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Ira LEVIN

01.03.2012 | Dirigenten, INTERVIEWS

BUENOS AIRES: INTERVIEW MIT MAESTRO IRA LEVIN, DIRIGENT DES „LOHENGRIN“ AM TEATRO COLÓN, BUENOS AIRES

 
Ira Levin

Anlässlich seiner musikalischen Leitung des neuen „Lohengrin“ in der Regie von Alberto Oswald am ehrwürdigen Teatro Colón im September 2011 interviewte ich Maestro Ira Levin zum zweiten Mal, nachdem ich ein erstes Interview bereits im September 2003 in São Paulo gemacht hatte. Damals stand Levin noch in der ersten Phase einer längeren Chefdirigenten-Tätigkeit in Brasilien, die im März 2002 mit der Übernahme der künstlerischen Leitung des Theatro Municipal de São Paulo und dem Chefdirigat des dortigen Orquestra Sinfônica begann. Im Jahre 2007 wurde Levin GMD des Nationalen Symphonie-Orchesters am Teatro Nacional Claudio Santoro in der Hauptstadt Brasília, D.F. und blieb es bis 2010. Nun hatte nun sein bedeutendes Gastspiel mit Wagners „Lohengrin“ am renovierten Teatro Colón, welches im letzten Jahr seit längerer Zeit wieder eine komplette Saison spielte. Somit ergab sich die interessante Möglichkeit, aus erster Hand etwas über das klassische Musikleben in Südamerika zu erfahren. Ira Levin verfügt mittlerweile über ein Repertoire von 70 Opern und hat diese in etwa 1.200 Vorstellungen dirigiert, mit Schwerpunkt in Europa. Man könnte ihn also durchaus als einen „musikalischen Wanderer zwischen den Welten“ bezeichnen.

 Berufseinstellung

 Für Levin war es ein großes Glück, als ersten Chef in der Oper Michael Gielen 1985 in Frankfurt am Main gehabt zu haben. Er wurde als Repetitor und Assistant Conductor mit Gielen verpflichtet. Mit ihm hat er auch Wagners „Ring des Nibelungen“ erarbeitet. Gielen lehrte ihn, wie wichtig es ist, dass ein Chef im Haus ist, Präsenz zeigt. Auch während einer Abwesenheit muss diese Präsenz spürbar sein, das hat auch Levin stark geprägt. Als er später selbst GMD wurde, versuchte er, diese Einstellung an seinem Opernhaus selbst zu leben, zuletzt eben in São Paulo und Brasília, D.F. „Das geht aber heute mehr und mehr verloren, und nicht nur in Südamerika. Vor gar nicht allzu langer Zeit sprach man von der „Ära der GMDs“, in der großartige musikalische Leistungen entstanden. Das hatte immer mit Präsenz zu tun, und es konnte ein eigener Stil entstehen. Diesen  schufen G. Mahler in Wien. Toscanini an der Mailänder Scala, O. Klemperer und E. Kleiber in Berlin, sowie J. Krips mit Mozart in Wien usw. Das oberflächliche Besuchen von Opernhäusern für einzelne Produktionen ist zwar interessant, aber nicht immer gut, denn es entsteht kein eigener charakteristischer Stil an diesen Häusern. Das gleiche gilt für die Orchester, z.B. Furtwängler in Berlin, Stokowski in Philadelphia oder Szell in Cleveland.“

Was waren die bedeutendsten Opern, die Sie in ihrer Südamerika-Zeit von 2003 bis heute musikalisch betreut haben?

In Brasilien machte er „Madama Butterfly“ „Macbeth“, „Falstaff“, „Don Carlos“, und „Nozze di Figaro“ in Sao Paulo bzw. Rio de Janeiro. Im Jahre 2004 war er für die EA von Janaceks „Jenufa“ in Brasilien verantwortlich, am Theatro Municipal de São Paulo (der Merker berichtete). In São Paulo dirigierte er auch „Salome“, „Samson und Dalila“ sowie „Lohengrin“. Mit dem Symphonieorchester des Staates São Paulo (OSESP) leitete er 2006 im großen Musiksaal „Sala São Paulo“ den 1. Aufzug der „Walküre“ konzertant (Violeta Urmana als Sieglinde, Stephen Gould als Siegmund und Steven Bronk als Hunding), zusammen mit dem Symphonischen Gedicht „Penthesilea“ von Hugo Wolf. (Der Neue Merker berichtete sowohl über den „Lohengrin“ wie auch über dieses Konzert). In Brasilien dirigierte er weitere Opern konzertant wie „Hänsel und Gretel“, den 2. Aufzug des „Parsifal“, und natürlich regelmäßig symphonische Konzerte. In die Zeit in Brasilia D.F. fielen auch einige Gastengagements in Düsseldorf, Dresden und anderen deutschen Städten. Während seines Engagements in Sao Paulo war dazu leider keine Zeit, obwohl es Angebote gab. Im Jahre 2006 gab Levin ein dreimonatiges Gastspiel mit „Porgy and Bess“ in Kapstadt und anschließend in Umea in Schweden. Das Kapstadt-Ensemble ging mit nach Umea! Dieses Engagement führte auch zu zwei Bruckner Aufnahmen auf CD mit dem Norrlands Symphony Orchestra. Und nun kam eben die Einladung für den neuen „Lohengrin“ am Teatro Colón, welches er als einen der Höhepunkte seiner Arbeit in Südamerika bezeichnet. Er wurde gleich danach wieder eingeladen, am Colón zu dirigieren, und zwar Enescus „Oedipe” im Mai und Juni 2012. Dies wird die Erstaufführung des „Oedipe” in Lateinamerika sein. 

Worin unterscheidet sich die südamerikanische Opernszene von der europäischen und US-amerikanischen?

Das Positive an der Arbeit mit südamerikanischen Opernhäusern ist die frische Mentalität, mit der sie neue Stücke, die oft zum ersten Mal einstudiert werden, aufnehmen und erarbeiten. Orchester und Chöre gehen diese Herausforderung in der Regel mit großer Neugier an. So konnte da Orquestra Sinfônica des Theatro Municipal de São Paulo im November 2004 den Preis für das beste Orchester in Brasilien gewinnen. Das Hauptproblem der meisten südamerikanischen Opernhäuser, sowie ihrer Orchester, ist jedoch ihre Abhängigkeit von den ständig wechselnden politischen Umständen. Oft geschieht das über Nacht, mindestens aber alle vier Jahre beim Wechsel der Stadtregierung, denen sie meist unterstehen. „Dann wird alles geändert, es gibt ein Jahr als Übergangszeit, dann können zwei bis drei Jahre durchaus kontinuierlicher Arbeit folgen. Nach dem 4. Jahr kommt aber schon die nächste Wahl. Es ist deshalb sehr schwer, langfristig zu planen und etwas aufzubauen.“ Ira Levin hat sogar selbst zweimal erlebt, wie durch einen Politikwechsel alles zusammenbrach.

Wie sehen Sie die Rolle des legendären Teatro Colón in Buenos Aires?

Zwar unterliegt des Teatro Colón auch den Entwicklungen der Bonarenser Stadtpolitik, aber er blickt auf eine reiche Geschichte und sehr große Tradition zurück. Dadurch steht es auf einer ganz anderen Ebene als die übrigen Häuser Lateinamerikas, es hat auch ein hohes stilistisches Niveau. Der Chor des Colón ist traditionell sehr gut, die Strukturen sind gut, das Teamwork, auch die Administration. All das kann sich nur in vielen Jahren der Kontinuität entwickeln, sodass das Colón über der gesamten lateinamerikanischen Opernszene steht. Man merkt diese andere Dimension, dass am Haus eine große Disziplin herrscht. Es hat Ira Levin immer sehr gefreut, hier am Pult zu stehen. „Es ist beeindruckend, an der Stelle zu stehen, von der aus Erich Kleiber, Fritz Busch, Arturo Toscanini, Wilhelm Furtwängler, Richard Strauss das Orquesta Estable dirigiert haben. Das ist einfach erhebend und schafft eine ganz besondere Aura.“ Auch Michael Gilen war am Colón, und zwar als Repetitor in der Saison 1948/49, nachdem seien Familie Deutschland verlassen hatte. Hier lernte er Carlos Kleiber kennen und ging später nach Wien zurück. Das Colón hat sich seine Geschichte trotz der vielen politischen ups and downs erhalten – und hat damit eine ganz besondere Atmosphäre!

Was sind seine musikalischen Präferenzen und Pläne für die Zukunft?

Ira Levin liebt vor allem das deutsche Repertoire mit Schwerpunkt auf dem schweren Fach, also Richard Wagner und Richard Strauss. Aber er hat auch viel Mozart und Verdi dirigiert und tut dies ebenfalls mit großem Interesse und viel Liebe. Er dirigiert sehr gerne Janacek, hat seine „Jenufa“ bereits fünf Mal einstudiert. Des weiteren dirigierte er „Boris Godunow“, auch Opern von Schostakowitsch und Britten. Er hat auch schon Schönbergs „Moses und Aaron“ dirigiert und interessiert sich sehr für die Komponisten der 1920er Jahre, wie Busoni, Schreker, Zemlinsky und Walter Braunfels. Von letzerem studierte er 1990 in Bremen „Die Vögel“ auf CD ein. Sie wurden  für Radio Bremen aufgezeichnet. Später dirigierte Levin die deutsche EA von „Maskarade“ von Carl Nielsen in Kassel. Es gibt auch zwei Einspielungen der Orchesterwerke von Michael Colina mit dem London Symphony Orchestra (Fleur de son, Naxos) sowie CDs mit eigenen Klavierbearbeitungen, darunter Werke von Wagner und Strauss. In Fortführung seines ungewöhnlichen und breit gefächerten Repertoires würde Levin gern einmal Hindemiths „Cardillac“ dirigieren. „Ich liebe Cardillac!“

Im französischen Fach liegt ihm besonders Berlioz. Ira Levin ist vor kurzem wieder nach Deutschland gezogen, lebt nun in Berlin. „Germany is my spiritual home. Hier habe ich bereits von 1985 bis 2002 gelebt und fühle mich noch jung genug, alte Kontakte wiederzubeleben.“ Er kannte Berlin noch nicht so gut, als er 2011 herzog. Vor dem Hintergrund seiner Erfahrungen in Südamerika wurde ihm nun erst recht bewusst, was für ein bedeutendes Kulturzentrum das moderne Berlin heute ist. „Es ist fantastisch! Jeden Tag gehe ich zwei bis drei Stunden spazieren und fühle mich nach den Auslandsabenteuern hier immer wohler.“ In Berlin, aber auf jeden Fall wenn  möglich, in Deutschland, würde Ira Levin gern etwas aufbauen, in dem Sinne, wie er es zu Beginn geschildert hat. Etwas Langfristiges

Der Neue Merker wünscht dem sympathischen, unternehmungslustigen und ebenso motivierten wie disziplinierten Maestro dazu viel Glück.                       

(Das Interview wurde auf Deutsch und Englisch geführt)

(Fotos in der Bildergalerie).

 Klaus Billand

 

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