JÖRG SCHNEIDER
Das Glück, mit Saft und Kraft zu singen
Jörg Schneider ist seit dieser Spielzeit fix an der Wiener Staatsoper engagiert und absolviert in „Dantons Tod“ schon seine zweite Premiere am Haus – „Samson et Dalilah“ wird dann die dritte sein. Vielleicht nur kleine Rollen, aber als Cover ist er für viele große Partien eingesetzt und freut sich schon auf den Max, „auch wenn Andreas Schager natürlich alle Vorstellungen singen soll“. Bei aller ewigen Liebe zur Operette – ein Fachwechsel ist schon vollzogen und bietet noch einiges in der Zukunft.
Von Renate Wagner
Herr Schneider, als doch neues Ensemblemitglied gleich so vielfach eingesetzt zu werden, wie fühlt man sich da?
Na wunderbar, zumal in dieser Vorstellung von „Dantons Tod“: Außer unserem Danton, Wolfgang Koch, sind ja alle Rollen aus dem Haus besetzt, und es ist einfach toll, mit welchen Kollegen man da auf der Bühne steht. Ich habe das Gefühl, dass ich hier an der Staatsoper angenommen, geschätzt und gewürdigt werde, und mehr kann man sich ja nicht wünschen.
Wie ist es nach zehn Jahren Volksoper zu diesem Engagement gekommen?
Da war dieser doch sehr erfolgreiche „Fidelio“ im Mai 2017, wo ich als Jacquino eingesprungen bin. Danach gab es ein Gespräch, für mich war es Zeit, mich zu verändern, und jetzt bin ich sehr glücklich, hier zu sein. Ich singe gerne, was man mir gibt, und es ist schön, für große Rollen Cover zu sein – für den Flamand in „Capriccio“, ich habe schon den Leukippos in der „Daphne“ gecovert (den ich übrigens schon in Barcelona gesungen habe, noch mit Johan Botha als Partner), den Lurcanio in „Ariodante“, und besonders freue ich mich, dass ich den Max im „Freischütz“ mitproben darf, wenn ich auch weiß, dass Andreas Schager jede Vorstellung singen und prachtvoll sein wird. Aber das ist eine Rolle, die ich für die Zukunft im Auge behalte – gesungen habe ich sie ja schon einmal zuhause in Oberösterreich, in einer konzertanten Aufführung in Leonding.
Hat der Wechsel zur Staatsoper auch mit einer Umschichtung Ihres Repertoires zu tun? Den Tamino singen Sie ja noch immer, wenn Sie ihn nicht absagen wie bei der „Kinder Zauberflöte“ nach dem Opernball, was ich sehr bedauert habe.
Und ich erst! Meine ganze Familie war eingeladen, ich hatte 14 Karten für Frau, Tochter, Verwandte und Freunde gebucht, und dann spüre ich in der Kehle, dass ich absolut nicht singen kann… niemand bedauert das mehr als ein Sänger selbst. Aber richtig, Tamino ist noch fest in meinem Repertoire, Don Ottavio auch, hingegen habe ich Belmonte und Guglielmo ebenso hinter mir gelassen wie die leichten Rossini- und Donizetti-Partien. Die Veränderung der Stimme kam wohl 2014 mit den „Geschichten aus dem Wiener Wald“ von Nali Gruber, der Oskar war eine gewaltige Partie, und seither sitzt die Stimme mehr in der Breite, hoffentlich ohne an Schönheit zu verlieren. Kurz gesagt, ich habe das Gefühl, mit Saft und Kraft zu singen, ist für mich auf einmal viel einfacher geworden. Ich möchte allerdings alles, was ich mir künftig vornehme, im Rahmen dessen belassen, wo es noch um das „schöne“ Singen geht und nicht um Gewaltakte, also etwa den Max, vielleicht einen Erik, einen Titus. Und eines Tages vielleicht, vielleicht der Florestan.
Um zu Gottfried von Einem zurück zu kommen: Da begegnet er einem ein Leben lang nicht – und dann zweimal hintereinander.
Stimmt. Jetzt also der Hérault de Séchelles in „Dantons Tod“, keine sehr große Rolle, aber nicht unwichtig, denn Danton muss immer seine beiden Gefährten quasi als Unterstützung im Hintergrund haben. Er ist rhythmisch kompliziert zu singen, aber mit viel Text, viel Geschnattere, wie ich es gern habe. Und wenn man dann einen Regisseur wie Josef Köpplinger hat, der einem schauspielerisch ganz genau erklärt, was man mit der Figur anfängt, ist das schon sehr schön. Er steht auf absolut natürliches Spiel, und das liegt mir sehr. Über den Titorelli in Einems „Prozeß“ kann ich noch nicht viel sagen, den muss ich erst lernen. Aber als Nali Gruber, der die konzertante Aufführung bei den Salzburger Festspielen dirigiert, gesehen hat, dass ich als Vierter Jude in der „Salome“ auf jeden Fall in Salzburg sein werde, hat er mich für die Rolle geholt.
Apropos „Salome“ – da haben Sie ja schon mehr gesungen als nur den Vierten Juden.
Ja, den Narraboth und vor allem den Herodes. Das war wiederum die Idee von Regisseur Michael Sturminger, mit dem wir die „Geschichten aus dem Wiener Wald“ in Bregenz und im Theater an der Wien gemacht haben, der meinte, als seine Klagenfurter „Salome“-Inszenierung anstand, das wäre doch eine Rolle für mich. Ich habe sie sehr gerne gesungen, und wenn ich vielleicht irgendwann in der Direktion der Staatsoper anklopfe, um nach Partien für die nächste Saison zu fragen, werde ich sicher den Herodes erwähnen… Aber man behandelt mich hier ja wirklich sehr gut. Und es ist für mich auch schön, mit den modernen Komponisten konfrontiert zu werden, zu denen ich früher kein entspanntes Verhältnis hatte. Die „Lulu“ war ja auch mein erster Berg, und sonst ist mir noch nicht so viel dieser Art untergekommen – das „Wundertheater“ von Henze, damals in der Volksoper, habe ich allerdings sehr gemocht. Es ist ja auch interessant, solche Partien zu singen.
Und Wagner?
Natürlich, was ich kann, den David gab es für mich in Tokyo unter Sebastian Weigle und in Florenz unter Zubin Mehta, und wenn ich denke, dass Christian Thielemann nächste Ostern die „Meistersinger“ macht, wäre ich zu gern dabei… aber da gibt es wohl viele Bewerber. Immerhin kennt er mich aus kleinen Rollen in „Rosenkavalier“ und „Elektra“, also sehen wir einmal. Was Wagner betrifft, so möchte ich ganz gerne vom Steuermann zum Erik avancieren, Froh und Walther und Seemann habe ich schon gesungen, da muss man einfach sehen, was für meine Stimme noch drinnen ist.
Sie erwähnen Barcelona, Tokyo, Florenz – Sie sind sehr viel in der Welt herumgekommen, vor allem in Ihren sieben „freien“ Jahren zwischen den Engagements von Wiesbaden und Düsseldorf zuerst, der Volksoper dann. Wird das Herumreisen jetzt während Ihres Staatsopern-Engagements auch möglich sein?
Ich muss sagen, das Reisen war durchaus cool, vor allem, weil meine Frau immer bei mir war und ich folglich nie allein und traurig im Ausland sein musste und gern den verschiedenen Angeboten gefolgt bin. Aber jetzt, seit Anna-Sophie da ist – sie ist auch schon acht Jahre alt – bedeutet Reisen oft monatelange Trennung, was bei meinem Volksopern-Vertrag durchaus möglich war. Nun ist die richtige Zeit, seßhaft zu werden, weil ich meine Familie nicht nur per Skype sehen, sondern mit ihr leben will. Und da ist die Staatsoper, die – auch der Cover wegen – sehr viel Präsenz erfordert und nur kleine Ausflüge möglich macht, für mich jetzt genau richtig.
Herr Schneider, Sie stammen aus Wels und haben genau die Karriere gemacht, wie man sie früher für richtig hielt, Schritt für Schritt.
Ja, wobei lustig ist, dass ich in Wels außer einer Ball-Eröffnung in meinem ganzen Leben noch nicht gesungen habe… Aber nach der dritten Klasse Volksschule bin ich nach Wien zu den Sängerknaben, auf eigenen Wunsch, das war für mich goldrichtig. Und dann kam ich mit 21 in den Staatsopernchor, wo man wirklich sehr viel lernen kann – aber man muss achtgeben, dass man nicht da bleibt, weil es ein ohnedies so schöner Job ist. Das Bundesheer kam dazwischen, und das hat geholfen, der Sache ein natürliches Ende zu setzen. Es war dann Ioan Holender, der mich sehr beraten hat, auch damit, was man will – ein großes Haus wie die Staatsoper und nur kleine Rollen oder ein kleines Haus und große Rollen. Dazu muss ich sagen, dass es natürlich nicht zu klein sein darf. Mit Wiesbaden hatte ich wirklich Glück, ein tolles Haus und gleich zu Beginn große Rollen, und ebenso in Düsseldorf. Da lernt man wirklich alles, was man braucht.
In der Volksoper galten Sie dann als ein großer Operetten-Spezialist, wobei ich persönlich Ihren Schubert im „Dreimäderlhaus“ in Baden bei Wien besonders gelungen fand.
Danke, das war wirklich eine schöne Aufführung, schade, dass man das nicht irgendwo wiederholen kann. Aber sonst waren es immer wieder Alfred und Eisenstein in der „Fledermaus“, Caramello in der „Nacht in Venedig“, der Siegfried in den „Lustigen Nibelungen“, der Stanislaus im „Vogelhändler“ – kurz gesagt, ich liebe die Operette und möchte sie nie aufgeben. Und ich kann es ja auch nicht, denn ich bin seit 2016 Intendant der Konzertreihe der „Freunde der Operette“ in St. Pölten, und ich denke, ich werde dort auch die Präsidentschaft übernehmen. Derzeit veranstalten wir zwei Doppelkonzerte mit Operettenprogrammen, und mein Ziel ist es, allerspätestens 2024, wenn St. Pölten hoffentlich Kulturhauptstadt wird, aber vielleicht schon früher, damit im Festspielhaus einzuziehen. Ich muss übrigens erwähnen, dass meine Mutter in St. Pölten lebt und mich mit ihrem Kreis von hoch aktiven Senioren und Seniorinnen sehr unterstützt. Wobei der Ehrgeiz auch dahin geht, ein neues und junges Publikum für diese herrliche Musik zu begeistern.
Herr Schneider, Sie unterrichten, Sie singen Lieder… was noch alles?
Was immer geht. Seit September 2016 unterrichtete ich Gesang am Prayner Konservatorium, ich nehme immer nur wenige Schüler, derzeit sind es sieben, aber die sollen etwas von meinem Unterricht haben. Und Lieder? Ja, die sind für mich sehr wichtig, wobei ich gleich sage, dass ich nicht der esoterische, verinnerlichte Liedersänger-Typ bin. Ich singe ein Lied und spiele es dabei – wie ein Stück aus einer Oper. Es freut mich übrigens enorm, dass mich ausgesucht hat, im Musikverein nächste Saison, wahrscheinlich im April 2019, einen Abend im Rahmen des LIED.BÜHNE-Programms zu geben. Was ich singe, muss noch besprochen werden, aber ich hoffe, dass mir noch niemand weggeschnappt hat, was ich da am liebsten bringen würde –„Die schöne Magelone“ von Brahms…
Letzte Frage: Haben Sie Lampenfieber?
Selbstverständlich, das gehört dazu. Aber nur vorher. Sobald ich auf der Bühne stehe, ist es weg. Wieso auch nicht? Singen ist einfach das, was mir am meisten Spaß macht. Bis heute.
Dann soll es noch lange so bleiben. Danke herzlich für das Gespräch.