Innsbruck: „SALOME“ – 12.2.2022 Pr. – Spannungsvoll und fesselnd
Jacquelyn Wagner (Salome), Florian Stern (Herodes) © Birgit Gufler
Richard Strauss’ „Salome“ (1905) in der Inszenierung von Angela Denoke feierte am Tiroler Landestheater eine umjubelte Premiere. Allein das Bühnenbild von Timo Dentler und Okarina Peter, die auch für die anspielungsreichen Kostüme verantwortlich zeichnen, ringt Bewunderung ab. Die Terrasse im Palast des Herodes und das Innere des Gebäudes, in dem sich auch Jochanaans Gefängniszisterne befindet, werden durch eine steil nach oben verlaufende breite Wendeltreppe angedeutet, die sich mehrfach in einem kreisrunden Wölbspiegel im Hintergrund bricht, was dem Bühnenraum nicht nur Tiefe verleiht, sondern auch die förmliche Verstiegenheit der Handlung und ihrer Figuren symbolisiert. Durch geschickte Beleuchtung und verzerrte Spiegelung der Handelnden in ihren farblich dezent aufeinander abgestimmten Kostümen entsteht streckenweise der Eindruck, das Geschehen würde sich in einer Glaskugel, die zugleich den im Text mehrfach genannten Mond einer schaurigen Nacht darstellen könnte, abspielen. Die daraus entstehende Atmosphäre öffnet Räume der Vorstellungskraft und Spielräume der Regie, um die tiefenpsychologischen Seiten der Bühnengestalten und ihrer Leidenschaften – Begehren, Wollust, Abweisung, Hass, Eifersucht, Machtgier, Sadismus, Glaubenswahn – auszuloten.
Die somit raffinierte, andererseits aber rationelle Bühne will mit Leben und Spannung erfüllt werden. Eine erstklassige Besetzung der Premiere vermochte diesbezügliche Intentionen der Regisseurin wie auch ihrer Choreografin Martine Reyn glänzend umzusetzen. Mit Jacquelyn Wagner wurde eine Salome-Darstellerin gewählt, die das Register der ihr zugeschriebenen Leidenschaften und Affekte nahezu perfekt beherrscht. Koketterie, Verlangen, hinterlistige Berechnung, Härte im Sieg und schließlich Schmerz finden in ihrer in allen Lagen differenzierten, das Spektrum von Brüchigkeit bis zum strahlend blitzenden Triumphgesang umfassenden Stimme die entsprechenden Ausdrucksmittel. Aber diese Innsbrucker Salome ist nicht bloß ein abscheuliches bestialisches Weib, das am Ende sterben muss, sondern auch ein Opfer, und zwar des fortwährenden Missbrauchs durch ihren Stiefvater Herodes. Symbolisiert wird diese Interpretation einerseits durch die Gestaltung des berühmten „Tanzes der sieben Schleier“, in dessen Verlauf Salome von den Männern des Ensembles bzw. der Statisterie des TLT und insbesondere Herodes im Bühnenkonstrukt umhergehetzt wird und am Ende ihren mit farbigen Schleiern ausstaffierten Rock ablegt, und andererseits durch die stumme Rolle der Salome als unschuldiges Kind (Emma Neureiter), die sinn- und beziehungsreich dort auftritt, wo man Missbrauch im Kindesalter vermuten kann.
Ebenso überzeugend wie Wagner agiert Florian Stern als Herodes, der in Momenten des überlegenen Machtgefühls seine warme, hervorragend austarierte Tenorstimme mit triumphierendem Schmelz entfaltet. Sehr gut gelingt ihm die Balance zwischen Angst (vor Jochanaan), Schuldgefühlen und Getriebensein einerseits und Reizbarkeit und Gewalttätigkeit andererseits.
Jochen Kupfer (Jochanaan), Jacquelyn Wagner (Salome) © Birgit Gufler
Auch Jochen Kupfer als Jochanaan, sowohl den prophetenhaften Tonfall seiner Rolle als auch ihren apodiktischen religiösen Fanatismus pointiert vermittelnd, präsentiert sich stilvoll und mit großer stimmlicher Qualität. Äußerst prägnant erlebt man ihn in der spannungsreichen 3. Szene, wenn er Salome schließlich zurückweist und verflucht. Ein guter Einfall der Regie ist es, am Ende nicht eine Attrappe seines Hauptes herumzuschwenken, sondern ihn als Leichnam auf der Bühne zu belassen.
Von leuchtender Klangkraft ist der Auftritt von Jon Jurgens als Hauptmann Narraboth, der sich aus unerfüllter Liebe zu Salome das Leben nimmt, kongenial unterstützt von Zsófia Mózer in der Rolle des Pagen der Herodias. Herodias selbst, hier eine in ein dunkles Glitzerkostüm gekleidete Machtfrau, die sich nach oben geheiratet hat und nun vor den Trümmern ihrer Selbstachtung steht, wurde eindrucksvoll von Ursula Hesse von den Steinen mit klangvoller Mezzosopranstimme und variablem Timbre gespielt. Hesse von den Steinen war in letzter Minute für die erkrankte Susanna von der Burg eingesprungen.
Julien Horbatuk (5.Jude), William Blake (3. Jude), Michael Gann (2. Jude), Junghwan Lee (1.Jude), William Tyler-Clark (4. Jude), Florian Stern (Herodes), Susanna von der Burg (Herodia) © Birgit Gufler
Sehr stark zeigte sich auch das Ensemble, das aus Juden (Junghwan Lee, Michael Gann, William Blake, William Tyler Clark, Julien Horbatuk), Nazarenern (Johannes Maria Wimmer, Esewu Nobela), Soldaten (Oliver Sailer, Valentin Vatev), einem „Cappodocier“ (Jannis Dervenis) und einem Sklaven (Laura Curry) besteht. Verweisen sei hier besonders auf den köstlich inszenierten und komödiantisch dargestellten Streit der Juden. Zu arbeiten ist allerdings da und dort noch an der Durchsetzungskraft der Stimmen gegenüber dem Orchester, besonders in jenen Szenen, die sich im hinteren Bühnenbereich abspielen.
Der Orchesterpart der „Salome“ ist bekanntermaßen ein schwierig zu spielendes Wunderwerk aus hoher Instrumentierungskunst, Bildhaftigkeit, gekonnt eingesetzten Leitmotiven, kühn gebauten Akkorden, bitonalen Passagen und expressiven Klangverdichtungen. Insofern ist die Leistung des Tiroler Symphonieorchesters Innsbruck und seines umsichtigen Dirigenten Lukas Beikircher, der aus der Sinnlichkeit und Tiefe dieser Musik schöpfend ein fesselndes Klangerlebnis schuf, ganz besonders hervorzuheben.
Thomas Nußbaumer