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INNSBRUCK/ Tiroler Landestheater: ALBERT HERRING – Premiere

11.06.2012 | KRITIKEN, Oper

Tiroler Landestheater Innsbruck: „ALBERT HERRING“ 9.6.2012 (Premiere) – Mit Liebe aufs Korn genommen


Hervorragendes Britten-Ensemble. Foto: Rupert Larl

Die letzte Premiere ihrer Intendanz und rund sechzigste selbst verantwortete Inszenierung von Brigitte Fassbaender galt mit Benjamin Brittens 1947 in Glyndebourne uraufgeführter Comic Opera bereits zum vierten Male innerhalb von dreizehn Jahren einem Werk aus der Feder des an vielen Bühnen immer noch unterrepräsentierten Briten, allerdings einem auf den ersten Blick für ein Finale mit wenig musikalischer Opulenz verbundenen Werk. Doch nicht nur, wer sich mit diesem auf einer Vorlage von Guy de Maupassant fußenden und von Eric Crozier für den Komponisten erstellten Bühnenfassung etwas beschäftigt hat, auch den spontan während der Aufführung mit dem Ablauf konfrontierten Zuschauern wurde bald klar, dass es der scheidenden Intendantin um das Feiern des Ensemble-Gedankens geht. Diesbezüglich stellte das an diesem Abend Gezeigte dem Niveau des von ihr bestellten Hauses ein glanzvolles Zeugnis aus, denn ohne das gleichmütige Zusammenspiel und den Zusammenhalt des Ensembles ist diese Anklage auf die Moral im ländlichen England mit seinen vertrackten rhythmischen Gruppen-Einsätzen nicht professionell zu realisieren.

Hat Fassbaender in vielen ihrer Arbeiten mit ungewöhnlichen Bühnenlösungen einige Fragezeichen hinterlassen, so schenkte sie dem Publikum zu ihrem Abschied eine trotz gewisser musikalischer Sperrigkeiten ohne Umschweife auskommende, leicht goutierbare Kost. Eine durchgängig klar Position beziehende Personenregie ermöglichte die spontane Effektivität von ironischem Anstrich und der Kehrseite einer Nachdenklichkeit, die die Figuren trotz all ihren Schrullen nahe an uns heranführt. Diese werden nicht bloß gestellt, vielmehr als Teil einer Gesellschaft gezeichnet, bei der es wie bei uns selbst doch sehr menschelt. Für die in Loxford in East Suffolk angesiedelte Geschichte hat ihr Bettina Munzer einen praktikablen Bühnenraum geschaffen, der trotz unveränderter Außenhüllen mit einfachen Mitteln wie den Requisiten einer britischen Telefonzelle und eines Briefkastens die drei verschiedenen Original-Schauplätze vorstellbar macht.

Eine in zwei rechteckigen Biegungen von hinten nach vorne führende, leicht geneigte Rampe dient als Auftritts- und Abtrittsweg. Im vorderen Bereich links genügen ein paar Stühle für die Zusammenkunft der Honoratioren zur Auswahl-Diskussion einer neuen Maienkönigin, rechts befindet sich die Verkaufstheke mit einigen Obst- und Gemüsekörben von Mrs. Herrings Laden. Deren Sohn Albert wird in Ermangelung einer tugendhaften Jungfrau ersatzweise zum Maienkönig gekrönt und nutzt in der Folge eines unfreiwilligen Rauschs auf dem Fest in einem Zelt (herunter gelassene weiße Vorhänge, der vordere Rampenabschnitt als gedeckte Tafel) die Gelegenheit, sich endlich aus der strengen Hand seiner Mutter zu befreien und sich moralisch verwerflichen Abenteuern hinzugeben. Anstatt erleichtert und dankbar zu sein, dass sich der befürchtete Unglücksfall oder gar Selbstmord nicht bewahrheitet, wird Albert nach seiner Rückkehr mit Vorwürfen überhäuft, doch dieser hat inzwischen erkannt, sein Leben selbst in die Hand zu nehmen und erobert sich durch seinen Mut zur Öffnung obendrein noch die bisher mit dem Metzgerburschen Sid verbandelte Nancy. Gelöst und glücklich entledigt er sich der Sonnenblumen seiner lachhaften „Königstracht“ und wirft diese ins Publikum. Wie diese Kostümierung tragen die Ausstaffierungen aller Beteiligten in ihrer Betonung biederer Konvention bzw. gegensätzlicher Hervorkehrung des Modischen zum Schmunzeln. Verstärkt wird dies noch durch die charakterliche Ausfüllung der Solisten.

Als Spitze des Komitees  über die Bewachung der Wahrung der Sitten und des Anstands fungiert die herrschaftliche Lady Billows – eine Paraderolle für eine Vollblut-Künstlerin wie Susanna von der Burg mit Macht gebietendem und durchsetzungsfähigem Sopran sowie einem jederzeit durchscheinenden Sinn für das Ausspielen komischer Details. In Partien wie der eifrigen Schulvorsteherin Miss Wordsworth und der etwas gewöhnlichen Mrs. Herring sind zu gelegentlich strengem Tonfall und Überspitztheit neigende Soprane wie die von Christine Buffle und Jennifer Maines ideal eingesetzt, zumal sie spielerisch voll in diesen beiden köstlichen Charakteren aufgingen. Anne Schuldt kann als über alle Untugenden der Dorfbewohner informierte Haushälterin Mrs. Pike ihren vollsaftigen Mezzo ebenso vorteilhaft einsetzen wie die als Gast engagierte Fachkollegin Marija Jokovic eine auch über warme Farben verfügende Stimme für die mitfühlende
Bäckerstochter Nancy.

Joshua Lindsay hat mit der Titelrolle durch wandelbares Spiel vom verklemmten Muttersohn zum Unschuldsverlierer und vorteilhafter tenoraler Ausdrucks-Nuancierung nach bislang weniger auffallenden Repertoire-Einsätzen zuletzt noch einen wohltuenden Erfolg errungen. Todd Boyce überzeugte als Sid durch sein aufmüpfig rebellierendes Verhalten und seinen wortverständlich und präzise geführten Bariton. Ob Dale Albright als köstlich mit seinen Schwächen kämpfender Bürgermeister, Joachim Seipp als steif ergebener Pfarrer oder Marc Kugel als beflissener Polizei-Superintendent – bei allen dreien geht das Vokale so vollkommen im Schauspiel auf, dass der eine oder andere nicht so gelungene Ton keine Rolle mehr spielt. Die erfrischend jungen, hellen und klaren Soprane sowie der jugendliche Bewegungsdrang von Sophie Mitterhuber als Emma und Susanne Langbein als Cis macht vollkommen vergessen, dass hinter den beiden Kindern mit ihren Zöpfen erwachsene Frauen stecken. Kindlichkeit zwischen Scheu und Keckheit brachte ein leider nicht namentlich genannter Solist der Wiltener Sängerknaben als Harry ins Spiel.

Für das Publikum war es eine ebenso anspruchsvolle Aufgabe wie für den Musikalischen Direktor Alexander Rumpf  mit den zwölf Musikern des Tiroler Symphonieorchesters Innsbruck die nicht einfache Struktur der Partitur zwischen sprachbezogenem Takt, liedhaft melodiösen Entfaltungen sowie teilweise beider Überlagerung frei zu legen, die zahlreichen Kommentare in Form von Zitaten aus der Musikgeschichte zu ordnen und dabei möglichst vielen Details die volle Aufmerksamkeit zu widmen. Dass sich das kleine, aber eine erstaunliche Klangfülle erreichende Orchester denn doch leichter tat als einige Zuhörer, die nach dem ersten Teil vor der Pause aufgaben, spricht für die Kompetenz der Musiker und die umsichtige Führung des Dirigenten. Deutsche Übertitel halfen bei dieser im englischen Original gesungenen Einstudierung bei aller Bemühung um eine klare Artikulation erheblich um dem Geschehen und seinen vielen Pointen folgen zu können.

Was nicht nur in dieser letzten Inszenierung der Aera Fassbaender, sondern in vielen vorangehenden an künstlerischen Leistungen sowie durch eine vielseitige und z.T. sehr anspruchsvolle Repertoire-Ausrichtung zu erleben war, ist weit weg von jener Provinzialität, die im Falle dieser Britten-Oper die kooperierende Wiener Volksoper durch eine Einstudierung in  deutscher Sprache an den Tag legt.

Udo Klebes   

 

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