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Julia Zalkow: EDWIN FISCHER

13.01.2021 | buch, CD/DVD/BUCH/Apps

 

Buchcover Zalkov Edwin Fischer

Julia Zalkow  
EDWIN FISCHER (1886-1960)
Pianist, Dirigent, Musikpädagoge
Eine Biographie
460 Seiten, Böhlau Verlag, 2020

Edwin Fischer. Ganz vergessen ist er natürlich nicht, wenn auch der Schweizer Pianist (1886-1960) nicht annähernd den Nachruhm genießt wie etwa sein Zeitgenosse Rubinstein oder, ein Jahrzehnt jünger, Kempff – deren Auftreten nun auch um einiges spektakulärer war. Immerhin hat sich die Musikwissenschaftlerin Julia Zalkow ausreichend für Edwin Fischer interessiert, um ihm eine biographische Dissertation zu widmen, die nun auch zwischen Buchdeckeln erschienen ist.

Die Autorin hat sich die umfangreiche Arbeit nicht leicht gemacht. Es gibt zwar Fischers Nachlass, er hat seine Auftritte in Listen festgehalten und auch mehr oder minder ausführlich Tagebuch geführt, wobei Julia Zalkow weiß, dass man den individuellen Blick auf das eigene Leben überprüfen muss. Sie ist in Archive gegangen, hat in Nachlässen allerlei Material gefunden und mit noch lebenden Zeitzeugen gesprochen, darunter den beiden berühmt gewordenen österreichischen Schülern von Edwin Fischer, Alfred Brendel und Paul Badura-Skoda, die nur in hohem Grade Lobendes über ihn zu sagen wussten. Für Badura-Skoda war der für ihn so wichtige Lehrer offenbar ein lebenslanges Thema, hat er doch bei Auktionen auch Material rund um diesen erworben.

Die Fülle des Materials galt es nun zu gliedern, denn am Ende sind 460 eng beschriebene Seiten daraus geworden, die „stufenweise“ bedient werden – der Text, der sich mit der Biographie befasst, eine zweite Ebene, wo sich die Autorin einbringt und über ihre Recherchen berichtet, über Fragen reflektiert, die sich im Lauf der Arbeit gestellt haben usw. Immer wieder werden auch Personen am Weg ausführlich behandelt, und im übrigen gibt es die als solche in noch kleinerer Schrift kenntlich gemachten Zitate. Erwähnt sei auch, dass Bücher, die wie dieses die Anmerkungen gleich am Ende derselben Seite anführen, dem interessierten Leser natürlich einen enormen Gefallen tun, da man sich das auf die Dauer mühselige Blättern in den Anhang erspart. Außerdem lassen sich da noch weitere Exkurse einbringen.

Was ist nun das Ergebnis dieser enormen Arbeit? Man kann sagen, dass es eine spannende Lebensgeschichte wird, die versucht zu erklären, warum Fischer zwar zu seinen Lebzeiten ein sehr geschätzter Pianist war, aber doch in einer auch medial geprägten Musikwelt zu wenig „geglitzert“ hat, um in der Nachwelt zu überleben. Zudem war er Traditionalist, der das Publikum nicht mit aufsehenerregenden Interpretationen fütterte, aber doch als „Ausdruckskünstler“ galt und offenbar immer durch eine ganz persönliche „Natürlichkeit“ zu fesseln verstand.

Man liest, wie entschlossen sich der nach außen stille Mann seine Karriere erkämpft hat – und wie unendlich schwierig sein Leben war. Geboren am 6. Oktober 1886 in Basel, der Sohn eines Zuwanderers aus Prag, ein aus einer Instrumentenbauerfamilie stammender Oboist, der starb, als der Sohn vier Jahre alt war, und einer aus wohl-bürgerlicher Familie stammenden Mutter (Anna Friedlin, 1858-1947), die ihr Leben buchstäblich auf ihren einzigen Sohn konzentrierte, ihn gängelte und reglementierte und bis zu ihrem Tod nicht aus ihren Klauen ließ.

Schon das mochte einen jungen Menschen „verbiegen“, dem nur preußische Tugenden und Abscheu vor Erotik eingebläut wurde. Leistung, Fleiß und Durchhaltekraft haben ihm später zu einer Karriere verholfen, die durchaus nicht selbstverständlich war, während er dann die „gesellschaftliche Isolation“, die er sich anfangs auferlegte, doch nicht durchhielt und auch nicht so geschlechtlich abstinent lebte, wie es die Mutter gerne gehabt hätte.

Als der begabte Sohn mit 17 Jahren nach Berlin zog, war sie natürlich dabei, sie lebten im gemeinsamen Haushalt, bis er mit 33 doch heiratete (einmal und kurz). Er war begabt, aber kein Wunderkind, und man war auch nicht so reich, dass Edwin neben seinem Studium nicht bald als Begleiter und mit Stundengeben Geld verdienen musste. D’Albert und Busoni waren für ihn entscheidende Eindrücke, aber das Ringen um Erfolg währte lange und schien einige Zeit keinesfalls übertrieben erfolgversprechend. Schließlich strebten alle jungen Pianisten, die aus den Hochschulen kamen, die große Karriere an.

Er hat es schließlich geschafft, als Pianist, in zwei Phasen seines Lebens als Dirigent, als Gründer eines Kammerorchesters, schließlich – er liebte Kammermusik – als Gründer eines Trios, wobei er zuerst mit dem Cellisten Enrico Mainardi und dem Violinisten Georg Kulenkampff konzertierte, der nach seinem Tod durch den Wiener Wolfgang Schneiderhahn (nicht nur als Gatte von Irmgard Seefried noch im Wiener Gedächtnis) ersetzt wurde.

Der Erste Weltkrieg bedeutete für Fischer, den Schweizer, nicht, dass er Uniform anziehen musste. Vier Kriegsjahre konzertierte er häufig und erfolgreich, vor allem mit Beethoven, der gerade in Krisenzeiten immer ideologisch herangezogen wird. Vom Repertoire her blieb Fischer meist der Klassik verpflichtet, für die Moderne entzündete er sich nie.

Nach dem Krieg entfaltete sich das aufregendste Kapitel von Edwin Fischers Leben, als er von der schönen, exzentrischen Bankierstochter Eleonora von Mendelssohn 1919 geradezu in eine Ehe gedrängt wurde, die nur bis 1925 dauerte und nicht nur wegen der Feindschaft, die seine Mutter seiner Frau entgegen brachte, zur Katastrophe wurde. Nun – Eleonora verschwand wieder aus seinem Leben, die Mutter blieb.

Julia Zalkow lässt keinen Zweifel darüber, dass Fischer sich letztlich nur in diese Ehe fügte, weil ihm klar war, welch enormen gesellschaftlichen Aufschwung es bedeutete, sich im Dunstkreis der Mendelssohns zu bewegen, die mit allen Künstlern ihrer Zeit „verknüpft“ waren. Auf die Katastrophen dieser Ehe will sich die Autorin detailliert nicht einlassen und verweist auf Thomas Blubacher. Tatsächlich ist in dessen Buch über Eleonora und Francesco von Mendelssohn („Gibt es etwas Schöneres als Sehnsucht?“, 2008) der volle Wahnsinn dieser Beziehung mit allem Auf und Ab nachzulesen, die den körperlich und seelisch immer schon zerrütteten Edwin Fischer zweifellos an den Rand seiner Kräfte brachte. (Eleonora hat später Rudolf Forster auf ähnliche Art in die Ehe mit ihr gedrängt, auch dieser tat es aus Berechnung, weil sie ihm den Aufenthalt in den USA ermöglichte, bevor er „reuig“ nach Nazi-Deutschland zurück kehrte).

Das Dritte Reich ist zweifellos eine fragwürdige Stelle in Fischers Biographie, besonders erschütternd, wenn man am 5. März 1933 in seinem Tagebuch liest: „Nationalsozialistischer Sieg. Flaggenwechsel, Fackelzüge. Personalwechsel überall. Juden raus.“ Fischer, der Deutsch-Schweizer, der sich Deutschland immer verbunden gefühlt hat und die meiste Zeit seines Lebens in Berlin wohnte, bis ihn die alliierten Bomben 1943 in die heimatliche Schweiz zurücktrieben, wurde einer der Nutznießer der Juden raus-Politik, hat sich der nationalsozialistischen Führung als Künstler stets zur Verfügung gestellt, ohne sich weit aus dem Fenster zu lehnen. Als es nach dem Krieg darum ging, die Künstlerwelt zu säubern, schien er als „Schweizer“ vergessen worden zu sein. Kein Furtwängler-Schicksal (der ja zum Aushängeschild der „Nazi-Diener“ wurde). Das Foto, das im Buch abgebildet ist, Fischer am Klavier unter dem Hakenkreuz bei der Reichsjugendführung, dürfte ihm nicht weiter geschadet haben.

Seine Karriere als Pianist, als Kammermusiker, vor allem als hoch geschätzter Lehrer, dessen Meisterkurse, teils in seiner Privatvilla, von Schülern gestürmt wurde, währte bis nahezu zu seinem Ende. Die Autorin hat sich solche Mühe gegeben und muss schließlich resümieren, dass es nicht erklärbar ist, wie eine solche Künstlerpersönlichkeit dermaßen in Vergessenheit geraten konnte. Nun, ihr Buch tut, was möglich ist, um dem entgegen zu wirken. Und Musikfreunde werden manches von dem, was Fischer noch auf Schallplatten eingespielt hat, vor allem Bach, Mozart und Beethoven, heute auf CDs finden und überprüfen können.

Renate Wagner

 

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