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Jochen Köhler: ARTURO BENEDETTI MICHELANGELI

17.04.2020 | buch, CD/DVD/BUCH/Apps

Jochen Köhler:
ARTURO BENEDETTI MICHELANGELI
Auf der Suche nach dem Vollkommenen
216 Seiten, wolke Verlag, 2020

Geboren vor hundert Jahren, vor einem Vierteljahrhundert verstorben, war Arturo Benedetti Michelangeli einer der Großen am Klavier, die das vorige Jahrhundert beherrschten. Und er verfügte zudem über ein absolut faszinierendes Image, das zweifellos zu seinem Ruhm beitrug. Wer so schwierig, so rätselhaft war, musste auch jemand Besonderer sein…

Autor Jochen Köhler spürt dem Phänomen des Künstlers auf mehreren Ebenen mit großer Ausführlichkeit nach. Die Biographie wird kurz gehalten, einiges an bewusster Legendenbildung steckte immer darin. Geboren als Sohn eines hoch musikalischen Advokaten und einer adeligen Mutter, wuchs er in Brescia auf, war ein Wunderkind, wobei er eigentlich die Geige bevorzugte, aber ein Klavierstar wurde. Seine Ausbildung war hervorragend, das Conservatore Giuseppe Verdi in Mailand schloß er schon als 13jähriger ab. Bereits bei Wettbewerben war er der Liebling des Publikums. Aus unerfindlichen Gründen im Weltkrieg von der Wehrtätigkeit befreit (zur Legende gehört auch, dass er sich dem Widerstand angeschlossen hätte), begann seine Weltkarriere in den Kriegsjahren und hielt bis in die achtziger Jahre an – und das, obwohl Benedetti Michelangeli als berüchtigt „schwierig“ galt und auch ein großer „Absager“ war. Vielleicht machte das diesen Mann, der eine Attitüde der Unzugänglichkeit ausstrahlte, noch interessanter.

Weniges ist schwerer, als Musik und Musiker in Worte zu fassen, zumal hier die Subjektivität des Eindrucks jeden Menschen zu anderen Schlussfolgerungen kommen lässt. Der Pianist, der meist das populäre Repertoire (die „Showpieces“) verschmähte, galt als einer der größten Meister der Klangfarben-Palette, berühmt für sein sensibles Ausloten feinster Übergänge. Die Presse hob ihn in den Himmel, aber es gab auch negative Stimmen – man nannte ihn einen starren Perfektionisten, einen „kalten Fisch“, der „alles gleich“ spiele (was seine Anhänger heftig bestreiten). Kurz, man bastelte die Legende und rieb sich daran…

Mit Karajan teilte er eine private Vorliebe für Rennwagen und das Fliegen, das er beherrschte, man bewunderte einerseits die abgehobene Askese, die man ihm persönlich nachsagte, bekrittelte anderseits seine Mimosenhaftigkeit. Kurz, ein Künstler, an dem man sich auch als Mensch reiben konnte.

Und einer, der zwar viele berühmte Schüler hatte (darunter Pollini oder die Argerich), von dem aber der Schüler, der in diesem Buch in einem langen Interview zu Wort kommt, nur Widersprüchliches zu sagen weiß: Der Deutsche Bernd Goetzke, heute berühmter Klavierpädagoge, konnte als Junge Stunden bei dem Meister nehmen, der je nach Laune freundlich oder schroff, sogar ziemlich grob sein konnte. Und Manager, die mit ihm zu tun hatten (sei es im Zusammenhang mit seinen Steinways, sei es mit seinen Konzertaufnahmen), wussten von seiner emotionslosen Sachlichkeit zu berichten, einer Verschlossenheit, die sich um keinerlei Kommunikation bemühte.

Diese fand mit seinem Instrument und in der Auseinandersetzung mit den Werken statt, die er, wie Joachim Kaiser bewundernd schrieb, mit „aristokratischer grazia“ interpretierte.
Renate Wagner

 

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