Online Merker Logo

Die internationale Kulturplattform

Jonathan Garfinkel: GELOBTES HAUS

28.09.2021 | buch, CD/DVD/BUCH/Apps

buch garfinkel gelobtes haus c o b e r

Jonathan Garfinkel:
GELOBTES HAUS
Meine Reise nach Jerusalem
350 Seiten, Mandelbaum Verlag, 2021 

Wer sich darüber wundern sollte, dass ein Buch, dessen Original „Ambivalence – Crossing the Israel Palestine Divide“ 2007 in Kanada erschien, vierzehn Jahre brauchte, um nun endlich auf Deutsch im österreichischen Mandelbaum Verlag zu erscheinen, muss einiges über den Autor wissen – und dann zuerst im Nachwort des Buches nachsehen (das man allerdings erst voll versteht, wenn man vorher das Buch selbst gelesen hat).

Jonathan Garfinkel, Jahrgang 1973, stammt aus einer jüdisch-kanadischen Familie, der Vater ein angesehener Psychiater, die Eltern heute geschieden. Keine leidenschaftlichen Zionisten, aber bewusste Juden, die ihrem Sohn eine jüdisch fundierte Ausbildung zukommen lassen wollten. Darum schickten sie ihn in die Bialik Hebrew Day School in Toronto.

Dort gab es nicht nur einen liberalen Rabbi, der erklärte, die „Auserwähltheit“ des jüdischen Volkes bedeute nur, dass Gott ihnen besonders Schweres abverlangen würde, nicht aber, dass er das jüdische Volk über andere erhebe. Ganz anderer Meinung war die Klassenlehrerin Mrs. Blintzkrieg (man könnte vermuten, dass der Name, den Garfinkel in seinem Buch nennt, ein satirisches Pseudonym ist). Diese hatte in ihrer Jugend eine Zeit in einem Kibbuz in Israel verbracht und war die leidenschaftlichste Apologetin dieses Landes. Mit all den Vorurteilen, die von israelischer Seite her darüber verbreitet wurde und mit denen sie versuchte, ihre Schüler zu indoktrinieren. Mit den „auserwählten Juden“, den feigen Palästinensern, die aus ihrem wertlosen Land davon gelaufen wären, während die Juden den blühenden Garten daraus machten, mit Holocaust-Filmen, um die Opferrolle immer wieder zu unterstreichen… Ganz anders hörte Garfinkel die Geschichte Israels aus der Sicht der Palästinenserin Rana, die er in Toronto traf.

Nun, Jonathan Garfinkel, der Autor wurde, weil er nichts so liebte wie die Literatur, ist nach Israel gefahren und hat seine dortigen Erkenntnisse in dem Buch „Ambivalence“ niedergelegt. Wie später auch mit seinen divers diskutierten Theaterstücken stach er in ein  Wespennest. Dass ein Jude auch den Standpunkt der Palästinenser verstehen konnte, war in seiner Community undenkbar. Es hagelte Kritik, Vorwürfe, Beschimpfungen. Der deutsche Luchterhand Verlag, der das Buch herausbringen wollte, entschied sich dann doch dagegen – eine solche Position wagte man in Deutschland nicht zur Diskussion zu stellen.

Für viele in der „Diaspora“ lebenden Juden ist Israel ein Land, das sie unbedingt einmal besuchen müssen, ist Jerusalem eine magische Stadt – Garfinkels Freundin Judith träumt davon, ihn vor der Klagemauer zu heiraten… Gefahren ist er allerdings allein und ganz ohne romantische  Vorstellungen (so sehr ihn Mrs, Blintzkrieg bis in seine Träume verfolgte): „Ich will Zeuge sein, Augen und Ohren aufsperren.“

Tatsächlich reiste Garfinkel (dem man in der Schule Hebräisch beigebracht hatte) nicht als Tourist, sondern hatte eine ganz feste Vorstellung. Rana hatte ihm erzählt, dass sie in Jerusalem in einem Haus gewohnt hätte, in dem Juden und Palästinenser zusammen lebten, und das wollte Garfinkel sehen, sozusagen als „ideale Forderung“ für die beiden Völker dieses Landes. Ein gelobtes Haus im gelobten Land…

Ganz so, wie Rana sie geschildert hatte, fand er die Verhältnisse nicht – eigentlich überhaupt nicht. Er kam in ein Land, wo Juden und Palästinenser sich aus dem Weg gingen und nach Möglichkeit gar nicht miteinander sprachen. Und in dem Haus, das keinesfalls das „Gelobte Haus“ des deutschen Titels ist, fand er die wirrsten Verhältnisse vor. Die Juden hatten, als sie nach Palästina kamen, einen großen Teil der einheimischen Bevölkerung verjagt und waren in deren Häuser eingezogen, weil sie ja schließlich da waren. Im Fall des fraglichen Hauses handelte es sich um einen ganzen Häuserkomplex. Dort war Shimon, der eigentlich aus Marokko stammte und sich dort viel wohler gefühlt hatte, eingezogen, als man Juden ins Land holte, viel versprach und ihnen Häuser anbot. Es war natürlich ein Palästinenserhaus, das – ein absoluter Ausnahmefall – nach langen Prozessen an den ursprünglichen Eigentümer Abu Dalo zurück gegeben wurde. Shimon allerdings betrachtete es als sein Haus und weigerte sich auszuziehen. Da es sich um einen Häuserkomplex handelte, wohnte der palästinensische Besitzer gleich nebenan – verfeindete Nachbarn, auf ewig getrennt durch die jeweiligen Ansprüche…

Diese Geschichte steht im Zentrum des Buches, das noch sehr viel vom Alltag in diesem Land zu berichten hat (bis zu dem bösen Witz über ein Flüchtlingslager, das zum Wohlbefinden der Besucher beitrüge – weil sie nicht dort leben müssten). Von der hoffnungslosen Starre und Feindseligkeiten auf beiden Seiten. Und als Rana sagt, sie halte Selbstmordattentate für eine legitime Form des Widerstandes, da weiß Garfinkel, dass auch das Unrecht auf beiden Seiten wohnt.

Dem Autor ist klar, dass sich daran in den letzten eineinhalb Jahrzehnten nichts zum Besseren gewendet hat, dass sein Buch aktuell geblieben ist. Sein Nachwort, das er im Juli 2021 in Berlin schrieb (wo er derzeit lebt), hofft, dass Shimon und Abu Dalo vielleicht im Lockdown anfangen, miteinander zu reden… und sei es nur aus Langeweile. Aber wirklich hoffnungsfroh wirkt er nicht.

Und er kann auch noch nicht wissen, wie eine deutsche Öffentlichkeit nun, da das Buch erschienen ist, auf eine Darstellung Israels reagiert, in der das volle Unrecht an den Palästinensern ausgebreitet (aber gleicherweise dialektisch diskutiert) wird. Auch wenn es von einem Juden kommt. Schon gar nicht, wenn es von einem Juden kommt?

Renate Wagner

 

Diese Seite drucken