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Ingeborg Gleichauf: HANNAH ARENDT UND KARL JASPERS

16.10.2021 | buch, CD/DVD/BUCH/Apps

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Ingeborg Gleichauf:
HANNAH ARENDT UND KARL JASPERS
Geschichte einer einzigartigen Freundschaft
200 Seiten, Böhlau Verlag, 2021 

Es gibt mit Sicherheit keine politische Denkerin, die nachdrücklicher publiziert hat und wurde: Hannah Arendt (1906-1975) ist mit allen ihren Werken im Buchhandel vertreten, mit zahlreichen Biographien über sie, außerdem mit einer  unfaßlichen Menge von Briefwechseln, die den Eindruck erwecken, sie habe den größten Teil ihres Lebens damit verbracht, Briefe zu schreiben. Da sind die Briefwechsel mit Martin Heidegger (jene ihrer Beziehungen, die auch am meisten thematisiert wurde – die Jüdin und der Nazi), mit ihren beiden Ehemännern Günther Anders und Heinrich Blücher, mit Amerikas Paradeautorin, ihrer Freundin Mary McCarthy, Briefwechsel mit „Freundinnen“ und mit  „Freunden“, zudem mit Dolf Sternberger, Gershom Scholem,  Walter Benjamin,  Hermann Broch, Hans Maguns Enzensberger, Uwe Johnson. Und mit Karl Jaspers.

Ingeborg Gleichauf, die die Arendt-Monographie für die Reihe dtv Portrait verfasst hat und auch sonst literarisch im Bereich Philosophie (Philosophinnen!) und Biographie (Ingeborg Bachmann) tätig ist, legt nun im Böhlau Verlag das Buch „Hannah Arendt und Karl Jaspers“ vor und tut alles, um dem Untertitel „Geschichte einer einzigartigen Freundschaft“ zu beweisen.

Man glaubt es ihr auch gerne, wenngleich sie ein wesentliches Element dieser Beziehung in dem ohnedies nicht dicken Band (der noch ein paar Dutzend Seiten verkraftet hätte) ausblendet: das konzentriert erzählte Biographische. Man möchte nicht nur, thematisch gegliedert, die Auseinandersetzungen der beiden lesen, geistige Duelle auf Augenhöhe von Menschen, die einander offenbar höchst geschätzt haben und nie auseinander gebrochen sind (in der Biographie von Thomas Wolf liest man allerdings, dass Hannah Arendt von Jaspers’ Formulierung vom „deutschen Wesen“ befremdet gewesen sei). Da wäre, um so viel Theorie zu durchbrechen, wie Ingeborg Gleichauf sie liefert, doch der exakte biographische Umriß dieser gewiß besonderen Beziehung interessant gewesen.

Denn es handelte sich gewissermaßen  um eine lebenslange Kommunikation (bei der man über die Jahrzehnte „per Sie“ bleib), die begann, als die junge Hannah Arendt in 1925 in Heidelberg studierte, der um 23 Jahre ältere Professor Karl Jaspers (1883-1969) in ihr eine außerordentliche Studentin erkannte und den Dialog aufnahm (den er allerdings grundsätzlich allen Studenten anbot). Er war Doktorvater ihrer Arbeit über Augustinus, und die Beziehung ist mündlich, wenn möglich, und schriftlich, wenn nötig, nie abgerissen.

 Immerhin emigrierte Hannah Arendt (nachdem sie eine Verhaftung durch die Gestapo mit Glück unbeschadet überstanden hatte) schon 1933, über Frankreich 1941 in die USA, wo sie dann auch starb, aber zu Besuchen nach Europa zurückkehrte. Jaspers konnte trotz seiner jüdischen Frau, an der er festhielt, das Dritte Reich überleben, ließ sich aber später in der Schweiz nieder, wo er dann in Basel starb. Kurz vor seinem Tod noch hatte Hannah Arendt ihn besucht und ihr Glück über das Geschenk dieser immer währenden Freundschaft bekundet. Selbst die so schwierige Persönlichkeit von Martin Heidegger, mit dem beide auf verschiedene Art befreundet gewesen waren und der nach dem Krieg Kontakt verweigerte, konnte sie nicht auseinander bringen, wenn ihre Einstellung zu ihm auch differierte.

Das Buch von Ingeborg Gleichauf ist nun den Themen gewidmet, über die sich die beiden auseinander gesetzt haben – es war „Gott und die Welt“, also sozusagen alles, immer wieder vorrangig auch Politisches, wie es Arendt entsprach und wie es Jaspers in hohem Maße interessierte.

Aber sie mussten nicht immer einer Meinung sein – interessant etwa, dass Jaspers das Buch, das Hannah Arendt über Rahel Varnhagen schrieb, zu wenig empfunden, zu wenig persönlich ihrem Objekt gegenüber fand.

Gesprächskultur und Verschriftlichung finden sich bei Themen wie Philosophie, Denken und Sprache (Hannah Arendt definierte sich als Denkerin, nicht Philosophin): Für Arendt war das Denken Sprechen mit sich selbst. Für Jaspers war es immer Mitteilung in Bezug auf andere.

An Augustinus, dem Mann, über den sie bei Jaspers dissertierte, faszinierte sie das Philosophieren, Jaspers das Glauben. In Karl Marx sah sie dessen Leidenschaft, Jaspers erachtete ihn einfach als „böse“. Die „Banalität des Bösen“ hatte Hannah Arendt in Adolf Eichmann erkannt (das Buch über den Prozeß machte sie weltweit berühmt, so weit sie es nicht schon war). Jaspers dachte dabei über das menschliche Gewissen nach und schrieb (schon davor) einen Essay über „Die Schuldfrage“. Menschliches Handeln, ob gut oder böse, definierte er über den menschlichen Willen.

Wenn sie einander nicht sahen, dann schrieben sie einander. „Er (Jaspers) schreibt außerordentlich schöne Briefe“, erwähnte Hannah Arendt einem Freund gegenüber. Das Buch von Ingeborg Gleichauf erweckt auf jeden Fall das Bedürfnis, auf diese Briefe zurückgreifen zu wollen.

Renate Wagner

 

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