Foto: Falk von Traubenberg
Karlsruhe: Don Giovanni 14.12. 2019. Premiere
Zu Beginn sehen wir Don Giovanni in einem Schlafzimmer mit Doppelbett sich selbst geißeln. Im Bett liegen zwei Mädchen in Unterwäsche, die sich später davonmachen. Giovanni ist in dieser Inszenierung von Floris Visser gleichzeitig Priester. Kurz danach gibt es für sein Doppelleben einen folgenreichen Einschnitt. Aus einem anderen Zimmer kommen Leute herausgerannt. Giovanni hatte sich da vorher hineingeschlichen, und jetzt stürmt Donna Anna heraus und schreit um Hilfe, ihr Vater kommt ihr aus einem anderen Zimmer zu Hilfe. Don Giovanni kommt ebenfalls heraus, entwindet dem Komtur die Pistole und trifft ihn dabei tödlich. Wenig später treffen Sanitäter und Polizei in Zivil ein, die den Tatort sichern. Es stellt sich bald heraus, daß bis auf Zerlina und Masetto alle Protagonisten der Mozartoper Reisende sind, die in diesem vornehmen Hotel mit dunkelblauen Wandtapeten abgestiegen sind. Von einem Liftboy werden ihre Metallkoffer in unterschiedlicher Größe z.T. schon während der Ouvertüre hereingerollt. Donna Elvira bekommt das Zimmer neben dem Giovannis, so daß sie sozusagen Kopf an Kopf gegenüber schlafen. (Das nützt ihnen auch für später, wenn Giovanni erneute Liebe für Elvira fingiert, sie zu im rüber kommt, im Bett aber Leporello in Verkleidung findet, während Giovanni als sein eigener Diener verkleidet auf der anderen Seite sein Ständchen für die gerade reinemachende Zofe Elviras singt.) Der häufige Zimmerwechsel spielt sich natürlich auf der Drehbühne ab, wobei auch den Korridoren große Bedeutung zukommt. in den Frühstücksraum mit Buffet lädt Giovanni die Hochzeitsgesellschaft Zerlinas ein, und hier wird später auch der Komtur aufgebahrt.
Man kann also konstatieren, daß Vissers Konzept im Großen und Ganzen aufgeht, und seine Ausstatterin Dieuweke van Reij ganze Arbeit geleistet hat. Überzeugend inszeniert erscheint auch die Szene im Frühstücksraum, in der Donna Anna Giovanni als Eindringling in ihrem Zimmer wiedererkennt. Wenn die von Giovanni betrogenen Frauen und die von ihm um ihren Vater gebrachte Anna sich zusammentun, um ihn zu stellen, haben alle Damen buchstäblich auch die Hosen an. Elvira, die sowieso in einem grauen Hosenanzug ankam, Zerlina mit übergezogener Jogginghose, und Donna Anna sogar in Jeans: so gehen sie mit Taschenlampen bewaffnet in Giovannis Partyraum, um gegen ihn zu ‚ermitteln‘. Das Ende ist dann, daß sich Giovanni so in die Enge getrieben fühlt, auch vom ‚wiedererstandenen‘ Komtur, daß er sich final die Kugel in die Schläfe gibt.
Johannes Willig am Pult spürt allen Verästelungen der gewaltig schönen Partitur nach und kann so das Dramma giocoso ‚at its best‘ präsentieren. Dabei ist er auch immer auf feine Begleitung bedacht und läßt den Stimmen, auch wenn sie von hinten kommen, ihren Raumklang. Die Badische Staatskapelle spielt einen hinreißenden Mozart, und man fühlt sich vielfach an die vorausgehenden „Nozze“ erinnert, auch wenn es hier noch viel dramatischer zur Sache geht. In fast allen Instrumentengruppen blitzen auch immer wieder animiert virtuose Soli auf. Die Chöre, diesmal einstudiert von Marius Zachmann, scheinen wie blind in das musikalische Geschehen integriert und glänzen dabei auch mit prallen Bühnenaktionen.
Sophia Theodorides ist eine stimmkräftige Zerlina, führt ihren klangreichen Sopran pointiert mit Giovanni und lieb-charmant auch mit Masetto zusammen. Dieser wird von Yang Xu ganz tölpelhaft aber dabei zum Gerne-mögen gegeben und singt einen angenehmen Baßbariton. Nicholas Brownlee ist ein Leporello auf Augenhöhe mit Don Giovanni, übertrifft ihn fast an purer Spiellaune. Sein Nachteil ist eben nur, daß er der Diener ist. Dafür steht ihm ein hell timbrierter Prachtbariton zur Verfügung, mit dem er gleich die Registerarie voll auskostet. Die Donna Elvira der Jennifer Feinstein ist als nachreisende Stalkerin gezeichnet, die sich in einen Wahnsinn verrennt. Ihr ausdrucksvoller Sopran scheint manchmal den Koloraturen und der Tessitura nicht ganz gewachsen, vielleicht ist es aber auch der Premierennervosität geschuldet.
Cameron Becker ist ein wendiger stimmlich glatter Don Ottavio.Er zeigt große Entschlossenheit, seine Verlobte zu rächen, ist dann aber auch empört, daß sie ihm ein ‚Probejahr‘ zumutet. Seine beiden Arien gestaltet er in schönster tenoraler Manier. Den Komtur singt Vazgen Gazaryan mit voluminösem, dabei etwas hohl klingendem Baß. Seine Tochter wird von Ina Schlingensiepen aufs Eindrücklichste gestaltet. Mit schön timbriertem Sopran singt sie tolle Koloraturbögen aus und erscheint dabei als junge zerbrechliche Frau, die sich einen wirklichen Liebhaber wünscht.
Den Giovanni gestaltet Konstantin Gorny in dieser Fassung als etwas larmoyanten Priester. der bis zum letalen Schluß meint, alles fest im Griff zu haben. Mit seinem dunklen, fast schwarzen Baß setzt er auf gut ansprechende Phrasen, die in ihrer samtenen Determiniertheit alle möglichen Frauen immer wieder dahin schmelzen lassen. Nach der Tötung des Komturs scheint es aber damit vorbei zu sein.
Friedeon Rosén