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KARLSRUHE/ Badisches Staatstheater: DAS RHEINGOLD – „auf doppeltem Boden“. David Herrmann inszeniert. Premiere

10.07.2016 | Allgemein, Oper

AUF DOPPELTEM BODEN

David Hermann inszeniert Wagners „Rheingold“ am 9. Juli 2016 im Badischen Staatstheater/KARLSRUHE
DAS RHEINGOLD
Copyright: Felix Grünschloss

Der deutsch-französische Regisseur David Hermann ist der erste der vier Regisseure, die in Karlsruhe eine ganz eigene Sichtweise des „Ring des Nibelungen“ präsentieren werden. Dadurch entsteht eine enorme Vielfalt. Ihn interessieren im „Rheingold“ die drei Zeitebenen. So gibt es hier die ewige Zeit, die durch die naturverbundenen Wesen Erda und die Rheintöchter präsentiert wird. Zweitens gibt es die Erden- oder gegenwärtige Zeit, die Handlung um Alberich, die Götter und die Riesen. Macht und Einfluss stehen im Zentrum. Und drittens schiebt sich die zukünftige Zeit in den Vordergrund, die die Konsequenzen von Wotans Handeln wiederspiegelt. Das unentrinnbare Schicksal drängt sich bei dieser Inszenierung in unheimlicher Weise hervor. Die Handlung wird dabei direkt mit den Leitmotiven verknüpft – ganz so, wie Richard Wagner es wollte. Wotan sieht die Folgen seines Tuns schon zu Beginn der Tetralogie. Das ist bei Hermann ein ungewöhnlich spannender Vorgang. An einigen Stellen scheinen wichtige Situationen des späteren „Rings“ auf und konfrontieren ihn mit den fatalen Folgen seines Handelns. Das Werk entwickelt bei dieser Aufführung eine Eigendynamik. Die Zukunft wird von der Gegenwart eingeholt. Viele Szenen erinnern schon an die „Götterdämmerung“ – etwa dann, wenn Siegfried von Hagen mit dem Speer getötet wird. Man kann also sagen, dass der „Ring“ im Fast-Forward-Modus abläuft, während auf der anderen Ebene das „Rheingold“ im normalen Tempo weitergeht. Bei der Schlussmusik etwa zeigt David Hermann in einer eindrucksvollen Sequenz das Ende der Götter, die auf der von Nebel umwaberten „mythischen“ Brücke zu ersticken scheinen. Da spürt man die Gewalt einer gespenstischen Untergangsmusik. Wenn Wotan Alberich den Ring entreisst, tut er dies mit der gleichen Vehemenz, mit der in der „Götterdämmerung“ sein Enkel Siegfried den Ring entwendet. Und wenn Fafner im „Rheingold“ seinen Bruder Fasolt erschlägt, um den Ring zu behalten, wiederholt sich diese wichtige Szene in der „Götterdämmerung“ zwischen Hagen und seinem Halbbruder Gunther. Das alles zeigt Hermann in drastischen und bewegenden Bildern, die sich tief ins Gedächtnis bohren. Unbewusste Gedanken bestimmen dabei die „Rheingold“-Handlung. Rheintöchter und Erda erscheinen bei dieser Inszenierung wie Wesen anderer Art, der mystische Bezug wird sehr stark betont. Und auch die Gegenwartsebene hebt David Hermann sehr stark in den Mittelpunkt des Geschehens – etwa in der Burg beim Dialog zwischen Wotan und Fricka. Man befindet sich plötzlich in einem großen Bungalow. Die Götter sind hier sehr deutlich die Meister der Netzwerke, während die Nibelungen hart mit ihren Händen arbeiten müssen. Es kommt so zu stilistisch-atmosphärischen Unterschieden auf der Handlungsebene. In der ersten Szene sieht man die Rheintöchter in einer großen, wasserbesprengten Grotte, wobei das Podium in geheimnisvoller Weise hochgefahren wird und damit der Musik folgt. Bei der zweiten Szene wird der Zuschauer in einem Kammerspiel mit alltäglichen Bösartigkeiten konfrontiert, wo sich Wotan und Fricka in modernem Outfit streiten. Die Nibelheim-Szene bei der Auseinandersetzung zwischen Alberich und seinem Bruder Mime erinnert mit seinen schaurigen Stacheldrähten fast an ein Konzentrationslager. Und der Raum ist eigentlich immer in zwei Teile geteilt und auch sehr abstrakt. Loge springt im modernen Bungalow plötzlich aus dem Feuerofen. Unwirkliche Vorgänge ergänzen gleichsam die Realität. Die Raum-Zeit-Einheit wird so in ein Rechts und ein Links aufgeteilt. Das Nebeneinander geht bei Hermann in eine höhere Dimension über, Wotans Bürowelt wird einfach überwunden. Einzelne Szenen laufen in unterschiedlichen Geschwindigkeiten nebeneinander ab – einmal sieht man sogar Siegfried und Brünnhilde sowie Siegmund und Sieglinde als Liebespaare. Hunding und Hagen sorgen für gewaltige Störfeuer. „Rheingold“, „Walküre“ und „Götterdämmerung“ finden hier also gleichzeitig statt. Das ist ganz ungewöhnlich und eröffnet neue Sichtweisen. Im „Rheingold“ ist für David Hermann noch Raum für eine andere Handlung. Das ist ihm weitgehend gelungen, trotz einzelner szenischer Schwächen. Beim Abstieg nach Nibelheim etwa dreht sich die Bühne – und man sieht Wotan mit der toten Sieglinde, der das Kind an sich presst. Hermann interessiert offensichtlich polyphones szenisches Erzählen. Damit knüpft er sehr logisch an die Musik an. Sein Rheingold schließt allerdings, wie es anfängt – mit der Rheintöchter-Szene. Die Natur ist hier stärker als der Mensch. Alberichs Fluch kündigt dies schon deutlich an. Im „Rheingold“ entfaltet sich für Hermann auch der meiste Witz. Die Bühne von Jo Schramm und die Kostüme von Bettina Walter beleben das Geschehen zuweilen mit der Betonung des traumwandlerischen Elements. Beim Einzug der Götter in Walhall sieht man in der Tiefe auch den aufgebahrten toten Siegfried in einem brennenden Scheiterhaufen, der sich zum Weltenbrand erhebt. Das macht den Zuschauer betroffen. Justin Brown lotet mit der Badischen Staatskapelle die Wagnersche Leitmotivtechnik konsequent aus. Der Choral zu Beginn der zweiten Szene kennzeichnet sehr deutlich nicht Wotan, sondern Walhall. Der Schluss wird von ihm als schöne Effektmusik gespielt, der auch Assoziationen zu Hollywood wecken soll. Dies zeigt sich sogar beim Es-Dur-Akkord des Beginns. Brown akzentuiert neben Streicher-Sensibilität aber auch bewusste Brüche – wenn etwa Wotan erwacht und Fricka in einem völlig anderen Tempo das Walhall-Motiv bestimmt. Vor allem wird bei dieser Interpretation deutlich, dass das Rheingold sinfonische Elemente besitzt. Das doppelt schnelle Werde-Motiv verfolgt hier sehr deutlich die Schwimmbewegungen der Rheintöchter.

Uliana Alexyuk, Stefanie Schaefer und Katharine Tier zeigen als Rheintöchter großen Klangfarbenreichtum und vokale Pracht. Jaco Venter kann als Alberich auch dämonische Facetten in seine Rolle einbringen. Die rasende Jagd nach den verführerischen Schwestern endet so in einer Katastrophe. Hinab- und hinaufgleitende Terzen kennzeichnen bei dieser Interpretation sehr markant das Ringmotiv. Renatus Meszar als klug deklamierender Wotan und Roswitha Christina Müller als stimmgewaltige Fricka gewähren einen interessanten gesanglichen Einblick in ein psychologisch vielschichtiges Kammerspiel. Das Motiv des Minnetriebes wird von Justin Brown und der Badischen Staatskapelle gut betont. Es kommt so zu einer äussersten Schärfe der Charakteristik. Schwefeldämpfe werden mit scharfen chromatischen Loge-Läufen herausgestellt, wobei sich der vorzügliche Matthias Wohlbrecht als Loge besonders profilieren kann. Abgerissene Seufzer und Sekundenschritte verdeutlichen bei dieser Interpretation drastisch die Qualen der geknechteten Nibelungen-Zwerge. Alberich ist bei dieser Inszenierung deutlich mächtiger als schlau. Bei seiner Verwandlung in einen Drachen und eine Kröte kommt es bei den Bläsern zwar zu Intonationstrübungen, die jedoch rasch wieder überwunden werden. Positiv fällt vor allem die treibende und elektrisierende Kraft von Justin Browns „Rheingold“-Dirigat auf. Die Unheils-Akkorde des Fluches werden facettenreich unterstrichen. Agnieszka Tomaszewska als von den Riesen entführte Göttin Freia sorgt ebenfalls für eine Überraschung – sie fürchtet sich nämlich eigentlich gar nicht vor den Riesen, sondern treibt mit ihnen ein raffiniertes erotisches Spiel. Als lebende Gold-Statue bringt sie die Riesen schließlich um den Verstand. Der Brudermord geschieht so aus blinder Gier. Ariana Lucas überzeugt als Erda mit dem Werdemotiv in betont düsterer Schattierung. Seung-Gi Jung als Donner und James Edgar Knight als Froh sorgen ebenso für mitreissende vokale Höhepunkte. Sie ergänzen den Orchesterklang passend mit nie nachlassender Energie und Ausdruckskraft.

Sehr schön arbeitet Justin Brown mit der Badischen Staatskapelle auch Wotans großen Gedanken in C-Dur heraus, der beim Finale in das Des-Dur einbricht. Hier korrespondiert man deutlich mit dem C-Dur des Freia-Motivs. Als Schauspieler agieren sehr plastisch Witalij Kühne (Siegmund/Siegfried), Rosa Sutter (Sieglinde/Gutrune), Diana Matthess (Brünnhilde), Matthias Rott (Hunding/Hagen) und Stefan Pikora (Gunther).

Großen Jubel gab es für das musikalische Team, vereinzelter Widerspruch und auch „Bravo“-Rufe begleiteten die Regie-Mannschaft.

 
Alexander Walther

 

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