Karlsruhe: „DER FLIEGENDE HOLLÄNDER“ 27.10.2013
Zur WA von Richard Wagners „Der Fliegende Holländer“ durfte man sich wieder an dieser dramaturgisch fesselnden, optisch gehaltvollen Produktion von Achim Thorwald erfreuen. Der versierte Regisseur betreute die Reprise selbst, mit wenigen Gesten versteht er es, die Gefühlswelten der Figuren nach außen zu kehren. Senta ist von der Ouvertüre bis zum Finale stets anwesend, traumverloren, schwärmerisch im Buch der „Ballade“ blätterend, immer mehr in ihren Gefühlen zu dem geheimnisvollen Mann verstrickt, sich darin verliert dem Suizid nahe. Die reale Senta sitzt am Tisch, liegt am Boden mit dem Buch, während ihr stummes Double die Begegnung mit dem „Traumobjekt“ erlebt, den Holländer bar jeglicher Konventionen umwirbt, berührt, umschmeichelt sich lasziv auf dem Boden räkelt. Zum Finale entschwindet der Fluchbeladene mit der Stummen, Senta erwacht aus ihrer Lethargie und wendet sich schließlich dem treuen Freund Erik zu. So erlebte ich zumindest die Premiere 2005 und weitere Folge-Aufführungen, jetzt änderte Thorwald sein Konzept: die reale Senta übernimmt die „Handlungen“ der Stummen selbst und ersticht sich zum Finale – auch gut!
Die relativ leere Bühne (Helmut Stürmer) lebt von wenigen Requisiten u.a. einem überdimensionalen Segel und vor allem erhält sie ihre besonderen optischen Reize durch die farblich, stimmungsvolle Lichtregie (Gerd Meier), sowie den kleidsamen Kostümen (Ute Frühling). Eine wunderbare Inszenierung – die neue Intendanz tat gut daran, diese aussagekräftige Produktion aus der Versenkung zu holen.
Musikalisch blieben dagegen leider viele Wünsche offen: Johannes Willig entfesselte mit der Badischen Staatskapelle einen Herbststurm und wurde seiner nicht mehr Herr, verwechselte Dramatik mit Lautstärke! Das Orchester folgte zwar seinen Intentionen willig, erlaubte sich in den Bläsersegmenten unverzeihliche Patzer und konnte lediglich während der instrumentalen Ruhephasen überzeugen, ließ die Klangbalance zwischen Graben und Bühne vermissen.
Mit dämonischer Ausstrahlung konnte Renatus Meszar optisch als Titelheld überzeugen, blieb jedoch stimmlich hinter den Erwartungen zurück, sein mächtiger Bassbariton irritierte mit wenig Schönklang, Flexibilität und ließ Gesangskultur nur während der leisen Passagen vernehmen. Dass ein relativ noch junger Sänger derart verbraucht, ältlich klingen kann demonstrierte auf schmerzliche Weise Luiz Molz (Daland). Strahlend hell doch nicht einwandfrei absolvierte Steven Ebel den Steuermann. Zurab Zurabishvili trat erkältet an, stattete den Erik mit seinem schönem Tenormaterial aus, Unebenheiten der Intonation waren allerdings nicht zu überhören und der Sänger blieb seinem sonst gewohnten, hohen Qualitätslabel einiges schuldig. Christina Niessen sang die technisch schwierige Partie der Senta, sowie die zentrale Ballade mit mädchenhaft klingender Sopranstimme, in bester Abstufung und Artikulation, doch schlichen sich in die oberen Regionen kantige Schärfen ein und erinnerten mich an die junge „Kindertrompete“ Silja. Rebecca Raffell schenkte der Mary pastose Altfülle und darstellerisch die gewichtige Betulichkeit. Souverän und mächtig auftrumpfend erklangen Chor und Extrachor (Ulrich Wagner).
Ich kann mich nicht erinnern, hier am Hause eine musikalisch so schwache Aufführung erlebt zu haben, die Verantwortlichen sollten sich dringend die live aufgezeichnete Vorstellung zur Brust nehmen, um sich zur Gala in wenigen Tagen nicht derart zu wiederholen.
Gerhard Hoffmann