Großer Opernabend in Innsbruck: „Die tote Stadt“ von Erich Wolfgang Korngold“ (Vorstellung: 14. 2. 2013)
Die beiden Hauptdarsteller Jennifer Maines und Wolfgang Schwaninger begeisterten als Marietta und Paul (Foto: Rupert Larl)
Neuerlich wartete das Tiroler Landestheater in Innsbruck mit einer tollen Opernproduktion auf: „Die tote Stadt“ von Erich Wolfgang Korngold, die 1920 gleichzeitig in Hamburg und Köln uraufgeführt wurde und bis 1933 insgesamt 55 Inszenierungen erlebte. Das Werk, das Korngolds Weltruf als Komponist begründete, war an der Metropolitan Opera in New York die erste Oper in deutscher Sprache, die nach dem Ersten Weltkrieg in den USA auf die Bühne kam. Am Tiroler Landestheater steht sie als Koproduktion mit dem Theater Regensburg erstmalig auf dem Programm.
Die Handlung der Oper, deren Libretto der Komponist mit seinem Vater Julius unter dem Pseudonym Paul Schott nach Georges Rodenbachs „Bruges-la-morte“ selbst verfasste, in Kurzform: Pauls einziger Lebensinhalt besteht in der Bewahrung des Andenkens an seine verstorbene Frau Marie, die er über alles geliebt hat. Als er der Tänzerin Marietta begegnet, die Marie völlig gleicht, lädt er sie zu sich nach Hause ein. Nach und nach fließen für ihn die Bilder der Toten mit jenen Mariettas ineinander. Marietta, die den „Kampf“ gegen die tote Rivalin aufnimmt, setzt ihre Verführungskünste ein, verhöhnt Paul und provoziert ihn, indem sie mit Maries Haarflechte herumspielt. Außer sich wirft Paul sie nieder und erdrosselt sie. Endlich wacht Paul aus seinem Traum und muss sich eingestehen: „Ein Traum hat mir den Traum zerstört.“ Als er allein ist, kommt Marietta, um einen vergessenen Blumenstrauß zu holen. Paul beschließt, seinem wahnhaften Totenkult ein Ende zu setzen und Brügge, die „Stadt des Todes“, zu verlassen.
Korngold war erst 23 Jahre alt, als seine Oper „Die tote Stadt“ 1920 uraufgeführt wurde. Er selbst schrieb, wie dem informativ gestalteten Programmheft zu entnehmen ist, ein Jahr später über die Musik seines Werks: „Von der Musik möchte ich in geziemender Zurückhaltung nur so viel sagen dürfen, dass ich gerade des traumhaft-phantastischen Charakters der Handlung wegen das Streben auf äußerst dramatische Knappheit richtete. … Und noch mehr als zuvor war ich bei aller Wahrung der dramatischen Funktionen eines im Dienste von Stimmung, Schilderung und psychologisch-dramatischer Charakteristik farbig und thematisch geführten Orchesters auf Hervortreten des singenden Menschen, auf Gefühl und Affekt widerspiegelnde, dramatische Gesangsmelodie bedacht. Dies alles unbeschadet moderner Diktion, in der ich höre und fühle.“
Die berückenden Klangfarben seiner Partitur, die neben den erotischen Verstrickungen der Figuren auch Traum und Wirklichkeit wunderbar widerspiegeln, wurden vom Tiroler Symphonieorchester unter der subtilen Leitung von Alexander Rumpf packend wiedergegeben. Dass die Aufführung dem Publikum einen eindrucksvollen Abend bescherte, war auch dem Regisseur Ernö Weil zu verdanken, dem es gelang, in seiner atmosphärisch dichten Inszenierung Traum und Wirklichkeit auf raffinierte Weise verschmelzen zu lassen und durch seine gute Personenführung eine atemberaubende Spannung zu erzeugen. Kongenial unterstützt wurde er von Karin Fritz, deren Gestaltung der Bühne – mit vielen großen Porträtfotos der Verstorbenen, einem Bild Maries auf einer Chaiselongue in Breitleinwandformat hinter einem Vorhang und einer Glasvitrine mit der Haarflechte der Toten – und deren Entwürfe für die schlicht gehaltenen Kostüme für die nötige Atmosphäre sorgten. Ebenso wie die kreativen Lichteffekte von Johann Kleinheinz und die stimmungsvollen Video-Projektionen von Karl-Heinz Christmann.
Die extrem schwierige Partie des Paul meisterte der Tenor Wolfgang Schwaninger bravourös. Mit strahlender Höhe und oftmals erschütterndem Spiel begeisterte er das Publikum. Nicht minder großartig die Leistung der kanadischen Sopranistin Jennifer Maines als Marietta. Auch sie bewältigte alle Gesangsklippen ihrer Rolle und war auch darstellerisch exzellent, wenngleich ihre erotische Ausstrahlung ein wenig unterkühlt wirkte. Mit angenehmer Stimme wartete die niederländische Mezzosopranistin Anna Maria Dur auf, die als Pauls Haushälterin Brigitta eine erstklassige Besetzung war. Mit seinem wohlklingenden Bariton stattete Joachim Seipp die Rolle von Pauls Freund Frank aus.
Als Pierrot konnte der Bariton Daniel Raschinsky mit der berühmten Arie „Mein Sehnen, mein Wähnen“ das Publikum beeindrucken, wobei er – auf einer Kugel stehend – über die Bühne schwebte. Zur guten Ensembleleistung trugen auch die Sopranistin Gesche Geier als Juliette, der Tenor Joshua Lindsay als Victorin und Stimme des Gaston, der Tenor Florian Stern als Graf Albert sowie mit ästhetischem Tanz David Laera als Tänzer Gaston bei. Die Wiltener Sängerknaben harmonierten gut mit dem Chor und Extrachor des Tiroler Landestheaters (Einstudierung: Michel Roberge) und trugen auch das Ihre zur exzellenten Aufführung bei.
Das begeisterte Publikum applaudierte allen Mitwirkenden minutenlang, Bravo-Rufe gab es für Wolfgang Schwaninger, Jennifer Maines und für das Orchester mit ihrem Dirigenten Alexander Rumpf.
Udo Pacolt, Wien – München