Online Merker Logo

Die internationale Kulturplattform

KARLSRUHE/ Badisches Staatstheater: TRISTAN UND ISOLDE. Wiederaufnahme

18.11.2019 | Allgemein, Oper

Annemarie Kremer a. G. (Isolde) & Stefan Vinke a. G. (Tristan)  - Foto: Arno Kohlem
Annemarie Kremer, Stefan Vinke. Foto: Arno Kohlem/ Staatstheater Karlsruhe

Richard Wagners „Tristan und Isolde“ am 17. November 2019 im Badischen Staatstheater/KARLSRUHE

Verwandlungen im selben Raum

 Die emotionale Kraft von Wagners „Tristan“ kommt in der „modernen“ Inszenierung von Christopher Alden durchaus zum Vorschein. Die mittelalterliche Handlung spielt hier um 1940, Alden wollte das Stück nicht in der Gegenwart spielen lassen, weil er sich nicht zu weit von der Epoche entfernen wollte, in der die Oper entstanden ist. Die gesellschaftlichen Zwänge der damaligen Zeit werden in diesem Wohnzimmer psychologisch eindringlich thematisiert. Die existentiellen Nöte des zweiten Weltkriegs werden in diesem Beziehungsgeflecht zwischen Tristan, Isolde und König Marke verarbeitet.

Die drei Aufzüge finden hier im selben Raum statt, der sich zwischen vielen Sesseln und einem großen Vorhang immer wieder neu verwandelt. Psychologische Vorgänge und tiefliegende Gefühlsschichten beleben den hellen Innenraum. Dies ist insbesondere im dritten Aufzug der Fall, wo der schwer verwundete Tristan im Bett wie auf einer Totenbahre liegt und auf Isolde wartet. Im zweiten Akt fehlen die metaphysischen und sphärenhaften Momente allerdings völlig, wenn das Liebespaar Tristan und Isolde schließlich von König Marke entdeckt wird. Der erste Akt wirkt wie der Innenraum eines Kreuzfahrtschiffs mit Ballsaal oder Empfangshalle. Runde Fassaden mit Bullaugen-Fenster werden angedeutet. Bühne und Kostüme von Paul Steinberg und Sue Willmington weisen auf diese Sichtweise hin.

Eine starke Atmosphäre hat Christopher Alden mit den Sängern hier in subtiler Weise erarbeitet. Die realistische Außenebene jedes Aktes steht grell im Zentrum. Ein starker Augenblick ergibt sich aus jener Szene, als Marke und seine Mannen das Liebespaar aus seiner tiefen Versenkung reißen. Für Christopher Alden ist Wagners „Tristan und Isolde“ allerdings kein autobiografisches Werk. Das Liebespaar befindet sich in einer anderen Sphäre. Und für Brangäne ist die Liebe so etwas wie realistische Romantik. Gleichzeitig spürt man bei dieser Inszenierung sehr stark, dass die Liebe von Tristan und Isolde als etwas Revolutionäres angesehen wird. So legt das Liebespaar im zweiten Aufzug in König Markes Residenz Feuer. Feuer und Liebestraum erlöschen allerdings, als König Marke auftritt. Im dritten Akt mit dem sterbenden Tristan ist Isolde auf der oberen Empore schon vorher präsent, wirft Blumen herab. Tristan und Isolde sind in Christopher Aldens Inzenierung eindeutig gegen das Establishment eingestellt. Und die einzige Lösung, die sie wirklich anstreben, ist der gemeinsame Tod. Isolde ist hier eher eine Frau, die sich für ein Ideal opfert, aber nicht sterben will. Der offene Schluss von Christopher Aldens Inszenierung lässt Isolde einfach weiterleben. Sie setzt schon im ersten Akt die entscheidenden Impulse. Ihre Worte, die sie an den verstorbenen Tristan im dritten Akt richtet, sind durchaus vorwurfsvoll. Zusammen mit Tristan stürzt sie das System um König Marke in eine tiefe Krise, es kommt zur Katastrophe. Dies sind starke Momente in Aldens Inszenierung, die aber auch szenische Schwächen besitzt.

Ensemble  - Foto: Falk von Traubenberg
Foto: Falk von Traubenberg

Die Tragik dieser Liebe wird immer größer, da Tristan zuletzt verletzt ist und Isolde unter Schock steht. Im ersten Akt kommt es sogar zu einer kurzen ironischen Wendung, wenn König Marke statt Isolde Brangäne Blumen überreichen will. Die Badische Staatskapelle musiziert unter der kompetenten und zuweilen geradezu fieberhaften Leitung von Justin Brown wie aus einem Guss. Die Produktion wird ohne Striche gespielt, was auch schon Cosima Wagner untersagt hatte. Justin Brown hat sich ebenfalls gegen Striche ausgesprochen. Er möchte von diesem „großartigen Werk“ nichts verlieren. Es gelingt Justin Brown vor allem, den romantischen Unendlichkeitsdrang und die Ekstatik der Tonsprache auf die hervorragenden Sängerinnen und Sänger zu übertragen. Dies gilt vor allem für Stefan Vinke als  strahlkräftig-voluminöser Tristan und Annemarie Kremer als gesanglich nicht minder überwältigende Isolde. Man spürt gerade auch bei den Szenen um den von Renatus Meszar mit profiliertem und sonorem Bass gesungenen König Marke, wie gut es Wagner hier gelungen ist, die bisherigen harmonischen Gesetzmäßigkeiten zu brechen. Der erhitzten Chromatik der übersteigerten Tristan-Harmonik lauscht Brown dabei akribisch nach. Auch Katharine Tier bietet als Brangäne ein durchaus eindringliches Charakterporträt dieser Figur.

In weiteren Rollen überzeugen Seung-Gi Jung als Kurwenal, Matthias Wohlbrecht als Melot und James Homan als Steuermann sowie Cameron Becker als Hirt und Stimme eines jungen Seemanns. Insbesondere Annemarie Kremer gelingt es ausgezeichnet, das spirituelle innere Empfinden beim berühmten „Liebestod“ glaubhaft zu verdeutlichen. Auch der kunstvoll-suggestiven Motiv-Verwebung wird der Dirigent Justin Brown bei seinem überaus konzentrierten Dirigat gerecht. Die von Ulrich Wagner souverän einstudierten Herren des Badischen Staatsopernchores beeindrucken das Publikum mit einer beachtlichen Leistung. Schon bei der Einleitung werden die Phasen der weltentrückten, nach Befreiung von allen Erdenfesseln schmachtenden Liebe von der mit viel Herzblut musizierenden Badischen Staatskapelle betont. Auch der geheimnisvolle Gesang der Matrosen verdeutlicht das schwermütige Sehnen, das die gesamte Oper durchzieht. Das wird auch bei Christopher Aldens Inszenierung trotz einiger Abstriche deutlich. Die tiefe Lage des Zaubertrank-Motivs sticht ebenfalls hervor. Und die triebkräftige Verdichtung der Musik kommt hier nirgends zu kurz. Selbst die glühende Emphase des Tantris-Motivs zeigt immer neue Nuancen und Facetten. Die Verwandlungen im selben Raum übertragen sich so auch subtil auf die Musik. Beim Tausch der Liebesblicke lauscht Brown den harmonischen  Bewegungen im Orchester in suggestiver Weise nach. Wechselnde Akkorde sind bei dieser Interpretation deutlich als Zeichen mächtiger Gefühlswallungen zu deuten. Auch bei der Erzählung Kurwenals mit Seung-Gi Jung kommt es zu einem unruhevollen Harmoniengewoge. Die beiden Motive der Schmerzen und der Sehnsuchtsklage zu Beginn des dritten Aufzuges erklingen sehr präzise, was auch für die abwärtsschreitenden Tonstufen des Tristan-Motivs gilt. Und die dynamischen Steigerungen des Todessehnsuchtsmotivs werden von Stefan Vinke in gewaltiger Weise umgesetzt.

Ovationen.

Alexander Walther

 

 

Diese Seite drucken