Jost Hermand:
BEETHOVEN
Werk und Wirkung
288 Seiten, Böhlau Verlag, 2020
Es ist Beethoven-Jahr, der Reigen der neuen oder auch halbneuen Beethoven-Literatur ist eröffnet. Jost Hermand, Jahrgang 1930, eher Literatur- und Kulturwissenschaftler als Musikhistoriker, hat schon 2003 ein Werk über Beethoven veröffentlicht. Nun erscheint zum Beethoven-Jahr die zweite, aktualisierte Auflage und reiht sich in die anspruchsvollen Analysen. Kurz gesagt, geht es das ganze Buch darum, Beethoven als bewusst „politischen“ Komponisten zu deuten. Und in vielen Punkten scheint die Argumentation sehr schlüssig.
Vielfach besteht die Neigung, Beethovens Musik aus ihrer Emotionalität, aus ihrer enormen Wirkung her zu verstehen, als wäre es ihm künstlerisch nur auf die Überwältigung der Zuhörer angekommen – so, wie er sich in Wien nach seiner Ankunft als besonders virtuoser, besonders extremer Pianist vorgestellt hat. Hermand widerspricht dieser Haltung entschieden: Nur historisch geschultes Hören von Beethovens Musik kann ihr seiner Meinung nach gerecht werden.
So akkumuliert er Beispiele, dass der „rebellisch gesinnte Republikaner“ zwar einem adeligen Gönnerkreis Konzessionen machen musste, aber im Herzen politische Programm-Musik geschrieben hat. Keinesfalls habe er, wie der Autor schreibt, seine „aus Bonn mitgebrachte linksrheinische Aufsässigkeit“ in Wien „einer braven Untertanenmentalität“ geopfert. Von der Französischen Revolution entzündet, kulminierte seine Begeisterung für Napoleon in seiner Dritten Symphonie, der „Eroica“, deren Widmung er sofort zurück zog, als Napoleon sich zum Kaiser krönte. Damit war er für Beethoven erledigt, nicht nur, weil er Europa mit Kriegen überzog, wovon auch Wien durch zweimalige Besetzung durch seine Truppen betroffen war.
Beethoven hat im Rahmen der so genannten „Befreiungskriegen“ dann tatsächlich mehrere „programmatisch“-patriotische Werke geschrieben (die manche ihm übel nahmen). Dafür atmet die „Neunte“, nach Meinung des Autors, nicht nur völkerversöhnende Harmonisierung, sondern auch noch rebellischen Geist.
Dass Beethoven nach seinem Tod jeweils im Sinne des herrschenden Zeitgeistes instrumentalisiert wurde, steht fest, die Nationalsozialisten benützten ihn ebenso wie die DDR, und man hat den „Titanen“ millionenfach vermarktet. Wobei bei der „Heroisierung“ seiner tragischen Persönlichkeit dessen politisches Bewusstsein, wie der Autor meint, auf der Strecke geblieben ist.
In einzelnen Kapiteln werden Spezialthemen abgehandelt: Wie die Französische Revolution auch eine höfische Feudalmusik zu Gunsten einer breiten Öffentlichkeit abgelöst wurde, die sich an Märschen, Hymnen, Opern aus dem Volksleben ergötzen durfte. All das hat natürlich auch Wien erreicht, bei Beethoven gingen einige der neuen Elemente in die „Eroica“ ein, die nicht mehr den Unterhaltungsanspruch des Publikums bediente, sondern den „stürmischen Elan des Freiheitsrebellen Beethoven“ hören ließ.
Ein ausführliches Kapitel wird den drei Fassungen des „Fidelio“ gewidmet, im Stil den neuen französischen „Rettungsopern“ verwandt, wobei die beiden Fassungen von 1805 (die Stadt von Franzosen besetzt) und 1806 nicht zuletzt an den kriegerischen Zeitumständen scheiterten, während der „Sieg“ des Werkes im Jahre 1814 zwar sicher auch auf entscheidende dramaturgische Verbesserungen zurückging, aber doch in den allgemeinen Enthusiasmus fiel, dass man hoffte, Napoleon nun endgültig los zu sein…
Mehrere Kapitel beziehen sich auch auf die „Wirkung“ Beethovens nach seinem Tod. Besonders aufschlussreich und vernichtend ist dabei der Artikel, der dem „Spiegel“ gewidmet wird, der 1970, angesichts des 200. Geburtstags, nur Horrorstories über den privaten Beethoven zu bieten hatte, um ein zynisches Intellektuellen-Publikum zu unterhalten. Vom „Mythos Beethoven“ wollte man sich verabschieden. Genützt hat es nichts. Er lebt und gedeiht. Daran werden auch alle Schauergeschichten, die man vielleicht zum 250. Geburtstag hervorholt, nichts ändern…
Über das Bewusstsein, dass Beethoven ein politischer Kopf war, lässt sich im übrigen bestens diskutieren. Ob man dieses historische Wissen braucht, um in seiner Musik zu leben – das muss jeder selbst beurteilen.
Renate Wagner