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Johanna Mertinz: EXODUS DER TALENTE

08.06.2019 | buch, CD/DVD/BUCH/Apps

Johanna Mertinz:
EXODUS DER TALENTE
Heinrich Schnitzler und das Deutsche Volkstheater Wien, 1938-1945
304 Seiten, Mandelbaum Verlag, 2019

Dem Volkstheater war sie als Schauspielerin über dreißig Jahre verbunden, und als sie als „Zweitkarriere“ das Doktorratsstudium aufnahm, hat Johanna Mertinz sich „ihrem“ Haus und den dunklen Jahren seiner Geschichte zugewandt. „Exodus der Talente“ ist der griffige Titel, bietet ein Lexikon der durch die Nationalsozialisten entfernten Künstler des Volkstheaters und stellt dabei Heinrich Schnitzler in den Mittelpunkt, dessen umfangreichen, im Österreichischen Theatermuseum befindlichen Nachlaß sie ausgewertet hat.

Sein Briefwechsel mit den Kollegen spielt in deren Kurzbiographien eine wichtige Rolle – Heinrich Schnitzler war ein großer und auch sehr gewissenhafter Briefschreiber. (Der Umfang des Nachlasses zeugt vom Fleiß der Autorin, all dies einzusehen: 152 Kartons im Ganzen, davon 66 mit Briefwechsel, 71 Werkmanuskripte, 10 Druckschriften, 5 Lebensdokumente.)

Vordringlich wird das Buch zu einer Biographie von Heinrich Schnitzler, die verdiente Würdigung eines Mannes, der mehr war als nur „der Sohn“, aber die Rolle des Sohnes von Arthur Schnitzler – und Hüter des Nachlasses – auch stets als eine seiner wichtigsten Lebensaufgaben betrachtet hat.

Denkt man an Parallel-Schicksale, etwa die Probleme der Mann-Söhne mit Übervater Thomas, so war die Beziehung Arthur Schnitzlers zu seinen beiden Kinder Heinrich („Heini“) und Lili die reinste und glücklichste, die es in seinem Leben gab (abgesehen von der Katastrophe, die Lilis Tod für ihn bedeutete). Man liebte und schätzte einander, und Arthur Schnitzler war immer für seine Kinder da. Die Geburt von Heinrich am 9. August 1902 veranlasste den notorisch bindungsscheuen Dichter, dessen Mutter Olga Gussmann 1903 zu heiraten. 1909 kam Tochter Lili zur Welt, Schnitzler selbst hätte gerne noch ein drittes Kind gehabt, Olga weigerte sich. Die Ehe begann bald danach zu zerbröckeln. Heinrich stand in den Auseinandersetzungen des Ehepaars immer fest an der Seite seines Vaters, wenn er auch seine dann greise Mutter bis zu ihrem Ende, im Schweizerischen Lugano, regelmäßig besuchte.

Hätte sich Heinrich Schnitzler, ein hervorragender Klavierspieler, nicht in seiner Jugend eine Hand „überübt“, wäre er wohl Musiker geworden wie seine Freunde George Szell und Rudolf Serkin, die als Dirigent bzw. Pianist weltberühmt wurden. Die Welt des Theaters, die für den Vater eine so wichtige Rolle spielte, wurde dann für Heinrich Schnitzler auch die seine. Als Schauspieler, als Dramaturg, schließlich als Regisseur, wo er am noch „Deutschen Volkstheater“ in Wien (nach dem Tod des Vaters war er von Berlin hierher zurück gekehrt) erfolgreiche Inszenierungen ablieferte.

Das zitierte reiche Nachlaßmaterial ermöglicht es der Autorin, die bewegten Jahre der Emigration für Heinrich Schnitzler und seine Frau Lilly (geb. Strakosch-Feldringen) genau nachzuzeichnen, die sich durch Ruhelosigkeit auszeichneten, den Versuch, in den USA in seinem Beruf Fuß zu fassen, schließlich die Tätigkeit an der Universität von Berkeley.

Heinrich Schnitzler entschloß sich nur zögernd zur Rückkehr nach Österreich (ganz anders als sein Freund Ernst Deutsch, der erklärt hatte: „Mit dem ersten Schiff bin ich drüben“). Bei dieser Gelegenheit wirft die Autorin die Frage nach seinem „jüdischen“ Bewusstsein auf. Heinrich Schnitzler war – schon von seinem Elternhaus her – absolut kein religiöser Jude, auch kein „stolzer“ (wie Kollege Friedrich Torberg), hatte allerdings auch nie Verständnis für das Bedürfnis von Hans Weigel, sein Judentum unter den Tisch zu kehren. Er war Jude, punktum, weder geleugnet noch zelebriert.

Und er hätte natürlich erwartet, nach seiner Rückkehr wieder an das Volkstheater zu kommen, „das war mein Haus“. Ein nachhaltiges Angebot kam jedoch von Franz Stoss aus der Josefstadt, der ihm nicht nur Regiearbeiten, sondern auch die Vizedirektion des Hauses anbot. Und hier hat Heinrich Schnitzler dann jahrelang mit höchstrangigen Schauspielern (Leopold Rudolf, Vilma Degischer, Erik Frey, Hans Holt, Michael Heltau u.a.) arbeiten können und auch die „Schnitzler-Renaissance“ rund um den 100. Geburtstag seines Vaters 1962 (nach den Burgtheater im Akademietheater-Aufführungen von Ernst Lothar, „Das weite Land“ und „Anatol“) mit „Der einsame Weg“ angestoßen.

An sich würde man seine Josefstadt-Inszenierungen für einen Höhepunkt der Josefstadt in der damaligen Zeit halten. Evelyn Deutsch-Schreiner (die für die Autorin des Buches wichtigste Wissenschaftlerin) wirft ihm allerdings unreflektierten Zugang, unverbindliche Glätte und Publikumsgefälligkeit vor – eine retrospektive Verurteilung, die weder der Zeit, in der Heinrich Schnitzler arbeitete, noch seiner persönlichen Position gerecht wird.

Sicher, andere Regisseure – etwa der um zehn Jahre ältere Fritz Kortner – hätten seinem Credo nicht zugestimmt, das lautete: „Der beste Regisseur ist derjenige, den man nicht merkt.“ Diese Haltung kam aus tiefem Respekt dem Werk der Dichter gegenüber (und das bezog sich nicht nur auf die Stücke seines Vaters), die er fast immer in ihrer Zeit und ihrer Welt beließ, wobei er sich auf die Psychologie und die innere Glaubwürdigkeit der darin vorkommenden Menschen („Menschen“ nicht „Figuren“) konzentrierte. Willkürliche „Ideen“ waren ihm fremd (so reagierte er mit Entsetzen auf eine deutsche „Liebelei“-Aufführung, in welcher der Regisseur Christine aufs Klo gehen ließ). Er hatte, als er am 12. Juli 1982 starb, mit wachem Auge die Entwicklung (nicht zuletzt durch die Lektüre von „Theater heute“) verfolgt, ohne aus Opportunismus auf einen fahrenden Zug aufspringen zu wollen, dessen Richtung er nicht billigen konnte.

Das darauf folgende „Lexikon“ von vertriebenen Theaterschaffenden aus dem Umkreis des Volkstheaters ist ein Schatz des Wiener Theaterlebens, und manche Namen – von Hans Jaray bis Adrienne Gessner – werden älteren Theaterbesuchern noch vertraut sein, andere wie Bassermann, Kortner, Wolfgang Heinz, Paryla stehen unverrückbar in der Theatergeschichte. Die Biographien erfolgen stichwortartig, der Briefwechsel mit Heinrich Schnitzler wird aufgelistet und zitiert, meist in Hinblick auf nachdrückliche Einblicke in das Leben in der Emigration.

Renate Wagner

 

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