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INGOLSTADT: DEMETRIO von Simon Mayr

12.05.2012 | KRITIKEN, Oper

INGOLSTADT: DEMETRIO (Simon Mayr) – Gastspiel aus Poznan – 10. Mai (Werner Häußner)

 Als Simon Mayr Ende des Jahres 1823 seine Theaterkarriere abschloss, um sich fürderhin nur noch der geistlichen Musik zu widmen, umspannte er mit seinem „Demetrio“ ein Jahrhundert Operngeschichte. In der restaurativen, von der Zensur überwachten Atmosphäre des von der „Carbonari“-Revolution verschreckten Regimes derer von Savoyen hatte er für Turin ein antiquiertes Libretto zu vertonen. „Demetrio“ war ein Erfolgs-„Büchel“ des kaiserlichen Wiener Hofpoeten Pietro Metastasio; eine Story aus dem Opern-Syrien des beginnenden 18. Jahrhunderts mit den üblichen Konflikten: Cleonice, Herrscherin Syriens, wird von einem der Granden ihres Hofes, Olinto, ziemlich selbstbewusst begehrt, liebt aber heimlich Alceste, einen erfolgreichen Feldherrn im Dienste ihres Vaters Alexander.

 Niemand weiß, dass dieser Alceste in Wirklichkeit Demetrio ist, der totgeglaubte Sohn des früheren syrischen Herrschers, den Alexander vom Thron gestürzt hatte. Fenicio, ein treuer Anhänger des alten Königs, hat den Knaben sorgsam erzogen – als Instrument der Rache gegen Alexander. Als nun die Zeit gekommen war, da der junge Alceste, das Schwert der Vergeltung, ausreichend geschliffen schien, fädelt Fenicio die Intrige ein. Er streut ein Gerücht – mit fatalen Folgen …

 Wie schwierig die Geschichte heute zu erzählen ist, hat im März eine Inszenierung dieser letzten Oper Simon Mayrs in Poznań gezeigt. Dessen ungeachtet hat die Staatsoper der polnischen Stadt mit dem „Demetrio“ des bayerischen, in Italien zu Ruhm gekommenen Komponisten – den viele nur noch als Lehrer Gaetano Donizettis kennen – erhebliche Verdienste erworben. Es ist vor allem die Musik Mayrs, die staunen lässt, weil sie den veralteten Seria-Text mit seinen abgestandenen Konstellationen jenseits aller Rezitativ-Arie-Schemata in damals moderne musikalisch-szenische Komplexe einbindet. So ist es kein wesentlicher Verlust, wenn die Staatsoper Poznań „Demetrio“ bei den Ingolstädter Simon-Mayr-Tagen in einer lediglich konzertanten Aufführung präsentierte.

 Nachdem sich in Italien die vor- und nachberlusconischen Regierungen mit dem umstrittenen Medienmogul in der konzertierten Abwicklung der großen Operntradition des Landes einig waren, konnten aus Bergamo, der Wahlheimat des Bayern, keine Impulse für eine wissenschaftliche oder gar musik-theatralische Beschäftigung mit Simon Mayr kommen. Anders in Ingolstadt: Ein aufgeschlossener Kulturreferent, Gabriel Engert, einige großzügige Sponsoren wie Audi, ein unermüdlich um Mayr bemühter Musiker, Franz Hauk, rührend um den großen Sohn ihres Ortes bemühte Bürgerinnen und Bürger der mit Mayr verbundenen Gemeinden Mendorf (Geburtsort) und Altmannstein, und eine geduldige Truppe von Mayr-Liebhabern haben geradezu ein Wunder vollbracht.

 Die unter Führung von Rainer Rupp zu höchst aktivem Leben erblühte Simon-Mayr-Gesellschaft hat in den letzten zehn Jahren geschafft, was seit Mayrs 200. Geburtstag 1963 versucht worden war: Wichtige Werke aus Oper und Geistlicher Musik wurden aufgeführt, mit dem Verlag Ricordi ist eine wissenschaftlich-kritische Gesamtausgabe auf dem Weg, an der Katholischen Universität Eichstätt wurde eine Simon-Mayr-Forschungsstelle eingerichtet. Renommierte Musikwissenschaftler arbeiten daran, den europäischen Rang Mayrs über die lokalpatriotisch eingefärbte Behauptung hinaus mit Fakten und Argumenten zu belegen. Zu finden sind sie in Forschungsbänden, die diversen Mayr-Kongressen folgten. Andreas Wiklund (Göteborg) und Iris Winkler, die Leiterin der Eichstätter Forschungsstelle, arbeiten derzeit an einer kritischen Edition von „Demetrio“.

 Doch was manchem Opernfan – und leider auch manchem Profi unter Dramaturgen und Dirigenten – als für den aktuellen Theaterbetrieb irrelevante historische Erbsenzählerei vorkommt, erweist sich in Wirklichkeit als durchaus reizvoll: Aufführungen in Braunschweig (Phädra), Regensburg (Il ritorno d’Ulisse in patria), St. Gallen und München (Medea) haben bewiesen, dass Mayrs Theatermusik packend und für die heutige Bühne mindestens so attraktiv sein kann wie die allseits rollende Barock-Welle. Auch in Ingolstadt hat die Wiedergabe des „Demetrio“ nicht den Eindruck hinterlassen, als müsse Metastasios Libretto ein Hindernis für die aktuelle Rezeption. Da haben findige Regisseure schon ganz andere Wahrscheinlichkeits-Hürden überwunden.

Unter den Händen des argentinischen Dirigenten Facundo Agudin – der Mayrs „Demetrio“ 2013 in Gastspielen in seiner Heimat vorstellen will – macht das eher robust aufspielende Orchester aus Poznań auf die charakteristische Machart der Mayr’schen Musik aufmerksam: Sie klingt im Lyrischen gerne nach Gluck, zeigt in der Verarbeitung von Motiven oder der rhythmisch-metrischen Anlage intensives Studium Haydns, weckt auch den Eindruck, auf die venezianische Oper des ausgehenden 18. Jahrhunderts zuzugreifen. Ihre Textbezogenheit erinnert an Salieri, ihre belcantistischen Bögen und aparten melodischen Zusammenhänge an Rossini, auch an den frühen italienischen Meyerbeer.

 Auch wenn Simon Mayr dann doch hin und wieder zu bewährten musikrhetorischen Floskeln seines reichen Opernschaffens greift: Man kann ihm nicht absprechen, originell zu komponieren – und das nicht nur in der oft gerühmten Raffinesse der Instrumentierung: In Eichstätt hört man „moderne“ Bläser und eine konzertierende Violine, und immer wieder einfallsreiche Klangmischungen. Mayr hat seine ureigene Sprache, und neben manch kaum profiliertem Handwerk – das sich bei Donizetti und Rossini ebenso findet – überraschen immer wieder eindringliche Momente und ein berührender Ausdruck von Affekten und Emotionen in der Musik.

 Die sollten allerdings nicht so routiniert aus den Noten vorgetragen werden, wie es die Solisten aus Polen bisweilen tun. Amaya Dominguez, mit einem wohlgeformten Mezzo begabt, gerät im zweiten Akt in ein distanziert wirkendes Aufzählen ihrer hin- und herstrebenden Gefühle, das sich nicht zu dramatischer Wirkung erweitert. Mag sein, dass ihr die Szene fehlte, mag sein, dass sie an diesem Abend stimmlich nicht fit war, denn sie neigte auch zur hohen Atmung, die ihre Stimme zunehmend spitz und klangarm werden ließ.

 Monika Mych als Cleonice repräsentiert eine Frau, die unter den fremdbestimmten Rollenerwartungen an die Königin und den inneren Stürmen von Liebe und Ohnmacht zusammenzubrechen droht. Mych hat einen klangsatten, wandlungsfähigen, beweglichen Sopran. Mit einer versierteren Stütztechnik – das Unterkieferwackeln nimmt bedrohliche Züge an – könnte sie ein perfekter Belcanto-Sopran werden. Der Bariton Jerzy Mechlinski neigt zum Brüllen, zeigt aber auch, dass er ein erfahrener, bewanderter Sängerdarsteller ist. Piotr Friebe als vergeblich in Cleonice verliebter Olinto setzt eine solide gebildete Stimme ein, der zum Tenor-Glück noch eine Portion Schmelz und Fülle fehlen. Barsene (Natalia Puczniewska) hat eine einzige Arie: keine „Aria del Sorbetto“, sondern ein anspruchsvolles Stück! Bartłwomiej Szczeszek (Mitrane) bleibt eng und quäkig.

 2013 wird der 250. Geburtstag Simon Mayrs begangen; die Vorbereitungen sind in vollem Gang. Zu hoffen ist, dass die musikalische Welt die Früchte von zehn Jahren intensiver Vorarbeit auch zu pflücken bereit ist. In Ingolstadt jedenfalls darf man sich auf ereignisreiche Simon-Mayr-Festtage freuen. Ob die Wirkungsorte des Bayern in Italien, Venedig und Bergamo, mitziehen werden? Zu hoffen wäre es, wenn auch die Vorzeichen in der italienischen Kulturpolitik derzeit tief dunkelgelb leuchten: Es ist zu befürchten, dass im nächsten Jahr im Süden die Signale nur auf Rot stehen.

 Werner Häußner

 

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