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JOHANN SEBASTIAN BACH: MATTHÄUSPASSION

27.03.2017 | cd, CD/DVD/BUCH/Apps

0843183072521

JOHANN SEBASTIAN BACH:
MATTHÄUSPASSION
Sir John Eliot Gardiner

SDG CD

live aus der Kathedrale von Pisa 22. September 2016, Anima Mundi Festival

„Alles was ich brauche, ist eine leere Bühne, Chorsänger, die ohne Noten auskommen und Solisten, die mit den Spielern der obligaten Instrumente interagieren und im Rahmen einer einfachen, würdevollen Choreographie die ihrer jeweiligen Rolle entsprechenden Positionen beziehen.“ Gardiner

Ostern naht und damit das Füllhorn an neuen Veröffentlichungen und Deutungen von Bachs großen Passionen. Da mischt nun auch der britische Altmeister Gardiner mit, der 30 Jahre nach seiner ersten Aufnahme der Matthäus-Passion beim eigenen Label Soli Deo Gloria wohl die definitive Lesart von Bachs liturgischem Klangkosmos bietet. Die Einspielung entstand am Ende einer Konzerttournee, die den in diesem Genre wohl weltbesten Monteverdi Choir und die English Baroque Soloists auf insgesamt 16 Stationen von Valencia aus durch ganz Europa führte. Die CD dokumentiert die letzte Station der Tournee, ein Konzert, das am 22. September 2016 im Dom zu Pisa aufgezeichnet wurde. Während Gardiner in seiner früheren Aufnahme noch „große“ Vokalsolisten engagiert hat, hat er nun die Ariensänger und Soliloquenten aus den Reihen des paradiesisch schön singenden Monteverdi Chores gewählt. „Er bewegt sich damit nicht nur näher an den historischen Aufführungsbedingungen, er bewirkt dadurch auch eine größere Geschlossenheit des Gesamtklangs.“

Wie Gardiner selbst im Booklet zur Matthäuspassion anmerkt, stand für Bach das Ziel im Vordergrund, dem Zuhörer zwischen den einzelnen Szenen des Evangeliumsberichts mehr Zeit für Reflexion und Kontemplation zu geben. Folgerichtig wird den meisten Arien ein Arioso vorangestellt, als Überleitung und als Vorbereitung des Zuhörers auf die sich anschließende kontemplative Arie. Choräle geben wiederum Gelegenheit, die vom Solisten zum Ausdruck gebrachten Gefühle noch einmal aus der Perspektive eines ihnen vertrauten Kirchenlieds zu betrachten.

Gerade im Luther Jahr 2017 soll wieder daran erinnert werden, dass Luther von der Musik verlangte, den Text lebendig werden zu lassen. Dieses Leitmotiv durchdringt die neue Aufnahme Gardiners mit schroffen Farbkontrasten und groß geatmeter Faktur ganz besonders. Die Leidensgeschichte Jesu ward kaum je plastischer dargeboten, der Handlung entsprechend zwischen dramatischer Aktion und ruhig meditativer Betrachtung changierend. Nicht theatralische Effekte bestimmen Gardiners Dirigat, sondern er macht die Matthäuspassion als „ zutiefst menschliches Drama, voller Herausforderungen und Mühen, Verrat und Vergebung, Liebe und Opfer, Mitleid und Erbarmen“ verständlich.

Die Matthäuspassion geht jeden was an, sie gibt Raum zur Meditation und spannungsgeladener Zuspitzung, Innehalten und Vorwärtsdrängen. Gardiner hat sein Bach Buch „Musik für die Himmelsburg“ genannt. Genau so empfindet der Zuhörer des vorliegenden Live-Mitschnitts die wohlvertraute und doch spirituell und unmittelbar ohne Weihrauch erlebte Musik, die (wie Gardiner es während der Proben notierte) von „einer pulsierenden und erfrischenden Energie durchströmt“ scheint. Dazu tragen auch James Gilchrist als Evangelist, Stephen Loges als Jesus und der großartige Monteverdi Choir ganz bei. Alle Solisten machen einen tadellosen Job. Das Orchester folgt dem spiritus rector bis auf den kleinsten Fingerzeig.

Fazit: Zumindest auf Tonträgern ist das Osterfest mit Gardiners neuer Matthäuspassion schon bestens bestellt.

Dr. Ingobert Waltenberger

 

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