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JOSEF E. KÖPPLINGER: „Wir dürfen nicht lügen!“

 


Foto: © Robert Brembeck

JOSEF E. KÖPPLINGER:

„Wir dürfen nicht lügen!“

Josef E. Köpplinger feiert nun, als 53jähriger, nach vielen Anläufen sein Debut als Regisseur an der Wiener Staatsoper: Für „Dantons Tod“ hat es terminlich endlich geklappt, nachdem er fünf Jahre lang, während „sein“ Gärtnerplatztheater in München renoviert wurde, kaum Zeit für Regie-Gastspiele hatte. Eines stellt Köpplinger auch im Gespräch mit Renate Wagner klar: Er hat nicht die Absicht, Volksopern-Direktor zu werden, so sehr der Wiener Klatsch ihn schon in dieser Funktion zu sehen meint…

Herr Köpplinger, Sie kommen gerade von zwei Musical-Inszenierungen, „On the Town“ in St. Gallen, wo Sie früher Intendant waren, und „My Fair Lady“ an Ihrem derzeitigen Haus, dem Staatstheater am Gärtnerplatz in München. Nun inszenieren Sie an der Wiener Staatsoper Gottfried von Einems „Dantons Tod“, ein Werk „modernen Musiktheaters“, wie man noch immer sagen kann, obwohl diese Oper schon 70 Jahre alt ist. Dieses wendige Hin und Her zwischen den Genres – Musical hier, moderne Oper da – scheint für Sie typisch zu sein?

Für mich ist das ganz normal. Man muss bedenken, dass ich – in Bruck an der Leitha lebend – seit meinem zehnten Jahr alle Stehplätze aller Wiener Bühnen frequentiert habe und vom Theatervirus hoffnungslos befallen war, da kam alles zusammen. Dann habe ich mit 18 eine Theatertruppe gegründet, und wir haben auch alles gespielt, was man in dem Alter nicht spielen soll und doch tut. Und als ich nach Regensburg kam, zuerst als Assistent und Abendspielleiter, ließ man mich auch bald „alles“ Verschiedene inszenieren. Dieses Cross Over ist mir geblieben. Und eigentlich wird es nur in unseren Breiten als befremdlich angesehen, in den USA oder London wird jeder es für selbstverständlich halten, dass man Theater, Musical und auch Oper inszeniert, wobei Musical und Operette nach wie vor für einen Regisseur die kompliziertesten Genres sind.

„Dantons Tod“ ist leichter?

Das würde ich nicht sagen, aber in der Oper wirkt einiges entschuldbarer. Wenn ich das Büchner-Stück „Dantons Tod“ als Schauspiel inszeniere, gibt es viele Schauspieler, die man auswählen kann, da diese nicht komplizierte Gesangsmelodien singen müssen. Egal ob Oper oder Schauspiel: „Wir dürfen nicht lügen im Theater“. Die Symbiose von Gesang und Spiel ergibt im besten Fall ein staunenswertes Ergebnis für das Publikum. Ein Beispiel dafür ist „mein“ Danton, Wolfgang Koch, den ich seit unserer gemeinsamen „Evangelimann“-Produktion 2006 an der Volksoper kenne und dem ich freundschaftlich verbunden bin.

Das Erste, was ich einst von Ihnen gesehen habe, und das ist ziemlich genau 20 Jahre her, war 1998 eine Einem-Produktion in der Kammeroper, „Luzifers Lächeln“, mit Peter Keuschnig am Pult. Gottfried von Einem war damals nicht mehr am Leben. Haben Sie ihn eigentlich je persönlich kennen gelernt?

Ja, aber nur durch einen Zufall. Und ich kann noch nicht einmal das Jahr sagen, ich war als Student in Salzburg, und während der Festspiele hatte ich keine Karte, trieb mich vor dem Festspielhaus herum, es begann zu regnen, ich ging schnell in das nächste Lokal, und da saß Gottfried von Einem mit Freunden. Ich sagte ihm, wie sehr ich ihn bewundere, besonders „Dantons Tod“ und „Der Besuch der alten Dame“, die ich in der Staatsoper mit Christa Ludwig gesehen hatte, und er hat sich sehr gefreut. Danach habe ich ihn nie wieder getroffen. Das Angebot der Kammeroper, „Luzifers Lächeln“ zu inszenieren, kam dann von Josef Hussek, und ich habe bei der Arbeit Einems Gattin Lotte Ingrisch kennen und schätzen gelernt. Sie ist eine gute Weggefährtin, wenn es darum geht, an einem Werk ihres Mannes zu arbeiten. Sie hat ja das Libretto geschrieben und war zu Änderungen bereit, wenn ich kleinere Einwände hatte. Und nun, 20 Jahre später, inszeniere ich „Dantons Tod“, die Oper, von der ich Einem gesagt habe, wie sehr ich sie bewundere…

Sie haben einmal gesagt, Theater sei für Sie der Ort der möglichen Verschönerung und Verbesserung der Welt. Wie realisiert man das mit einem so tragischen und in vielen Details auch grausamen Stück wie „Dantons Tod“? Wie geht man so ein Werk überhaupt an, wenn man eine Form dafür sucht?

Wenn man sich einer solchen Inszenierung nähert, treiben einen viele „Gedankenspiele“ um. Die Französische Revolution – die ist in der allgemeinen Vorstellung gleichbedeutend mit der Guillotine, von der die Köpfe rollten. In Österreich kam sie erst mit den Nazis ins Land. Einem und sein Textdichter Boris Blacher haben das Werk, das 1947 uraufgeführt wurde, auf jeden Fall in Hinblick bzw. im Rückblick auf das Dritte Reich und seine blutige Schreckensherrschaft geschrieben. Trotzdem ist es erstaunlich, dass in Frankreich die letzte Enthauptung 1977 durchgeführt wurde, während ich als Teenager fröhliche Louis de Funès-Filme gesehen habe… Es hat nicht lang gedauert, bis ich mich von der Idee verabschiedet habe, die Guillotine auf die Bühne zu bringen. Ein anderer Ansatz ist „das Volk“, eine der Hauptrollen in dieser Oper spielt ja der Chor – und es ist ein ausnehmender Glücksfall mit dem Wiener Staatsopernchor zu arbeiten.

Und wie erzählt man die Geschichte nun für heute?

Ich breche in Werken manchmal dezent die Zeit auf, in der sie spielen, manchmal radikal, aber diesmal habe ich beschlossen, die Ausstattung in der originalen Epoche zu belassen. Der Raum, den ich mit meinem Bühnenbildner Rainer Sinell gefunden habe, ist eine Art riesiger Holzverschlag, ein symbolischer Raum rund um das Geschehen einer gescheiterten Idee und Vision, die untergegangen ist. Danton erkennt dieses Scheitern als Erster. Ich denke, in jedem Fall ist man es jedem Werk schuldig, die Geschichte so klar zu erzählen, dass das Publikum ihr folgen kann.

Wie kommt es eigentlich, dass Ihr Staatsopern-Debut ausgerechnet mit diesem Werk erfolgt, das man Ihrer Biographie nach auf den ersten Blick nicht mit Ihnen in Verbindung bringen würde?

Dominique Meyer hat den „französischen Blick“, das heißt, er ist nicht in dem „Schubladen“-Denken befangen, das hierzulande herrscht – „der Köpplinger macht eh meist Operette und Musical“. Er hat sich zweifellos genau über meine Arbeiten informiert, und so kam es zu diesem Engagement. Tatsächlich gab es schon unter Ioan Holender vor 15 Jahren die ersten Gespräche, aber jetzt ist es sich zum ersten Mal ausgegangen.

Springen wir von Gottfried von Einem, der vor ein paar Jahrzehnten auch ein „Neuer“ und ein Zeitgenosse war, zu den Uraufführungs-Ambitionen, die Sie in Ihrer Eigenschaft als Intendant des Gärtnerplatztheaters zeigen. Bestellen Sie neue Opern bei Komponisten und Librettisten, weil neue Werke nicht entstehen würden, wenn die Künstler quasi ins Leere arbeiten müssten?

Genau, es waren alles Auftragsarbeiten des Staatstheaters am Gärtnerplatz, wobei Cerhas „Onkel Präsident“ in Co-Produktion mit der Volksoper entstand, das Werk also auch in Wien zu sehen war. Von Wilfried Hiller haben wir 2014 „Der Flaschengeist“ gespielt, Felix Mitterer hat das Libretto nach einer Novelle von Robert Louis Stevenson geschrieben, und Hiller arbeitet derzeit für uns an einer Oper über die wir demnächst Genaueres sagen können. Johanna Doderer hat Molnars „Liliom“ vertont, derzeit arbeitet sie zusammen mit dem von mir so geliebten Peter Turrini an einer Oper, die 2020 bei uns herauskommen wird. Das sind fünf Opern-Uraufführungen „auf Bestellung“, und das Publikum geht interessiert mit.

Sie haben ja harte Jahre hinter sich, weil Ihr Stammhaus renoviert wurde und Sie viele Jahre von einer Ersatzspielstätte zur nächsten ziehen mussten…

Ja, ein Intendant ist für vieles zuständig. Auch wenn ich jetzt, da das renovierte Haus endlich seit letzten Oktober wieder eröffnet ist – es wird noch immer daran gebaut -, eher die Möglichkeit habe, außerhalb von München zu inszenieren, ist man immer Intendant, in der Früh, vor der Probe, während der Probe und nach der Probe, natürlich muss man sich um alles kümmern. Glücklicherweise habe ich das schon in meinen Anfängen in Regensburg gelernt, bei der leider kürzlich verstorbenen Intendantin Marietheres List, die mich alles machen ließ. Ich kümmere mich gemeinsam mit meinem Team um Spielplan, Besetzungen, Abonnements, früher bin ich auch täglich zur Kasse gegangen und habe gefragt, wie’s steht – das muss ich im Moment nicht, denn seit der Wiedereröffnung ist das Gärtnerplatztheater zu weit über 90 Prozent ausgelastet… Und als ich neulich einen libanesischen Taxichauffeur und seine Frau in eine „Zauberflöten“-Vorstellung einlud, Menschen, die noch nie in ihrem Leben in einem Theater waren, um ihnen die Schwellenangst zu nehmen, ging mein Herz auf, wie diese beiden Leute in diese Wunderwelt des Theaters eingetreten sind und wie intensiv sie alles erlebt haben. Darum geht es doch auch: Der Oper ihre „hehre“ Zauberwelt zu erhalten, sie aber nicht zu etwas Fremdem zu machen – die Kleidung, in der man hineingeht, ist nur die Hülle, was die Menschen erleben, darauf kommt es mir an.

Und dann ist der Intendant glücklich… Ihre allererste Intendanz kam schon „zuhause“ auf Sie zu?

Ja, das war ganz komisch. Ich hatte damals ein Problem und ging zu unserem Bürgermeister in Bruck an der Leitha und fragte ihn um Rat, was zu tun sei. Er meinte: Ich helfe Dir, wenn Du mir ein Musikfestival machst. Und so habe ich – schon während meiner Jahre in Regensburg – daheim in Bruck an der Leitha im Harrach-Schloß Prugg ein „Musicalfestival“ geleitet. Dann kam die Schauspiel-Intendanz in St. Gallen, dann in Klagenfurt, und danach hat man mich nach München geholt, wo ich seit 2012 bin. Mittlerweile hat man meinen Vertrag bis 2023 verlängert.

Sie sind ja als Niederösterreicher „fast“ ein Wiener, Sie kennen die Stadt, haben an der Kammeroper, im Akzent, für den Klangbogen, oft an der Volksoper, im Volkstheater und an der Josefstadt inszeniert… und Sie wissen, wie hier Klatsch und Tratsch weitergetragen werden. Es gibt Leute, die sehen in Ihnen felsenfest den nächsten Volksopern-Direktor…

Nein. Nicht nur, weil es sich mit der Zeit nicht ausgeht, ich liege nicht auf der Lauer, um meinen Freund Robert Meyer – den ich ja jetzt auch als Doolittle in meine „My Fair Lady“-Inszenierung im München geholt habe – zu beerben. Aber ich sage Ihnen ehrlich, was mich interessiert hat – wobei ich mich nirgends ohne Aufforderung bewerbe! Ich dränge mich nicht auf, ich bin kein Klinkenputzer. Wenn man Interesse an meiner Person hat, mich fragt, stelle ich mich auch gern einem Gespräch. Es gab Gespräche, als man bei den Vereinigten Bühnen erwog, nach dem Abgang von Roland Geyer die drei Häuser wieder unter eine gemeinsame Leitung zu stellen. Davon ist man ja wieder abgekommen.

Wien würde Sie als Intendant nicht interessieren?

Aber wovon reden wir? Wer weiß, ob ich 2023 überhaupt noch Lust habe, eine Intendanz auf mich zu nehmen? Auch wenn es noch so befriedigend ist, selbst zu bestimmen und selbst etwas zu bewegen. Aber man kann ja auch „nur“ inszenieren – für mich stehen neue Engagements in Dresden an der Semperoper und in Barcelona am Liceu an, es wäre wahrscheinlich das bequemere Leben. Ich muss nicht in Wien Operndirektor werden, aber ich komme gern immer wieder hierher zurück. Ich liebe eben die Wiener Stadt, und ich glaube, es ist künstlerisch noch viel zu tun in bewegten Zeiten wie diesen.

Dann vorläufig viel Erfolg für den aktuellen „Danton“ – und sehen wir, was die Zukunft bringt.

 

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