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INNSBRUCK/ Tiroler Landestheater: CARMEN. Premiere

Triumph der Fadesse

22.09.2018 | Allgemein, Oper


Ksenia Leonidovas (Carmen), Rafal Bartminski (José)- Copyright: Rupert Larl

Innsbruck – Tiroler Landestheater

„CARMEN“21.9.2018 (Premiere) – Triumph der Fadesse

Volles Haus, am Vorplatz Hunderte von Interessenten, die der ersten Live-Übertragung aus dem Tiroler Landestheater auf der Leinwand vor der Hofburg bei spätsommerlichen Temperaturen mit Spannung entgegenfiebern. Leider blieb es bei der Vorfreude, denn was sich danach auf der Bühne des TLT abspielte, war die langweiligste, unpackendste „Carmen“ seit Jahren. Wenn man sich das letale Ende der Handlung förmlich herbeisehnt, um raschest das Haus zu verlassen, ist alles gesagt. Und das bei einer „Carmen“!!

Der ehemalige Tenor Laurence Dale hat sich seit 2000 der Regie zugewandt und feiert mit seinen Inszenierungen internationale Anerkennungen. Bloß Innsbruck scheint kein gutes Pflaster für ihn zu sein. Auf den 2008 am TLT in den Sand gesetzten „Zar und Zimmermann“ folgt nun am selben Haus eine unsinnliche, vor Unlogik nur so strotzende „Carmen“- Einkehr. Details dazu würden den Rahmen des Berichtes sprengen, aber auf zwei besondere Regieeinfälle sei hingewiesen. Das Wiedersehen von Carmen und José im 2. Akt bei Lillas Pastia verlief derart gemächlich, dass es schon wieder reif für eine Parodie wäre. Jedes alpenländische Krippenspiel strotzt da mehr vor Erotik als das hier Gezeigte. Null Funken Emotion, fiebriges Erwarten, keine aufgestaute Wiedersehensfreude. Ein Teil des 4. Aktes (nach dem Einzug der Toreros) spielt in einem Zimmer nächst der Arena. Der äußerst attraktive Escamillo und Carmen spielen Liebe Marke „Blümchensex“. Aber Sex vor der Arbeit / dem Sport tut selten gut und so nimmt es nicht wunder, dass der Stierkampf tödlich für den Torero (!) endet. Dieser platzt in die „Unterredung“ von Carmen und José, um sein Leben an ihrer Seite auszuhauchen. Sie wird es ihm gleich tun. Seltsam – in der Pause war fast nur Negatives über die Regie zu hören, aber am Schluss war kein einziger Misston zu vernehmen. Bühnenbildner Tom Schenk lässt die Drehbühne fleißig rotieren und hat darauf eine Felsformation gesetzt, die von den Darstellern häufig erklommen wird. Einige Häuserfronten (erinnern an die Wohnblöcke von „Rienzi“ in der letzten Saison) und die raffiniert ausgeleuchteten Hinter- und Zwischenvorhänge erzeugen eine zwar durchgehend dunkle, aber stimmungsvolle Bühnenlösung. Simon Stenzel ist für die bezwingende Lichtgestaltung ebenso zu loben wie einmal mehr Kostümausstatter Michael D. Zimmermann, der auf knallige Farben verzichtet (Ausnahme: Kostüme der Toreros) und das Bühnenpersonal mit eher dunkel gehaltenen, kleidsamen Kostümen versah.


Germàn Olvera (Escamillo), Rafal Bartminski (José)- Copyright: Rupert Larl

Auf der Bühne waren einige für Innsbruck neue Sänger (teils Gäste, teil neue Ensemblemitglieder) zu erleben. Bei Ksenia Leonidovas Carmen vermisste man eine dominierende Persönlichkeit, das Wilde, Katzenartige, Ungezügelte kann sie nicht vermitteln. Für diese (bildhübsche) Frau gerät kein Mann in Raserei. Ihr eher heller Mezzosopran besitzt ein schönes Timbre, die Stimme weißt keine Brüche auf, lässt aber jegliche Aura (speziell für diese Rolle) vermissen. Die Arien werden anständig vorgetragen, von einer Durchdringung der Rolle (die sie schon mehrmals verkörpert hat!) keine Spur. Ob die Sängerin nicht bei Rossini und Mozart besser aufgehoben wäre als im dramatischen Fach? Beim großgewachsenen, gut aussehenden polnischen Tenor Rafal Bartminski hielt sich die darstellerische Leidenschaft ziemlich in Grenzen (Regie bedingt oder partnerschaftlich?), stimmlich konnte er – trotz relativ geringem „Spiel mit der Stimme“ sehr gefallen, nach lyrischem Beginn erklomm er zunehmend dramatischere Gefilde und wurde vom Publikum am heftigsten gefeiert. Eine Klasse für sich war der Escamillo des mexikanischen Bariton Germàn Olvera, Besitzer einer fabelhaften Stimme und einer beneidenswerten Physis. Die seit dieser Saison dem TLT engagierte Anna-Maria Kalesidis, Gewinnerin des „Österreichischen Theaterpreises 2018“ für ihre beeindruckende „Rusalka“ am TLT in der Saison 2016/17, bezauberte als sympathische, berührende Micaela mit silberhellem Sopranglanz. Ausgezeichnet und dem Haus alle Ehre machend waren die Beiträge der Damen Sophia Theodorides (eine Frasquita mit jubelnden Höhen), Camilla Lehmeier (eine Mercèdés mit Anwärterschaft auf die Titelrolle), Alec Avedissian (Moralés), Jon Jurgens (Remendado) sowie Dale Albright (Dancaire). Andreas de Majo trat als Priester, Torero und Lillas Pastia gewinnbringend in Erscheinung. Johannes Maria Wimmer war als Zuniga zu vernehmen.

Herzerfrischend, mit welcher Hingabe der Kinderchor des TLT (Leitung Janelle Groos) in Erscheinung trat, tadellos auch die Formation „Chor und Extrachor des TLT“ (Einstudierung Michel Roberge). Andrea Sanguineti am Pult des diesmal besonders schönen Streicherklang produzierenden Tiroler Symphonieorchesters Innsbruck (die Bläser sind stets eine Klasse für sich) sorgte für eine unfallfreie Wiedergabe. Bei den Folgeaufführungen dürfte noch so manches an Rundung und Spannung dazukommen.

Dietmar Plattner

 

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