Interview, 10/2011: Irmgard VILSMAIER, Woher nun dieser Sturm ins schwere Wagner-Fach?
Gespräch mit Irmgard Vilsmaier
Auf der Bühne daheim
Irmgard Vilsmaier zeigt hervorragende Nerven, die auf einem ausgeglichenen Gemüt sympathischer, kräftig-bayerischer Prägung beruhen dürften. Einen Tag vor der Premiere der „Salome“, wo sie immerhin ihre erste Herodias singt, ist sie ohne weiteres bereit, dem „Neuen Merker“ im Kaffeehaus ein Interview zu geben (einzige Bedingung: Nichtraucher-Ecke). Sie erscheint mit ihrem 2,05 Meter großen Gatten, der immer dabei ist und die Ehefrau sogar in seinem Namen trägt (Jörgen Vilsmaier-Nissen) – das ist Emanzipation. Er bekennt sich neben seinem Brotberuf gern als „Mann für alles“ seiner Frau, ist immer an ihrer Seite und erleichtert ihr das Leben. Vielleicht ist das auch ein Grund dafür, dass Irmgard Vilsmaier einen so glücklichen, ausgeglichenen Eindruck macht. Abgesehen davon, dass derzeit alles schlechtweg wunderbar für sie läuft…
Von Renate Wagner
Frau Vilsmaier, wie kam es zu Ihrer ersten Herodias an der Wiener Volksoper?
Ich habe hier ja immer wieder schon einmal gesungen, in „Hänsel und Gretel“ die Mutter und auch die Hexe, dann in „Die Liebe zu den drei Orangen“, was sehr vergnüglich war, und als eine Kollegin ausfiel und man wegen der Herodias anfragte, habe ich sie „hineingestopft“, obwohl dieser Herbst sehr voll ist. Aber da sie auch in Berlin am Spielplan ist, konnte ich mir glücklicherweise dort einen Korrepetitor nehmen und die Rolle geradezu im „Crash Kurs“ lernen. Ich denke, sie wird mir in der Zukunft, in den späteren Jahren der Karriere, sicher noch zugute kommen.
Ziehen Sie beim Lernen einer Partie CDs und DVDs heran und schauen Sie sich etwas von Kollegen ab?
Man hört und sieht natürlich, was die anderen jeweils gemacht haben, auch auf You Tube, ich schau’s mir an, aber ich schaue mir nichts ab. Die Gestaltung einer Rolle erfolgt immer ganz aus mir heraus, oder auf Bayerisch gesagt: Ich mache immer mein eigenes Ding, ich bin niemandes Kopie. Und ich lasse mich ja immer voll auf meine Figuren ein, wenn ich auf die Bühne gehe, dann „bin“ ich die Herodias. Ich bin nie „privat“ auf der Bühne, darum werde ich auch nie herumstehen und auf meinen Einsatz warten, sondern immer voll im Geschehen sein – das ist meine Art. Und wenn mir Freunde etwa bei der Mutter Marie in den „Karmelitinnen“ sagen: „Da bist Du ja gar nicht sympathisch!“ – was mir auch bei der Herodias passieren kann – , dann sage ich nur: „Na und? Dieser Mensch ist so!“
Und wie legen Sie die Herodias an?
Die Regisseurin Marguerite Borie, die eine sehr kluge, einfühlsame Frau ist, hat ja schon die Figur der Salome positiver angelegt, als es sonst der Fall ist. Die Herodias ist ja nun auch eine sehr interessante Rolle, man soll sie nicht nur als böses Weib sehen à la Fricka, sondern auch ihr kompliziertes Schicksal ahnen – wenngleich ein sehr starkes Element ihres Charakters darin besteht, den Gatten zu unterdrücken.
Foto: Barbara Zeininger
Können Sie uns weitere Pläne für Wien verraten?
Ja, Wien wird jetzt sehr wichtig für mich, nicht nur, weil mir Kollegin Linda Watson eine wunderbare Gesangslehrerin, Carol Blaickner Mayo, vermittelt hat, bei der ich schon einige Stunden hatte und mit der ich unbedingt weiterstudieren will. Ich bin davon überzeugt, dass man sein ganzes Leben nicht aufzuhören darf, weiter zu lernen. Ja, und an der Volksoper habe ich für nächsten Herbst die „Salome“-Wiederaufnahme zugesagt, dann die Brünnhilde im „Loriot-Ring“, den Robert Meyer kommentieren wird und wo die Brünnhilde ja wirklich die meisten ihrer Highlights von den Walküren-Rufen bis zu den „Starken Scheiten“ singen darf, und die Lady Billows in „Albert Herring“ für 2014 ist auch schon ausgemacht.
„Brünnhilde“ ist ja nun ein Stichwort – und die Leitmetzerin ein anderes. Wie ist es möglich, dass man gleichzeitig das ultimative Wagner-Fach anstrebt bzw. schon erreicht hat, und gleichzeitig immer noch und immer wieder eine nicht sehr bedeutende Nebenrolle im „Rosenkavalier“ singt?
Ich weiß, ich bin die „Leitmetzerin der Nation“, aber man soll die Partie nicht unterschätzen, ich glaube, die wenigsten Leute wissen, dass sie ein hohes „C“ hat. Dass ich sie so oft singe, hat mit Treue zu Häusern zu tun und mit Verträgen – und es ist manchmal ganz angenehm, seine Kräfte für Großes zu schonen und dennoch auf der Bühne zu stehen. Die Leitmetzerin begleitet mich seit meinen frühesten Anfängen in Mannheim 1999, ich habe sie in Innsbruck gesungen, ich singe sie nach wie vor in München, ich werde sie auch in Dresden singen. An meinem „Heimathaus“ in München beispielsweise würde man mich die Brünnhilde derzeit nie singen lassen – der Prophet gilt nichts im eigenen Land. Das hat mir auch Jonas Kaufmann erzählt, der jahrelang in München war, ohne sonderlich wahrgenommen zu werden. Und dann hatte er im Ausland Erfolge – und war auf einmal auch zuhause der große Star. Vielleicht geht es mir auch einmal so… Bis dahin singt man brav auch die kleinen Rollen an großen Häusern, zum Beispiel auch die Mutter in „Hänsel und Gretel“ ist eine solche, sie hat mich immerhin nach Covent Garden und nach Glyndebourne gebracht, und ich werde sie an der Bastille Oper und an der Komischen Oper singen. Und die großen Rollen macht man dann vorläufig an kleineren Häusern…
Wie die Brünnhilde?
Ja, und die steht mir immerhin in Stuttgart bevor. Das wird in den kommenden Jahren für mich ein sehr wichtiges Haus sein. Als nächstes mache ich die Mutter Marie in den „Karmelitinnen“, die ich derzeit parallel zur Volksoper in Berlin singe, auch in Stuttgart, dort allerdings im originalen Französisch. Und dann kommt die Götterdämmerung-Brünnhilde 2013 und die Siegfried-Brünnhilde 2014. Die aus der Walküre, die ich schon 2007 in Trier gesungen habe, mache ich 2013 wieder in Taipeh. Die Isolde, die ich in Tallinn erstmals probiert habe, kommt 2012 in Seoul, und ich hoffe, dass ich auch die Kundry wieder singen kann.
Woher nun dieser Sturm ins schwere Wagner-Fach? Im Flimm-„Ring“ in Bayreuth waren es von 2000 bis 2005 ja noch die kleinen Rollen?
Ich weiß nicht, ob Opernfreunde wissen, wie unendlich wichtig ein Agent für einen Sänger ist. Ich war neun Jahre bei Bernd Schmickl in Wien unter Vertrag, und ich bin ein sehr treuer Mensch, aber ich hatte das Gefühl, dass er mich in einem anderen Fach sieht als ich es tue. Heidi Steinhaus hingegen, zu der ich nun gewechselt bin, ist wie ich von Kopf bis Fuß auf Wagner eingestellt. Ich denke, sie wird meine Karriere nun in die Richtung lenken, wo ich mich selbst sehe, bei den hochdramatischen Wagner-Partien. Wagner ist für mich der wichtigste aller Komponisten, Wagner ist Hingabe, Leidenschaft, wenn es nicht pathetisch klänge, würde ich sagen, er ist mein Leben. Wenn man den „großen“ Wagner will, muss man aber auch nein sagen können: Ich singe keine der Walküren mehr, egal, wer sie mir anbietet. Ich kann sonst nicht erwarten, dass man mich dann auch als Brünnhilde sieht – dafür habe ich sogar die Scala unter Barenboim abgesagt.
Und wie wird man Brünnhilde, wenn man in Frontenhausen in Niederbayern geboren worden ist, das ist ja wohl keine große Opernstadt…
Das ist ein bayerischer Markt mit 6000 Einwohnern, und nein, in meiner Familie gab es keinerlei musikalische Talente, obwohl es immer sehr schön geklungen hat, wenn mein Vater im Badezimmer sang. Ich habe von früher Kindheit an musiziert, Blockflöte, Gitarre, dann habe ich mir ein Klavier gewünscht, das mir die Großmutter gekauft hat, dann sang ich in sämtlichen Chören und bald alle Soli. Als ich nach Nürnberg kam, um Klavier zu studieren, meinten die Lehrer, da wäre ich eine von vielen, aber meine Stimme… Und so habe ich am Meistersinger-Konservatorium in Nürnberg im Hauptfach Gesang und nur im Nebenfach Klavier studiert und nicht umgekehrt, wie ich es vorhatte. Und dann kam das Opernstudio an der Bayrischen Staatsoper München. Ich erinnere mich an einen Wettbewerb, da haben Jonas Kaufmann, Evelyn Herlitzius und ich die drei ersten Preise gewonnen. Mein erstes Engagement war am Tiroler Landestheater in Innsbruck, wo Brigitte Fassbaender mich eigentlich früher im dramatischen Fach sah als ich mich selbst – damals war ich noch ein richtiger Sopran. Aber sie gab mir als erste große Rolle die Brangäne. Nach zwei Jahren bin ich dann weg und seither frei schaffend.
Hatten Sie keine Angst davor? Viele Sänger bleiben lieber sicher in einem Ensemble, bevor sie sich der freien Wildbahn aussetzen.
Ich war eigentlich immer beschäftigt, es gab stets Angebote, ich habe eher Dinge absagen müssen. Bevor man irgendwo sitzt und Wurzen singt, geht man wohin, wo man Möglichkeiten bekommt, ob das Tallinn war für meine erste Santuzza und Isolde oder Budapest und dann Tallinn für die Kundry oder Seattle für die Chrysothemis, wobei ich mir meine Zukunft als Elektra vorstelle. Und als Färberin. Und als Wozzeck-Marie.
Apropos Santuzza: Außer dieser Rolle findet man keine einzige des italienischen Fachs und auch keinen Mozart auf Ihrem Repertoire?
Das italienische Fach geht mir nicht ab, Mozart habe ich auf der Opernschule in München gesungen, die Gräfin und die Fiordiligi, als ich noch eine ganz normale „Lyrische“ war, aber ich bin ein „deutscher Sopran“, und ich denke, als Hochdramatische in diesem Fach müsste man ganz gute Zukunftsperspektiven haben, allein wenn man bedenkt, wo überall der „Ring“ gespielt wird und Wagner überhaupt. Hier bin ich auch glücklich – und bei den dramatischen Rollen. Keine Elisabeth, keine Elsa, aber die Ortrud. Die hat mir übrigens Ioan Holender angeboten, als er für die „Lohengrin“-Premiere ein Cover für Agnes Baltsa suchte. Ich habe damals nein gesagt, und wie man weiß, hat Janina Baechle dann alle Vorstellungen singen dürfen… Ich habe es dennoch nicht bereut.
Damals hätte man Sie mit der nicht ganz einfachen Inszenierung von Barrie Kosky konfrontiert. Sind Sie schon Regisseuren begegnet, mit denen Sie negative Erfahrungen gemacht haben?
Ich hatte Glück, ich musste noch nie in einer totalen Blödsinns-Inszenierung spielen. Vielleicht kommt das ja noch… Aber ich habe natürlich erlebt, dass man vielen Regisseuren einen schlechten Ruf anhängt und manche Sänger sich a priori vor der Arbeit mit ihnen fürchten. Das tue ich grundsätzlich nie, ich mache meine Erfahrungen selber, und sowohl Hans Neuenfels, mit dem ich „Lear“ von Reimann in Berlin gemacht habe, wie Calixto Bieito, von dem die Berliner „Karmelitinnen“ stammen, waren hoch interessant. Ich bin da auch gar nicht scheu, ich biete an, was ich mir zu einer Rolle vorstelle, und wenn das nicht geht, versucht man etwas anderes. Ich sage nie von vornherein zu etwas nein, ich möchte verstehen, was man von mir will, und gute Regisseure finden immer einen Weg.
Darf man Sie nach Ihrem Privatleben fragen? Wo haben Sie denn Ihren beneidenswerten Gatten kennen gelernt?
Das war 2002 im Zug, ich hatte in Weimar die Venus gesungen, er war auch unterwegs, wir saßen nebeneinander und haben vier Stunden geredet und gefühlt, dass wir auf einer Wellenlänge waren und die Handynummern ausgetauscht. Aber damals waren wir beide in einer Beziehung, und so dauerte es bis 2005, als ich einmal in Paris sehr einsam war und ihm eine SMS geschickt habe. Da war er inzwischen auch allein, wir haben uns getroffen, damals lebte er noch in Hamburg und ich in München, und 2006 zog er dann auch dorthin. Seine erste Opernerfahrung überhaupt war an meiner Seite ein kompletter „Ring“ in Toronto, und das gleich viermal hintereinander, und ich dachte, entweder wird das eine Katastrophe oder… Na, es hat geklappt, seither sind wir zusammen, seit zwei Jahren verheiratet, und mein Mann ist in jeder Vorstellung, die ich singe, und nach Möglichkeit auch immer bei mir, wo mich der Beruf eben hin verschlägt. Ich habe ja auch Beziehungen auf Distanz erlebt, und kann nur sagen, dass das, was wir gefunden haben, das tollste ist, was einer Sängerin passieren kann, denn es kann natürlich ein sehr einsamer Beruf sein…
Und wie steht es mit der Familienplanung?
Ich hatte nie einen Kinderwunsch, mit 41 bin ich dafür vielleicht auch zu alt, hingegen können, wenn ich Glück habe, die nächsten Jahre beruflich die besten meines Lebens werden. Auch weiß ich, wie schwer es Kolleginnen mit Kindern haben, wie viele Kompromisse sie machen müssen, immer kommt etwas zu kurz, und man plagt sich schlimmstenfalls mit schlechtem Gewissen. Wir haben uns darüber ausgesprochen, und ich bin froh, wenn ich meine Zeit glücklich mit Beruf und Ehe verbringen kann. Wir sind frei, und das ist sehr schön.
Und was machen Sie „privat“?
Wir haben ein Haus in Nordfriesland, 30 Kilometer von dem Haus meiner Schwiegereltern entfernt, der Flughafen ist Sylt, dort sind wir so oft es geht, normalerweise sind wir ohnedies zehn Monate im Jahr unterwegs. Im übrigen kochen und essen wir beide gerne, ich mache Nordic Walking, wir gehen viel spazieren – wir sind mehrfach den ganzen Prater rauf- und runter gegangen -, ich sticke zur Beruhigung, da haben die Hände etwas zu tun und man hat den Kopf frei, wir lesen sehr gerne. Allerdings gehe ich, wenn ich nicht singe, selten in die Oper, höchstens wenn man irgendwelche Kollegen sehen will: Man muss den Beruf nicht auch ins Privatleben mitnehmen, er ist beherrschend genug.
Im Internet lassen Sie Ihre Fans ja an Ihrem Arbeitsleben teilnehmen…
Ich habe auf meiner Internet-Seite eine Rubrik, die ich „News“ nenne und wo ich einfach nur hineinschreibe, was es bei mir Neues gibt. Tatsächlich nehmen viele Leute so liebenswürdig Anteil an allem, was ich mache, dass ich sie das einfach wissen lasse. Schließlich ist das eine heutzutage übliche Art der Kommunikation – ich tue es ja nicht, weil ich eitel wäre – das bin ich echt nicht – oder mich besonders loben will, es geht mir einfach um jene Menschen, die sich für mich interessieren. In München habe ich einen „festen Stamm“, was ja nicht verwundert, wenn man so lange dort war, und es gibt beispielsweise einen japanischen Fan, der mir bis Toronto nachgereist ist. Aber ich bin froh, dass der „große Ruhm“ noch nicht angekommen ist – ich habe das beim „Rosenkavalier“ in Baden-Baden erlebt, wo etwa Diana Damrau von den Medien so belagert worden ist, dass es eigentlich kein normales Leben mehr gibt. Das wünsche ich mir eigentlich nicht.
Haben Sie eine Lieblingsrolle? Zukunftswünsche?
Lieblingsrolle keine und jede, die ich im Moment singe. Wenn man sich ganz hineinlegt, das ist das wunderschönste Gefühl, und dann ist auch jede Rolle die schönste. Und was die Zukunft betrifft – derzeit läuft es wirklich gut für mich, und ich habe auch das Gefühl, als sei Wien eine Schicksalsstadt für mich. Ich habe jetzt so viel Schwung und Begeisterung. Was ich mir wünsche? Mindestens eine große Herausforderung pro Spielzeit und weiterhin Spaß haben am Singen und diese riesige Freude am Beruf: Ich singe den ersten Ton auf der Bühne – und ich bin daheim.