Online Merker Logo

Die internationale Kulturplattform

James Room: DER GEIST AUF DEM THRON

29.08.2016 | buch, CD/DVD/BUCH/Apps

BuchCover  Room, Geist auf dem Thron

James Room:
DER GEIST AUF DEM THRON
Der Tod Alexanders des Großen und der mörderische Kampf um sein Erbe
352 Seiten, C.H.Beck Verlag, 2016

Autor James Romm, seines Zeichens Professor für Classics am Board College in Annadale (New York), hat ganz recht. Wer kann schon zählen, wie viele Bücher sie/er in nie endender Neugierde über das Phänomen, das Faszinosum Alexander, genannt „Der Große“, gelesen hat? Aber so gut wie alle enden mit seinem durchaus rätselhaften Tod in Babylon. Und dann? Wie ging es weiter? Das erzählt Romm in geradezu beispielhafter Art und Weise.

Nachher – da kämpften die Diadochen, wie Alexanders zahlreiche Feldherren genannt wurden, mit brutaler Vehemenz gegeneinander und errichteten kurzfristig kleine Reiche, meint man zu wissen. Wenn man nach einzelnen Namen sucht, hat es meist nur Ptolemaíos in das Gedächtnis der Nachwelt geschafft, aus guten Grunde, etablierte er doch in Ägypten die letzte Herrscherdynastie, jene, die mit seiner Nachfolgerin Kleopatra dann dem Römischen Weltreich weichen musste…

Die großen Reiche. Das Römische Weltreich brach nicht zusammen, als Augustus nach jahrzehntelanger Herrschaft starb. Für das Habsburgerreich war es egal, welcher Kaiser gerade in Wien „regierte“ (oder nicht): Das waren in Jahrhunderten gewachsene Strukturen, zusammen gehalten von Militär und beamteter Organisation. Reiche, die hektisch „zusammen erobert“ wurden, haben es hingegen nicht über ihren charismatischen „Führer“ hinaus geschafft – das „Tausendjährige“, das so kurz währte, krachte mit Hitler zusammen, und das Alexander-Reich, das man auch das Mazedonische nennen kann, mag eines der größten gewesen sein, das es je gab – und doch nur so kurzlebig wie der Mann, der es dank seiner kriegerischen Strategie-Genialität geschaffen hatte. Als Alexander der Große wahrscheinlich am 10. Juni 323 v. Chr. in Babylon starb (möglicherweise lag er noch einige Tage im Koma, was das „Wunder“ erklären könnte, dass seine Leiche auch nach Tagen noch nicht zu verwesen begann), läutete er auch die Todesstunde seines Lebenswerks ein.

Dieser rätselhafte Tod galt in der Antike übrigens ziemlich eindeutig als Mord, und die Mitwelt wusste auch, wen man dafür verantwortlich machte: Der alte Antipater, einer der großen alten Feldherren noch aus der Zeit von Alexanders Vater Philipp II., soll sich von Alexander bedroht gefühlt haben und deshalb seinen Sohn Kassander mit Gift (verborgen in einem Eselshuf!) nach Babylon geschickt haben. Dieses tat dann, in den Wein gegossen, seine tödliche Wirkung – wovon viele Zeitgenossen überzeugt waren. Dass der Tod eines so jungen, an sich so starken Mannes wie Alexander, der kurz davor erst eine wirklich schlimme Pfeilwunde überlebt hatte, nicht „normal“ wirkte – nun, Mitwelt und Nachwelt haben nie zu spekulieren aufgehört.

Ein 33jähriger muss sich nicht den Kopf über einen Nachfolger zerbrechen, und Alexander hat es auch nicht getan. Umgeben von seinen „Leibwächtern“, wie die ihm engst verbundenen Feldherren genannt wurden, hat er auch keinen in dieser Funktion „ernannt“. Immerhin scheint er, als seine Kräfte schwanden, seinen Ring als Zeichen seiner Macht an den in vielen Schlachten erprobten Perdikkas gegeben zu haben, was diesen noch zu keinem zweiten Alexander machte (folgen sollte ihm, wie die Legende sagte, „der Stärkste“, aber den gab es nicht).

Aber immerhin konnte Perdikkas ein Reich, das von Mazedonien im Westen über Ägypten im Süden noch weit über Babylon hinaus in den Osten reichte, zumindest einigermaßen unter den Feldherren „verteilen“. Dass die jeweiligen Diadochen übereinander herfallen würden, war wohl in der allgemeinen Gier nach Macht nicht zu vermeiden.

Was sich nun in den nächsten Jahren tat, verschränkte sich tausendfach, und James Romm hat die ideale Art und Weise gefunden, dies zu schildern. Es würde wenig Sinn machen, dem Schicksal der einzelnen Diadochen vom Alexander-Tod bis zu ihrem eigenen (der bei einigen ziemlich bald kam und auf die Kollegen zurückzuführen war) nachzuzeichnen. Vielmehr charakterisiert Romm die „Hauptfiguren“ des blutigen Spiels überaus lebendig (das Buch hat stellenweise fast Krimi-Qualitäten) und lässt sie in vielen kleinen Kapiteln quasi gleichzeitig agieren. Man weiß, was in Ägypten los war und in Mazedonien und in der Türkei und in Babylon oder wo immer – und alles verflocht sich auf die dramatischste Weise.

Wobei, wie gesagt, Ptolemaíos mit der Zuteilung von Ägypten das meiste Glück hatte. Er konnte sich in ein „Randgebiet“ zurückziehen, wo sich nicht alle immer wieder begegnen mussten (wie etwa im Territorium des Nahen Ostens und der Türkei), er fand ein Staatswesen vor, das zwar unter vielfacher Fremdherrschaft stand, aber durch Priester und Beamte, eine ausgefeilt regierende „Götterwelt“ und eine von den Nilüberschwemmungen bestimmte Landwirtschaft, seine Struktur hatte, unter welchem Herrscher auch immer. Und Ptolemaíos war auch der Mann, der sich den ungeheuren Coup leistete, den riesigen, prunkvollen, tatsächlich in Jahren gebauten Leichenwagen, der Alexanders einbalsamierten Körper nach Mazedonien bringen sollte, in einem tollkühnen Coup zu „stehlen“ und nach Ägypten umzuleiten. Dort wartete Alexander in der Königsstadt Memphis darauf, dass „seine“ Stadt Alexandria so weit fertig wurde, um ihm die letzte Ruhe zu gewähren. In seinem Mausoleum hat ihn noch mancher römische Kaiser staunend besucht – bis es, ein paar Jahrhunderte nach Christus, plötzlich aus dem Bewusstsein verschwand und nie wieder aufgetaucht ist…

Die Idee des Alexander-Reiches war das einen multikulturellen Staates gewesen, wobei Alexander selbst (nicht zuletzt mit der Massenhochzeit von Susa und seiner persönlichen Annahme von persischen Gewändern und Ritualen) mit „gutem Beispiel“ voranging, seine alten Gefährten aber sehr verstört und verärgert hatte. Interessanterweise hat kein einziger der Diadochen diese Idee verfolgt, jeder versuchte sich ein möglichst großes Reich aufzubauen, ohne idealistisch-ideologischen Hintergrund.

Einige der Diadochen spielten nach und nach immer größere Rollen im verwirrenden Geschehen von Bündnissen und Verrat – seltsamerweise auch jener Eumenes, der als Grieche von den Mazedoniern verachtet wurde, zumal er seine Karriere als Schreiber-Sekretär begonnen hatte. Dann aber macht er als Feldherr eine „Karriere“, die nicht zuletzt auf seiner Diplomatie und seiner Menschenkenntnis beruhte.

In Mazedonien waren Antipater und sein Sohn Kassander letztlich beherrschend, den Nahen und den Mittleren Osten nahm sich nach und nach Antigonos, „der Einäugige“ genannt, Perdikkas ging unter, und aus der Fülle der Namen wächst ein Komplex heraus, den der Autor „Die königliche Familie“ nennt. Was damit zusammenhängt, liest sich wie eine der großen, rücksichtslosen, blutigen Stories der Weltgeschichte…

So sehr die Diadochen auch ihre eigenen Interessen verfolgten, so groß war ihr Respekt vor Alexander und dessen Familie. Sein nachgeborener Sohn der aus Baktrien stammenden Roxane (für einige ein „Halbblut“ und als solcher minderwertig) wurde zusammen mit Alexanders älterem Halbbruder, dem geistig leicht behinderten Philipp, zu einer „Doppelkönigschaft“ verbunden – und wer diese beiden in seiner Macht hatte, wollte auch das gesamte Reich beherrschen.

Vor allem aber tauchen aus der Geschichte einige Frauenfiguren auf, die von höchster Brisanz sind, vor allem Olympias, Alexanders Mutter. Von dieser Königstochter aus dem Stamm der Molosser – nur eine von vielen Ehefrauen von Philipp II. von Mazedonien – weiß man im allgemeinen, dass sie sich gerne mit Schlangen umgab (was sogar dem mutigen Gatten unangenehm war) und von grenzenlosem Ehrgeiz gewesen sein soll: Vielleicht war sie an Philipps Ermordung beteiligt, um Alexanders Herrschaft zu sichern.

Nach dem Tod des Sohnes war sie die zentrale Respektsperson der Familie, vor der selbst die harten Soldaten ihr Knie beugten, und ihr Interesse war es natürlich, ihren Enkel allein auf dem Thron zu wissen. Alexanders älterer Halbbruder, der seinerseits mit seiner Nichte, einer Enkelin von Philipp II., verheiratet war (der über die Maßen schillernden und ehrgeizigen Adea), musste beiseite geschafft werden. Dass Olympias selbst nicht friedlich überlebte, sondern hingemetzelt (und ihr Leichnam geschändet) wurde, verdankte sie dem Mann, der skrupellos ihre Tochter Kleopatra heiratete, damit die königliche Legitimität erwarb und das nächste (kurzlebige) mazedonische Herrschergeschlecht begründete – Kassander, genau jener, dem man den Mord an Alexander vorwarf. Nun, Olympias und ihren Enkel, Alexanders dann schon halbwüchsigen Sohn, hatte er wirklich auf dem Gewissen…

Alexander hatte die Welt umgekrempelt. Nach seinem Tod verfiel sie ins Chaos, oft über Jahrzehnte, Jahrhunderte. Der Zerfall des Reichs war jedenfalls ein über die Maßen blutiges und aus der Retrospektive gänzlich sinnloses, wirklich tragisches Gemetzel…

James Romm hat übrigens sein Buch mit der Suche nach den Königsgräbern am Rande des Mazedonischen Dorfs Vergina begonnen und von dortigen Funden berichtet. Auf das rätselhafte Verschwinden des Alexander-Grabes in Alexandrien lässt er sich nicht ein. Erstens sind darüber schon genügend Bücher geschrieben worden, zweitens weiß er, dass man dieses Rätsel nicht lösen kann. Aber der Zerfall des Alexander-Reiches war einmal zu schildern, und das hat er beispielhaft getan.

Renate Wagner

 

Diese Seite drucken