Interview mit András Lukács, dem artistischen Direktor des Balletts in Győr
András Lukacs. Foto: Ashley Taylor
Seit Saisonbeginn 2020 ist András Lukács artistischer Direktor des Győri Balett. Der Absolvent der ungarischen Ballettakademie, der auch an der Elmhurst Ballet School in London studierte, erhielt danach Engagements im Ungarischen Nationalballett, im Ballett Frankfurt von William Forsythe und im Lyon Opera Ballet. 2005 kam er als Halbsolist ans Ballett der Wiener Staatsoper und Volksoper; im Vorjahr beendete seine Tänzerkarriere im Wiener Staatsopernballett, um sich ganz seiner neuen Aufgabe widmen zu können.
Das Ballett von Győr kannte András Lukács bereits von früheren Gelegenheiten – so war u.a. sein „Bolero“ hier im Repertoire. Die neue Aufgabe als artistischer Direktor bedeutet nicht nur zu choreografieren, sondern auch zahlreiche administrative Aufgaben zu erfüllen, wie u.a. den Probenplan zu erstellen, die Texte für das jeweilige Programmheft abzusegnen, die Fotos dafür auszuwählen und das Layout zu genehmigen.. „Es war am Anfang schon eine Umstellung nun auf der anderen Seite zu stehen – in meiner Position muss ich jetzt viele Entscheidungen treffen, die mir als Tänzer nicht bewusst waren, was es alles zu überlegen gibt“, erläutert er. „Als Tänzer ist man in einem eigenen Mikrokosmos, aber als künstlerischer Direktor bin ich für vieles verantwortlich – das Wohl der Company steht dabei immer an erster Stelle.“ Außerdem kümmert er sich bei den diversen Produktionen um die Kostüme und das Licht Design, so dass alles wie vorgesehen abgewickelt werden kann. Weiters ist er für die Abhaltung von Auditions zuständig und trifft gemeinsam mit Ballettdirektor László Velekei Personalentscheidungen bzw. die Stückauswahl für die jeweilige Spielzeit.
Choreografiert hat András Lukács bereits seit seiner Zeit im Ungarischen Nationalballett. Für Wien schuf er u.a. „Tabula Rasa“ (2006; Musik: Arvo Pärt), Duo“ (2009, Musik: Max Richter), „Bolero“ (2012, Musik: Maurice Ravel), „The White Pas de deux“ (2013; Musik: Pjotr I. Tschaikowski), „Movements to Strawinski“ (2017; Musik: Igor Strawinski). Der Pas de deux „Luminous“ zu Musik von Max Richter hatte seine Uraufführung 2019 auf einer Gala in Ljubljana – getanzt von Natascha Mair und Jakob Feyferlik; in Wien wurde diese Kreation dann erstmals bei der Nurejew-Gala zu Saisonende aufgeführt.
Auch László Velekei hat bereits viele erfolgreiche Choreografien geschaffen – gemeinsam bestreiten sie nun mit je einem Stück die aktuelle Premiere in Győr. Beide kennen einander bereits von den ersten gemeinsamen Jahren in der ungarischen Ballettakademie. Nun haben sich ihre Wege wieder zusammengeführt. „László gibt mir zum Choreografieren totale Freiheit, er unterstützt mich in allem. Wir arbeiten sehr gut miteinander und können über alles miteinander sprechen“, meint András Lukács.
So war es ihm auch möglich, im vergangenen Mai die Einladung von Manuel Legris, dem Chef des Balletts der Mailänder Scala anzunehmen, um dort „Movements to Stravinsky“ einzustudieren. Als Assistent bekam er Massimo Murru zugewiesen, worüber er sich sehr gefreut hat: „Als ich als junger Tänzer in Lyon unter Vertrag war, gastierte Massimo dort und ich habe ihn damals sehr bewundert. Jetzt wurde mir dieser bedeutende Tänzer als Assistent für meine Choreografie zugeteilt und wir haben sehr gut zusammen gearbeitet. In der ersten Vorstellung mit Publikum nach dem Lockdown in Italien saßen wir dann nebeneinander in der königlichen Loge in der Scala di Milano! Wenn mir das früher jemand gesagt hätte, ich hätte nie gedacht, dass das einmal passiert.“
Ensemble in “Disconnect”© Balázs Csapó
Trio in „Disconnect“: Gerda Guti, Adria Eszter Herkovics, Patrik Engelbrecht. © Tibor Laposa
Die vergangene Saison war pandemiebedingt schwierig, weil die Theater auch in Ungarn geschlossen waren, aber glücklicherweise konnten die Tänzer trotzdem trainieren und proben, weil die Company in Győr eigene Ballettsäle außerhalb vom Nationaltheater hat und das Ensemble laufend getestet wurde um Ansteckungen zu verhindern. „First comes the company“, erklärt András Lukács, dem es wichtig war in dieser herausfordernden Zeit die Tänzer mit Erarbeitungen neuer Piecen gut zu unterstützen, damit sie gut in Form bleiben. Damit konnten so gut wie alle geplanten Werke geprobt und zumindest im Stream gezeigt oder aufgenommen werden, womit die vorstellungslose Zeit recht gut überbrückt wurde. In dieser Zeit entstand „Disconnect“, das András Lukács seiner verstorbenen Mutter widmete und das bei der Uraufführung als Gastspiel vom Ballett Győr im September 2020 in Budapest ein großer Erfolg war und zusammen mit „Zweisamkeit“ von Eno Peci aufgeführt wurde.
Pas de deux: Tetiana Baranovska und Patrik Engelbrecht. © Kriszta Csendes
Auch „The waves“ wurde zuerst bei einem Gastspiel seiner Compagnie in Budapest gezeigt, jetzt hat diese Choreografie von ihm Premiere in Győr. Die Entstehungsgeschichte dieses Stücks reicht schon einige Jahre zurück. Anfang der 2000er Jahre sah er den Film „The Hours“ mit Nicole Kidman, Julianne Moore und Meryl Streep, in dem das Schicksal dreier Frauen beschrieben wird, deren Leben mit dem Roman Mrs. Dalloway von Virginia Woolfe verknüpft ist. Inspiriert durch diese Verfilmung und der darin verwendeten Musik von Philipp Glass entstand 2005 zunächst „Whirling Pas de deux“ für das Ballett der Wiener Staatsoper und Volksoper. András Lukács war von diesem brillanten Kinofilm nachhaltig beeindruckt, passte für ihn auch die Musik von Philipp Glass perfekt zur Handlung. So war es für ihn nur eine Frage der Zeit, den Pas de deux zu einem größeren Werk zu erweitern: 2010 hatte „Whirling“ mit dem ungarischen Nationalballett Premiere. Wie bereits das Duett war auch dieses umfangreichere Stück sehr erfolgreich und wurde auch jetzt am 25. Oktober bei der Eröffnung der Eiffel Art Studios in Budapest aufgeführt – getanzt vom Ungarischen Nationalballett
Gruppe in “The Waves”: Tetiana Baranovska, Bánk Téglás, Richard Szentiványi, Máté Gémesi.© Kriszta Csendes
Die tragische Figur der Schriftstellerin Virginia Woolfe ließ ihn nicht los und er beschäftigte sich weiter mit diesem Thema. So entdeckte er 2017 die Komposition Three Worlds: Music From Woolf Works von Max Richter: der Komponist hatte mit diesem Album Kompositionen aus der Partitur für das Ballett „Woolfe Works“ von Wayne McGregor veröffentlicht. Dieses dreiteilige Werk bezieht sich auf drei Romane von Virginia Woolfe – Mrs. Dalloway, „Orlando“ und „Die Wellen“. Die Schauspielerin Gillian Anderson (bekannt aus der TV-Serie „Die Akte“) liest hier den Abschiedsbrief, den Virgina Woolfe an ihren Ehemann geschrieben hat. So entwickelte András Lukács seine Choreografie „Whirling“ weiter zu „The Waves“, indem er auch als Musik den Teil „Tuesday“ aus dem Album von Max Richter verwendet und zu den Kompositionen von Philipp Glass („Violin Concerto Movement II“ und „Metamorphosis Two“) hinzufügte. In „The Waves“ geht es um das Leben und die letzten Momente von Virginia Woolfe. Die Schriftstellerin befürchtete nach einer neuerlichen depressiven Phase, dass sich ihre psychotischen Schübe wiederholen könnten und sie erneut Stimmen hören würde, was es ihr das Arbeiten unmöglich machen würde. Das wollte sie nicht mehr durchmachen und beschloss daher ihrem Leben ein Ende zu setzen. Sie verfasste einen Abschiedsbrief an ihren Ehemann Leonard und wählte den Freitod im nahe gelegene Fluss – da sie eine gute Schwimmerin war, stopfte sie Steine in ihren Mantel, um damit das Gewicht zu erhöhen, das sie in die Tiefe ziehen sollte um ihre Rettung zu verhindern. András Lukács war von diesem Abschiedsbrief, den sie an einem Dienstag geschrieben hatte (daher der Titel der Komposition von Max Richter), sehr berührt und diese Emotionen hat er in seiner Kreation tänzerisch umgesetzt. Die erfolgreiche Uraufführung fand heuer am 28.September im National Dance Theatre in Budapest statt. Dieses Theater wurde auf dem Gelände der ehemaligen Ganz Fabrik 2019 neu erbaut und liegt inmitten eines Parks. Nun bereitet er die „Heimpremiere“ im Nationaltheater in Győr vor. Die Proben laufen auf Hochtouren, steckt die Balletttruppe doch mitten in der intensiven Vorbereitungszeit dafür.
Was macht András Lukács wenn er frei hat? Er ist er gern in Wien, das ihm in der Vergangenheit durch seine Jahre im Wiener Staatsballett vertrautes Zuhause geworden ist – wie er sagt:“ hier verbrachte ich meine erwachsenen Jahre – zuvor waren es meine Jugendjahre in den anderen Städten und Compagnien – wahrscheinlich fühle ich deshalb so eine besondere Verbundenheit mit Wien.“ Und er ergänzt: „Ich bin hier gern am Flohmarkt, ich liebe dieses Flair.“ Der gebürtige Budapester fährt auch oft in seine Heimatstadt, in der sein Vater und Bruder leben, denn Győr liegt streckenmäßig in der Mitte. Er bewohnt in Győr eine schöne Wohnung in der Nähe vom Nationaltheater und ist damit immer rasch bei der Compagnie, da ja auch die Probenräume in der Nähe gelegen sind. „Das Vorjahr in der Pandemie-Situation war schwierig, obwohl wir viel zu tun hatten. Aber jetzt bin ich angekommen“, freut sich András Lukács auf Kommendes wie seine bevorstehende Premiere.
Ira Werbowsky