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JOHANNA RACHINGER: Ob Papier, ob digital – lesen ist lesen

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Alle Fotos: Österreichische Nationalbibliothek

Generaldirektorin Dr. JOHANNA RACHINGER

Ob Papier, ob digital – lesen ist lesen

Der Vertrag von Dr. Johanna Rachinger als Generaldirektorin der Österreichischen Nationalbibliothek ist eben zum dritten Mal verlängert worden. Viele Projekte laufen, andere stehen in Zukunft an. Zu diesem Anlass haben wir mit Dr. Johanna Rachinger das folgende Gespräch geführt

Von Renate Wagner

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Die Nationalbibliothek, Eingang Josefsplatz

Fr. Dr. Rachinger, herzlichen Glückwunsch zur Verlängerung Ihres Vertrags als Generaldirektorin der Österreichischen Nationalbibliothek. Er geht nun bis 2021, dann werden Sie diese Institution zwei Jahrzehnte lang geleitet haben. Als Sie damals, davor in der Verlagsbranche tätig, diese Position übernommen haben – hatten Sie da eine Vorstellung, was alles auf Sie zukommt?

Als Geschäftsführerin des Ueberreuter Verlags konnte ich viele Erfahrungen mitbringen, denn die Verlagsbranche ist ähnlich komplex wie die Bibliotheksbranche; das hat mir zu Beginn sehr geholfen, denn es galt, die Österreichische Nationalbibliothek aus der Bundesverwaltung in die Vollrechtsfähigkeit zu führen, gleichsam eine selbst verantwortliche „Firma“ daraus zu machen. Das war eine Management-Aufgabe, die mich sehr gereizt hat. Letztendlich ging es darum, das Haus ins 21. Jahrhundert zu führen, die Herausforderungen der modernen Informationstechnologien anzugehen und eine service- und dienstleistungsorientierte Einrichtung zu schaffen. Und ich glaube, das ist uns in vielerlei Hinsicht gelungen: Wir haben mehr Besucher denn je, sowohl in unseren Museen als auch in den Lesesälen, die täglich, von Montag bis Sonntag, von 9 bis 21 Uhr geöffnet sind. Um dem Besucherandrang gerecht zu werden, haben wir in den letzten Jahren zwei zusätzliche Lesesäle geschaffen. Zur Zeit verzeichnen wir täglich an die 800 Leser. Enorm gestiegen, nämlich auf 11 Millionen jährlich, sind auch die Suchabfragen in unseren Online-Katalogen.

Sie sind sehr schnell das Problem von Provenzienzforschung und Restitution angegangen – vorbildlich geradezu.

Das war für mich von Anfang an eine Selbstverständlichkeit und eine moralische Verpflichtung. Zu Beginn war zwar gegen einige Widerstände im Haus anzukämpfen, nicht weil die Mitarbeiter die Notwendigkeit nicht gesehen hätten, sondern weil Bibliothekare dazu neigen, die ihr anvertrauten Werke zu schützen und sie nicht hergeben wollen. Aber schließlich war die Bereitschaft, das durchzuziehen, sehr groß. Und bis auf wenige Ausnahmen, wo wir – in intensiver Zusammenarbeit mit der Kultusgemeinde – noch Erben suchen, haben wir mittlerweile alle Bücher an die Erben der Beraubten zurückgestellt. Es waren auch sehr wertvolle Werke darunter, aber in den meisten Fällen handelte es sich um Bücher mit einem hohen persönlichen Erinnerungswert: Menschen haben ein Stück aus ihrer Familie zurück bekommen – ein Buch, in das vielleicht die im Konzentrationslager umgekommene Großmutter etwas hineingeschrieben hat… Letztendlich haben wir über 46.000 Bücher restituiert.

Und Sie standen vor der gesamten Problematik der Digitalisierung. Als Sie da „Google“ zu Hilfe genommen haben, wurde das auch mit Zweifel betrachtet, da der Ruf der „Internet-Giganten“ nicht der beste ist.

Die digitale Herausforderung ist für uns nach wie vor die Größte. Für mich war die Entscheidung mit Google zusammenzuarbeiten eine Riesenchance und zweifellos der richtige Schritt. Bis Ende 2018 werden wir 600.000 urheberrechtsfreie Werke digitalisiert haben. Bereits jetzt sind mehr als die Hälfte kostenfrei im Netz zugänglich. Alle digitalisierten Werke sind vor 1870 erschienen, damit ist garantiert, dass keine Autorenrechte verletzt werden. Google übernimmt dabei die Kosten für Transport, Versicherung und Digitalisierung. Im Gegenzug können die Werke über Google-Books kostenfrei gelesen werden. Wir ersparen also nicht nur dem Steuerzahler viel Geld, sondern tragen auch zur Demokratisierung des Wissens bei. Und es gibt noch einen weiteren, ganz wichtigen Grund für die Digitalisierung alter Bücher: Im Falle einer Brandkatastrophe wie z.B. vor wenigen Jahren in der Anna-Amalia-Bibliothek in Weimar wären zumindest die Inhalte der Werke gerettet. Dass wir mit den digitalen Daten genauso sorgfältig umgehen müssen wie mit den Büchern selbst, ist dabei selbstverständlich.

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Der Prunksaal als Ort stets wechselnder Ausstellungen (derzeit über Kaiser Franz Joseph)

Hat das Lesen überhaupt noch Zukunft, wenn junge Leute heute nur noch in ihre Handys starren und dort die sozialen Medien mit ihrer Kürzelsprache abfragen – wie, denken Sie, kann es da um eine künftige Kultur des Lesens stehen?

Ich sehe das nicht so pessimistisch. Jugendliche nützen das Internet, und um dazu imstande zu sein, müssen sie schon gut lesen können. Wichtig ist aber die Vorbildwirkung im Elternhaus, dass Eltern ihren Kindern vorlesen, dass es überhaupt Bücher in einem Haushalt gibt, dass Buchhandlungen und Bibliotheken aufgesucht werden. All das hilft Kindern und Jugendlichen einen Zugang zu Literatur zu finden. Nicht so wichtig scheint mir ob Jugendliche gedruckte Bücher oder e-books lesen. Der Inhalt bleibt ja derselbe. Ich selbst bevorzuge e-books etwa beim Reisen. Es ist sehr praktisch, sich auf ein Gerät zum Beispiel 20 verschiedene Werke laden zu können und wenn das Licht schlechter wird, vergrößert man einfach die Schrift. Ich denke dennoch nicht, dass das gedruckte Buch verschwindet, aber es wird nicht in allen Bereichen und bei allen Themen das Leitmedium bleiben.

Wie sehen Sie die Zukunft des gedruckten Buches überhaupt? Hat das Papier nicht bereits nicht nur die Schlacht, sondern auch schon den Krieg verloren? Hat man Sie missverstanden, als man kolportierte, Sie hätten gesagt, künftig werde es Bücher nur noch digital geben – was dann einen ziemlichen Aufstand der IG Autoren nach sich zog?

So wie das Fernsehen das Kino nicht verdrängt hat, wird auch das e-book das gedruckte Buch nicht verdrängen. Wir wollen aber in Zukunft bei Neuerscheinungen nicht mehr nur das gedruckte Buch sondern – so es eine digitale Ausgabe gibt – auch diese sammeln, um künftigen Generationen die Kosten für die Digitalisierung zu ersparen. Wir archivieren heute auch schon das österreichische Web, damit dieses Wissen für die Nachwelt nicht verloren geht. Und wir archivieren selbstverständlich auch sogenannte „born-digital Medien“, also Bücher und Zeitschriften die nur mehr online erscheinen. Trotzdem sammeln wir pro Jahr immer noch über 30.000 gedruckte Bücher, teils aus den Pflichtexemplaren der österreichischen Verlage, teils durch Ankäufe von Büchern die im Ausland erschienen sind. Das sind dann in erster Linie Bücher über Österreich und Bücher österreichischer Autoren, die im Ausland publizieren. Aber wir reagieren auch auf Wünsche unserer Leser die wir – so weit als möglich – berücksichtigen.

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Bücherspeicher

Wenn die gedruckten Bücher aber doch weniger werden – braucht man dann den „Bücherspeicher“, von dem immer wieder die Rede ist, eigentlich noch?

Wir haben einen großen Bücherspeicher unter dem Burggarten, der 1992 eröffnet wurde und mittlerweile an seine Kapazitätsgrenzen stößt. Die Zahl der jährlich bei uns einlangenden Bücher geht nicht zurück, und da wir laut Mediengesetz zum Sammeln verpflichtet sind, benötigen wir dringend einen neuen Speicher. Es ist uns gelungen dieses Projekt im aktuellen Regierungsprogramm zu verankern. Und wir hoffen sehr, dass es bald umgesetzt wird. Ein Bücherspeicher unter dem Heldenplatz wäre im Sinne der Sparsamkeit, Wirtschaftlichkeit und Zweckmäßigkeit sicher die beste und nachhaltigste Lösung: Die Nähe zu den Lesesälen ist ideal, es fallen keine Transportkosten an usw. Allerdings wird durch die Generalsanierung des Parlaments die rasche Umsetzung des Projekts schwierig, da am Heldenplatz Container für die Parlamentsmitarbeiter aufgestellt werden und es möglicherweise für einige Jahre keine Baustelle geben kann. Das würde bedeuten, dass wir uns kurzfristig woanders einmieten müssen.

Es gibt für die Zukunft ein Papier, das Sie „Vision 2025“ genannt haben, also noch über das – vorläufige – Ende Ihrer Zeit als Generaldirektorin hinaus. Was beinhaltet das?

Mit der „Vision 2025“ haben wir uns ein ambitioniertes, großes Ziel gesetzt, das wir in kleineren Zeiteinheiten innerhalb unserer strategischen Planungen anpeilen können. So eine Vision kann man nicht von oben nach unten vorschreiben, sondern nur von unten nach oben entwickeln und wir haben sie uns in vielen Besprechungen und Diskussionen erarbeitet. Im Kern geht es bei der „Vision“ um den Wandel der Österreichischen Nationalbibliothek von der Gelehrtenbibliothek des 20. Jahrhunderts hin zum digitalen Wissenszentrum des 21. Jahrhunderts.

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Jonas Kaufmann wurde „Buchpate“

In Zeiten wie diesen ist das Fundraising, das Auftun von Geldquellen, wichtiger denn je. Es scheint, dass Sie mit der Buchpatenschafts-Aktion eine besonders attraktive Form gefunden haben, zumal auch immer wieder fotogene Prominente dafür zu begeistern sind – wie Jonas Kaufmann, der die Patenschaft über die „Fidelio“-Partitur von 1814 übernahm?

Die Aktion Buchpatenschaft ist eine der erfolgreichsten Fundraisingaktionen Österreichs. Wir haben bereits über 8.000 Buchpaten. Eine Patenschaft für ein Buch kostet mindestens 500 Euro, der Großzügigkeit nach oben sind keine Grenzen gesetzt. Es hat sich herumgesprochen, dass eine Buchpatenschaft auch ein schönes, nobles Geschenk ist – sie wird bei Pensionierungen geschenkt oder auch zu Taufen und Geburtstagen, und man kann natürlich für den Beschenkten ein Buch auswählen, das seinen Interessen ganz besonders entspricht.

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Grillparzers Arbeitszimmer im Originalzustand
als Zentrum des (modernen) Literaturmuseums

Frau Dr. Rachinger, Sie betreuen im Rahmen der Nationalbibliothek mehrere Häuser und Institutionen – Papyrus-, Globen-, Esperanto-Museum, vor nicht allzu langer Zeit kam das Literaturmuseum im ehemaligen k. k. Hofkammerarchiv in der Johannesgasse dazu, das Sie zu meiner persönlichen Freude „Grillparzerhaus“ getauft haben, und nun wird auch das zu errichtende „Haus der Geschichte“ in Ihre Verantwortung fallen. Wieso?

Die Österreichische Nationalbibliothek besitzt eine Fülle von Dokumenten, die in einem Haus der Geschichte gezeigt werden können. Es macht also durchaus Sinn, dieses neue Museum auch organisatorisch an die Bibliothek anzubinden. Zudem haben wir im Prunksaal schon viele Sonderausstellungen zu zeithistorischen Themen präsentiert, und wir sehen, dass das Interesse der Bevölkerung sehr groß ist und gerade diese Themen besonders gut ankommen – egal ob zu 75 Jahre „Anschluss“, 70 Jahre Ende Zweiter Weltkrieg oder 100 Jahre Ausbruch des Ersten Weltkriegs. Derzeit ist übrigens auch die Ausstellung zum 100. Todestag von Kaiser Franz Joseph ein großer Erfolg. Wir gehen also davon aus, dass ein Haus der Geschichte wichtig und nötig ist. Es wird auf 3.620 Quadratmetern in der Neuen Burg entstehen und wir streben eine Teileröffnung zum Republik-Jubiläum 2018 an.

Frau Dr. Rachinger, vielen Dank für dieses Gespräch.

 

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