Online Merker Logo

Die internationale Kulturplattform

KARLSRUHE/Badisches Staatstheater_ ELEKTRA. Premiere

Viele grelle Bilder

27.01.2019 | Allgemein, Oper

Rachel Nicholls (Elektra) - Foto: (c) Falk von Traubenberg
Rachel Nicholls (Elektra). Foto: Falk von Traubenberg/ Badisches Staatstheater

Premiere „Elektra“ von Richard Strauss am 26.1.2019 im Badischen Staatstheater Karlsruhe

VIELE GRELLE BILDER
 Eine neue Sichtweise präsentiert der britische Regisseur Keith Warner bei seiner Inszenierung der „Elektra“ von Richard Strauss (Bühne: Boris Kudlicka; Kostüme: Kaspar Glarner). Auch hier lebt Elektra nur für ihre Rache, will für den Mord an ihrem Vater Agamemnon ihre Mutter Klytämnestra sterben sehen. Erst die Rückkehr ihres Bruders Orest lässt sie zur Tat schreiten, obwohl sie schon die Waffe besitzt.

Die Figuren werden hier sehr stark und psychologisch durchaus geschickt mit ihrer Vergangenheit konfrontiert. In einem Museum wird diese Familie von ihren schrecklichen Erinnerungen heimgesucht. Ihre eigene Geschichte löst einen unheimlichen Sog aus. Nach dem Mord an der Mutter und ihres Liebhabers Aegisth steigert sich Elektra in einen mänadischen Tanz hinein. Auch ihre Schwester Chrysothemis kann sie nicht mehr retten. Man sieht zuletzt ein goldenes Tor, das grell beleuchtet wird. Als Elektra es öffnet, sieht sie nochmals den Mord an ihrem Vater und bricht tot zusammen. Diese subtile und drastische Inszenierung hat ihren Ursprung in der Psychoanalyse. Man fühlt sich auch an das Fin de Siecle in Wien erinnert. Reminiszenzen an Carl Jungs Elektrakomplex werden wach. Elektras Zustand ist hier tatsächlich ein unbeschreibliches Trauma, das bei der Aufführung auch in den Videoaufnahmen von Bartek Macias gut zur Geltung kommt. Ausgelöst wird es durch das Verdrängen schmerzhafter Erinnerungen. In Elektras Monolog erklingt das Motiv des Herbeisehnens des Vaters ganz deutlich, das dann später in der Wiedererkennungsszene zwischen Elektra und Orest wiederholt wird. Die Figuren haben allesamt mit den Dämonen der Vergangenheit zu kämpfen.

Die Inszenierung von Keith Warner stellt auch Verbindungen zu Horrorfilmen von Stanley Kubrick, David Lynch und Alfred Hitchcock her. So geschehen die Morde auf mehreren Etagen, man sieht seltsame Figuren in Glaskästen, die Mutter Klytämnestra wird sogar auf offener Bühne in einer Küche enthauptet. Der donnernde d-Moll-Akkord des Beginns ist hier in jedem Fall eine deutliche Assoziation zu Agamemnon und Elektra. Gleichzeitig überlappen sich bei Keith Warner Elektras und Chrysothemis‘ Identitäten deutlich. So gibt es sowohl ein Double für Klytämnestra als auch für Elektra. Chrysothemis und Orest werden als Kinder dargestellt. Elektra hat eine starke Sehnsucht nach einer intakten Familie – dies ist bei ihrer Schwester sogar noch in stärkerem Maße der Fall. Auch in dieser Inszenierung besteht der stärkste Gegensatz zwischen Elektra und ihrer Mutter Klytämnestra. Elektra wird am Schluss dieser packenden Aufführung mit dem tatsächlichen Tod Agamemnons konfrontiert. Von den Wänden rinnt zuvor Blut herab. In der oberen Etage sieht man die Familie am Sarg Agamemnons. So endet der Museumsbesuch bei Keith Warner zuletzt in einer Katastrophe. Und gleich zu Beginn wird das seltsame Museum höchst lebendig. In den lichtdurchfluteten Räumen geraten die Protagonisten teilweise schroff aneinander, stürzen atemlos die Treppe hinab. Dies ist bei Aegisth der Fall, der verzweifelt versucht, seinen Mördern zu entkommen. Gelegentlich hätte man sich bei der Inszenierung eine noch stärkere dramaturgische Bündelung gewünscht.

Rachel Nicholls (Elektra) & Anna Danik (Klytämnestra) - Foto: (c) Falk von Traubenberg
Rachel Nicholls (Elektra), Anna Danik (Klytämnestra). Foto: Falk von Traubenberg/ Badisches Staatstheater

Justin Brown leitet das Orchester des Badischen Staatstheaters Karlsruhe von Anfang an mit glühender Intensität bis zum tosenden C-Dur-Schluss und dem dazwischen liegenden es-Moll-Absturz. Da geraten in dynamischer Hinsicht harmonische Welten aneinander. Polytonalität triumphiert hier auf allen Ebenen. Elektras Kindesliebe zeigt sich gerade bei der fast mädchenhaften Darstellung von Rachel Nicholls, die sich gegen die gewaltigen Orchesterfluten mit stählerner gesanglicher Strahlkraft behaupten kann. Sarah Cambidge steht ihr als wunderbar voluminöse und fraulich-warme Chrysothemis in nichts nach. Die Duette dieser beiden ausgezeichneten Sängerinnen sind ein großer Glanzpunkt des Strauss-Gesangs. Renatus Meszar als Orest vermag seinem Bariton einen kernigen Zauber zu verleihen, der sich stimmlich mit Elektras Kantilenen gut ergänzt. Die differenzierten rhythmischen Elemente arbeitet der Dirigent Justin Brown vor allem bei der zentralen und nervenzerreissenden Begegnung zwischen Elektra und Klytämnestra ausgezeichnet heraus. Anna Danik vermag als Klytämnestra ihrem Mezzosopran durchaus Wucht zu verleihen, wenngleich man hier die dämonische Ausstrahlung der Figur noch steigern könnte.

Der dissonante „Hass“-Akkord zu Beginn schildert die vorwiegend inneren Zuständen und Gewissensqualen der Personen eindringlich. Und die Wiedererkennungsszene zwischen Elektra und Orest gerät durchaus zu einem melodisch-harmonischen Höhepunkt dieses Einakters. Die Wende von der Androhung der Tat in d-Moll zum Vollzug in C-Dur vermag Justin Brown mit dem Orchester sehr gut und plastisch zu verdeutlichen. Rachel Nicholls als Elektra gelingt es bei ihrem großen Monolog, dem Dreiklangsmotiv eine zentrale Bedeutung zu verleihen. Immer bleibt die Verbindung zur Sprache elementar, der berühmte bitonale „Elektra“-Akkord mit seiner geheimnisvollen Überblendung von E-Dur und Des-Dur überzeugt bei dieser Vorstellung in besonderer Weise. Auch die Assoziation der großen Ober- und kleinen Untersekunde zu d-Moll gewinnt facettenreiches Format. Die Partitur wird unter der konzentrierten Leitung von Justin Brown tatsächlich zur psychologischen Auslegung dieses Dramas. Gleichzeitig tritt auch der tragische Verlust der Sprache in den zentralen Mittelpunkt.

In weiteren Rollen fesseln Matthias Wohlbrecht als panischer Aegisth, Yang Xu als Pfleger des Orest, Ursula Hamm-Keller als Vertraute, Maike Etzold als Schleppträgerin, James Edgar Knight als junger Diener, Luiz Molz als alter Diener, Christina Niessen als Aufseherin, Ariana Lucas als erste Magd, Luise von Garnier als zweite Magd, Jennifer Feinstein als dritte Magd, Barbara Dobrzanska als vierte Magd, Uliana Alexyuk als fünfte Magd.
In weiteren szenischen Rollen überzeugen ferner Arnim Brosch als Agamemnon, Mirjam Arnu als Klytämnestras Double, Jael Fechler als Elektras Double, Linda Hepp als Kind-Chrysothemis und Julius Vossmann als Kind-Orest.

Ulrich Wagner hat den Chor des Badischen Staatstheaters Karlsruhe in souveräner Weise einstudiert (szenische Einstudierung: Anja Kühnhold). So gab es für diese aufwühlende Premiere am Schluss heftige Ovationen. Es ist eine Koproduktion mit dem Nationaltheater Prag und der San Francisco Opera.

Alexander Walther

 

Diese Seite drucken