Online Merker Logo

Die internationale Kulturplattform

INNSBRUCK/Tiroler Landestheater: „SING ME NOT A BALLAD“ – Ein beeindruckender Saisonauftakt mit Birgit Minichmayr

Innsbruck: „SING ME NOT A BALLAD“ – 16.9. – Ein beeindruckender Saisonauftakt mit Birgit Minichmayr

mini1
Birgit Minichmayr und Martin Siewert) © Amir Kaufmann

Mit dem Liederabend „Sing Me Not a Ballad – Birgit Minichmayr gibt Lotte Lenya“ gelang dem Tiroler Landestheater unter seine neuen Intendantin Irene Girkinger ein beeindruckender Saisonauftakt. Die Produktion, die von der stimmgewaltigen Schauspielerin und Sängerin Birgit Minichmayr, dem Musiker Martin Siewert und dem Videokünstler Herwig Weiser gestaltet wird, erfolgt in Zusammenarbeit mit den „Klangspuren Schwaz“ und ist bis 17.11. noch sieben Mal in den Kammerspielen zu sehen.

„Sing Me Not a Ballad“ ist ein Hit von Lotte Lenya aus Kurt Weills Broadway-Musical „The Firebrand of Florence“ und könnte mit „Quatsch mir keine Opern!“ bzw. „Komm mal zur Sache!“ übersetzt werden. Wenn Birgit Minichmayr Lieder aus Kurt Weills Œuvre vorträgt, die dessen Ehefrau, die schillernde Sängerin Lotte Lenya, in zahlreichen Schallplattenaufnahmen unsterblich machte, so kommt sie fernab jeglicher Brecht-Weill-Nostalgie wahrlich zur Sache. Denn Minichmayr sucht gemeinsam mit dem Jazz- und Improvisationsmusiker Martin Siewert neue Wege zum Repertoire und es gelingt ihr, Lieder, die ursprünglich Lotte Lenya auf den Leib geschneidert waren, neu auszuloten.

Doch zunächst wird Lotte Lenya, die 1898 als Karoline Wilhelmine Blamauer in Wien-Penzing in bedrückenden, beengten Verhältnissen zur Welt kam, in eigenen Worten dargestellt. Minichmayr liest Passagen aus Lenyas pfiffig-ironischen autobiographischen Texten und man erfährt über den stets alkoholisierten Vater, einen Fiakerfahrer, und den ganzjährigen Zirkus in Schönbrunn sowie ihre ersten Versuche der Pantomime und Akrobatik. Man erfährt über die Tante, die die 15jährige Lotte nach Zürich mitnimmt und den Beginn einer zufälligen Theaterlaufbahn, die bald nach Berlin und später, als die Nazis an die Macht kommen, in die USA führt. Die packende Lesung endet mit Lotte Lenyas Schilderung ihrer ersten Begegnung mit Kurt Weill schon 1924 und ihres Entschlusses, nach dessen überraschenden Tod 1950 sein Werk am Leben zu erhalten.

Dann aber die Musik mit einer ganzen Reihe an neu durchdachten Hits, unter anderem aus den Bühnenstücken „Die Dreigroschenoper“ und „Happy End“ von Bertolt Brecht und Kurt Weill, und somit altbekannten Bildern und Figuren: Nacheinander erscheinen die „Seeräuber-Jenny“ in der verwüsteten Stadt, der Killer „Mackie Messer“, der verlogene Herzensbrecher „Surabaya Jonny“, die deutsche Mutter, die es bereut, ihrem Sohn ein braunes Hemd und schwarze Stiefel gekauft zu haben, und die Frau des Nazi-Soldaten, die nach all den schönen Geschenken aus eroberten Städten schließlich den Witwenschleier erhält. Gesungen werden aber auch Weill-Lieder aus seiner amerikanischen Zeit, etwa der versoffene „Alabama Song“, der lyrische „September Song“ und das hintergründige Liebeslied „Speak Low“, das mit der Zugabe „Erinnerung an die Marie A.“ bestens harmoniert.

mini2
Birgit Minichmayr  © Amir Kaufmann

Birgit Minichmayr mit ihrer eindrucksvollen, auch in der Tiefe voluminösen Stimme, richtet den Fokus auf den emotionalen Gehalt der Liedtexte und größtmögliche Ausdruckskraft. Das Spektrum der vokalen Mittel ist umfangreich: Rauigkeit, Exklamation, Parlando, Flüstern, Flehen, Verfremdungen oder laszive Färbungen werden je nach Bedarf gekonnt eingesetzt und sorgen für Spannung im 90minütigen Programm. Auf der Strecke bleiben allerdings zumeist die chansonartigen, kabarettmäßigen und augenzwinkernd-ironischen Wesenszüge der Weill-Lieder, die melodischen „Ohrwürmer“. Auf sie wird zugunsten der Expressivität weitgehend verzichtet, frei nach Brecht wird „nicht romantisch geglotzt“.

Eher kontrastierend, aber im Sinne einer Ergänzung, wirkt das Spiel von Martin Siewert am Synthesizer und vor allem an der E-Gitarre. Die Begleitung ist zurückhaltend und ab und zu werden durch geräuschgesättigte Klänge Akzente gesetzt und vor allem Übergänge geschaffen.

Im Kontext fast zu aufwändig, jedenfalls unruhig wirkt Herwig Weisers an sich faszinierender, in Schwarz-Weiß gehaltener Videofilm, in dem diverses Federvieh in Gehegen, Ställen und auf Dachböden aufgespürt wird und an dessen Ende die trostlose Einförmigkeit einer sizilianischen Waldbrand-Landschaft steht. Auge und Ohr suchen immer wieder vergeblich nach Beziehungen zwischen den Liedern und den bewegten Bildern.

Thomas Nußbaumer

 

 

 

 

Diese Seite drucken