Online Merker Logo

Die internationale Kulturplattform

Jenny Odell: NICHTS TUN

16.03.2021 | buch, CD/DVD/BUCH/Apps

buchcover odell nihcts tun~1

Jenny Odell
NICHTS TUN
Die Kunst, sich der Aufmerksamkeitsökonomie zu entziehen
296 Seiten, Verlag C.H. Beck, 2021

Man fragt sich manchmal selbst, wie es so weit kommen konnte. Wie man sich durch den „Zeitgeist“ in so verrückte Lebenskonzepte jagen ließ: Wir haben uns süchtig machen lassen von regelrecht menschenfeindlichem Verhaltensvorgaben und durch den aktiven Konsum der „sozialen Medien“. Wie man da wieder rauskommt, das verlangt Ratgeber, die es längst gibt. Aber auf dieser schlicht-billigen Ebene bewegt sich Jenny Odell mit ihrem Buch „Nichts tun“ nicht.

Die Kalifornierin ist eigentlich Objektkünstlerin, hat viele Bücher im Selbstverlag publiziert, bis sie mit „Nichts tun“ offenbar jenes Thema gefunden hat, das vielen heutigen Menschen, die ihren Verstand noch nicht in Facebook versenkt haben, auf der Seele brennt.

Dabei ist die „Entziehungskur“, die sie da angeht und sehr persönlich erzählt, großteils in Ich-Form auf der Suche nach Antworten, gar keine einfache Lektüre. Das ist kein billiges Psycho-Gequatsche, sondern im Grunde eine wissenschaftliche Untersuchung (schließlich lehrt sie auch an der Stanford University). Sie zieht nicht nur viele zeitgenössische Beispiele heran, sie stammen auch aus der Literatur, ja, gehen bis tief in die Geschichte, zu Epikur, zu Demosthenes (dessen „Geh mir aus der Sonne“ zu Alexander dem Großen sie als typisches Beispiel für alternatives Verhalten gegen jede Konvention erwähnt), sie zitiert Martin Buber und Walter Benjamin (der an einem Bild von Paul Klee einen Engel interpretiert, der den Fortschritt verhindern möchte) und jede Menge Sekundärliteratur.

„Nichts tun“ als Antwort auf die Überaktivitäten, in die man sich hinein hetzen lässt, auf die Aufmerksamkeits-Ökonomie, die manches Leben beherrscht, auf die „Selbstoptimierung“, die man immer wieder gepredigt bekommt, wirkt als Schlagwort natürlich überzeugend. Aber es ist dann doch nicht der richtige Ausdruck für das, was das Buch bietet, denn es geht eher darum, anders zu denken und anders zu handeln als bisher.

Es ist auch eine Art politischen Widerstands, den sie gegen so vieles setzt, gegen Vereinnahmung und Süchtig-Machung, gegen Manipulation und nicht zuletzt Ausbeutung, die hier betrieben werden, denn letztendlich geht es ja immer und überall auch und erstlich ums Geld (!) – und es ist vor allem ein Bekenntnis zur Ökologie. Sie selbst, erfährt man, zieht sich immer wieder lange Zeit in eine einsame Holzhütte in den Bergen zurück (einen Großteil des Buches hat sie allerdings in einem Atelier in ihrer Heimatstadt Oakland geschrieben), und ihre Beobachtung der Natur, von Bäumen und Pflanzen, Vögeln und Tieren, ist für sie (und wohl nicht nur für sie) ein richtiger Weg, sich aus dem Druck des Alltags zu katapultieren. Wenn auch sie die absolute Panik erlebt hat, plötzlich ohne Smartphone in der Welt zu stehen und sich folglich von dieser völlig ausgeschlossen zu fühlen…

Worin bestehen die Wege, sich aus dem Käfig der Sozialen Medien zu befreien? (Wobei die Autorin betont, dass jedes Kind schon gebannt in sein Smartphone starrt, aber sowohl Bill Gates wie Steve Jobs dafür sorgen, dass ihre eigenen Kinder davon nicht zu viel bekommen… den Rest der Menschheit darf man ja vergiften.)

Jenny Odell setzt in ihrem Buch bestens belegte Schwerpunkte bei Themen wie dem „Aussteigen“ (wobei sie von der Antike über die Hippies bis zu heutigen Versuchen blendet), sie schreibt über Verweigerungen dessen, was „alle“ tun, wobei dieses Thema anders betrachtet auch für die „Corona“-Zeiten gilt: Wer geht welches Risiko ein, wenn er vorgegebene Verhaltensformen nicht mitmacht? Das Grundproblem ist immer dasselbe, nämlich ökonomisch-finanziell, und wer mehr zu verlieren hat, wird sich eher ducken.

Schließlich geht es – und dazu zieht sie etwa das Werk von David Hockney als Beispiel heran – um neues Sehen, neues Betrachten, einen neuen Fokus auf die Dinge. Die Befreiung am Ende geht bei ihr mit besagtem Glück in und an der Natur Hand in Hand – und dem Retten von Altem, statt das Neue so bedingungslos anzubeten, wie es die Menschen von heute gelernt haben.

Wenn man bedenkt, wie Jenny Odell die sozialen Medien charakterisiert, kann man ihr nur recht geben: „Facebook und Twitter sind nichts anderes als digitale Kaffeeküchen für den gesammelten Kaffeeküchenklatsch an Arbeitsplätzen auf der ganzen Welt.“ Und dafür sollte man einen Großteil seiner Lebenszeit aufwenden?

Renate Wagner

 

Diese Seite drucken