in den Dienst der Rolle tritt anstatt eine Show seiner Kunst abzuliefern.

Harriet Mills regierte als Königin Myrtha mit unnahbarer mimischer Strenge und eisern die Bühne durchmessendem Spitzen-Trippeln. Gegen sie hat selbst der von Bledi Bejleri noch so ausgesprochen sympathisch gezeichnete und seine tänzerischen Fertigkeiten nur in der Konfrontation mit den Wilis ausspielen dürfende Widersacher Hilarion keine Chance.

Das in der Stuttgarter Einstudierung als Pas de deux getanzte Bauern-Divertissement ist hier ein in unterschiedliche Kombinationen aufgeteilter Pas de six, worunter das Hauptpaar Moeka Katsuki und Zhi Le Xu im langsamen Teil als auch er in einem vorwärts treibenden Solo herausragend ausgeglichene Körperbeherrschtheit zeigten.

Ein Sonder-Lob dem 24köpfigen Corps der Wilis, die ihren großen Reigen mit beispielhaft synchronen Sprung-Arabesquen erfüllten.

Dass das ganz in Adolphe Adams betörend zarter wie schmissiger Musik schlüsselnde Werk erst dann voll aufgeht, wenn sich ein entsprechend liebevoller und verständnisvoller Dirigent ihrer annimmt, bestätigte sich an diesem Abend wieder einmal. Christoph Gedschold führte die klanglich ideal abgemischte Badische Staatskapelle mit so leichter, auf jede kostbare Wendung bedachter Hand, dass die Melodie manchmal wie ein hauchdünner Faden in der Luft schwebte, an spannungsfördernden Höhepunkten aber auch kontrastreich zum Ausbruch kam. Zu Recht wurde diese Leistung in den anhaltenden Schlussjubel mit einbezogen.

 Udo Klebes

 

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